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Eiweißbomben. Mit Bohnen und Erbsen lässt sich der Proteinbedarf der Menschheit in Zukunft decken.

© Ardo Beltz

Homepage: Bohnen statt Fleisch

Experten aus aller Welt diskutieren am IGV die Rolle der Hülsenfrüchte als Eiweißlieferant der Zukunft. Neue Produkte aus pflanzlichen Proteinen könnten den Fleischkonsum ergänzen

Die Zukunft der Welternährung gehört offensichtlich den Hülsenfrüchten. Die sogenannten Leguminosen haben einen hohen Anteil an pflanzlichen Proteinen. Somit versprechen sie eine weltweite Versorgung der wachsenden Menschheit mit lebenswichtigem Eiweiß. Was heute in Europa und USA noch weitgehend über Fleischkonsum abgedeckt wird, dürfte in Zukunft zumindest aus einer Kombination von Fleisch und pflanzlichen Proteinen kommen. Dafür sprechen laut Ernährungsexperten nicht nur die umweltbelastenden Produktionsbedingungen der Fleischindustrie, sondern auch die große Verfügbarkeit und die gesundheitsfördernden Eigenschaften der pflanzlichen Eiweiße. Am Institut für Getreideverarbeitung (IGV) in Bergholz-Rehbrücke treffen sich in dieser Woche 120 Experten aus 14 Nationen, um das Potenzial dieses Zukunftsthemas auszuloten.

Ralph Thomann vom IGV ist sich des Siegeszuges der Pflanzeneiweiße sicher, haben sie doch eine wesentlich bessere ökologische Bilanz als tierisches Eiweiß. Zur Herstellung von einem Kilo tierischem Protein benötige man zehnmal so viel pflanzliches Protein als Futter. In den Industrieländern liegt der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch mit durchschnittlich 80 Kilogramm pro Jahr sehr hoch (zum Vergleich: Indien 3,2 Kilogramm pro Jahr, USA und Australien 120 Kilogramm). Da die Ernährungsweise dieser Länder zum Vorbild für viele wachsende Schwellenländer werde, seien Versorgungsengpässe vorprogrammiert. „Das erfordert dringend ein Gegensteuern im Interesse einer umweltverträglichen Lebensmittelproduktion“, sagte Thomann den PNN. Pflanzliche Eiweiße seien dazu ideal. „Es stehen ausreichend pflanzliche Proteinquellen zur Verfügung, die jedoch wegen fehlender technologischer Verfahren vorrangig der Tierfütterung zugeführt werden.“ Forschung und Industrie müssten aus dem Pflanzeneiweiß schmackhafte Produkte entwickeln, nicht unbedingt Fleischersatz, sondern eigenständige mit Pflanzenprotein angereicherte Produkte. Thomann blickt dabei auch nach Lateinamerika, wo der Proteinbedarf von vielen Menschen seit jeher über Bohnen, Erbsen und Mais gedeckt werde.

Bei uns müssten pflanzliche Proteine allerdings auf die Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher zugeschnitten werden, etwa als Riegel, Shakes, Eiweißbrot oder Pasta aus Erbsenmehl. Wichtig sei dabei, dass ein ungewollter Beigeschmack – bitter, erdig oder bohnig – eliminiert werde. Das Gleiche gelte für unangenehme Begleiterscheinungen wie starke Blähungen durch Hülsenfrüchte. Am IGV werde gemeinsam mit der TU Berlin nun ein Verfahren erforscht, bei dem die blähenden Zuckerstoffe durch Enzyme abgebaut werden. Produkte aus solchem Bohneneiweiß bereiten dann kein Bauchkneifen mehr. Für die Ernährung mit proteinhaltigen Pflanzen spreche zudem, dass die Ernährungsforschung erst jüngst einen Zusammenhang zwischen eiweißreicher Kost und Gewichtsreduktion festgestellt hat. Einziges Problem sei der geringe Eisengehalt der Pflanzen. „Pflanzlicher Fleischersatz muss daher mit Eisen angereichert werden“, so Thomann.

Der klare Favorit unter den Leguminosen ist für Ralph Thomann die gelbe Erbse, bei uns als Speiseerbse heimisch. Nur die Erbse vereine alle positiven Eigenschaften der Hülsenfrüchte in sich. Zwar liege sie mit 24 Prozent pflanzlichem Eiweißanteil hinter der Sojabohne (39 Prozent) und Lupine (34 Prozent), doch die Erbse sei im Gegensatz zu diesen Pflanzen nicht allergen, enthalte kein Gluten wie Weizen und sei nicht gentechnisch verändert wie die meisten Sojapflanzen heutzutage. Die Erbse habe ein gutes Image, sei gut verfügbar und ihr Preis moderat. Bereits heute werden Erbsen zur Stärkegewinnung angebaut, das Eiweiß fällt als Nebenprodukt an und wird vor allem für Tierfutter verwendet. Womit man der Erbse aber Unrecht tue. „Als Fleischersatz, Knabberartikel oder für Mehlprodukte ist sie bestens geeignet“, sagte Thomann.

Seit vielen Jahren sei der Anbau von Hülsenfrüchten in Deutschland stark rückläufig. „Leguminosen haben an Bedeutung für Tierfütterung und menschliche Ernährung verloren“, so Thomann. Der Anteil an Anbaufläche betrage bei uns gerade noch ein Prozent. Hier sei also noch viel Luft noch oben. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat in diesem Jahr eine Förderstrategie zum Anbau von Eiweißpflanzen gestartet. Angesichts des weltweit steigenden Bedarfs an Eiweißprodukten, den Erfordernissen des Klimaschutzes – Rinder erzeugen erhebliche Mengen von klimaschädlichem Methangas – und den ökologischen Aspekten sieht der IGV-Forscher geradezu eine Renaissance der Leguminosen auf uns zukommen. Die technischen Voraussetzungen dafür würden nun auch am IGV in verschiedenen Vorhaben vorangetrieben. „Wir sind an vielen internationalen Forschungsprojekten beteiligt, denen es darum geht pflanzliche Proteine in höherwertige Produkte umzuwandeln“, so der Chemiker. Er nennt auch einen weiteren Grund, der für den verstärkten Anbau von Leguminosen spreche. Diese Pflanzengruppe bringt Knöllchenbakterien in den Boden ein. Wenn man das in die Fruchtfolge einbinde, wirke es als natürliche Quelle für Stickstoffdünger. „Wir erhalten automatisch eine Düngung, ohne dass man zusätzlich Dünger einbringen muss“, erklärte der Wissenschaftler.

„Wenn die Menschen es lernen, sich ausgewogener zu ernähren und den Anteil an Fleisch dabei zu senken, könnten die pflanzlichen Proteine zu einer weltweiten Versorgung mit Eiweiß beitragen“, meinte Thomann. Er schätzt, dass der Anteil der Verbraucher, die bewusst weniger Fleisch essen wollen, zumindest in Deutschland, am wachsen ist. Der Trend gehe auch wegen der vielen aktuellen Fleischskandale bei bewusst handelnden Konsumenten zu weniger aber hochwertigerem Fleisch.

Dass sich die weltweiten Ernährungsgewohnheiten ändern werden war auf dem Treffen am IGV Konsens. Im Jahre 2050 voraussichtlich neun Milliarden nachhaltig zu ernähren, sei eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts, hieß es. „Die Proteinversorgung der Zukunft wird voraussichtlich aus einer Kombination von pflanzlichem mit tierischem Eiweiß, Algen und Insekten bestehen“, sagte Ronny Platteeuw, der für eine belgische Firma arbeitet, die natürliche Lebensmittel vertreibt. Auch er schätzt, dass der Speiseerbse dabei die Schlüsselrolle zukommen wird.

Woran die Forschung nun allerdings noch arbeiten muss, sind die Lebensmittel, die sich aus den Pflanzeneiweißen herstellen lassen. Denn künstliches Fleisch wird nicht gerne gegessen, so wurde beispielsweise ein Hackfleischprodukt mit 30 Prozent pflanzlichem Protein nur schlecht angenommen. Geschickter ist es da schon, die Proteine vom Acker in Mehl zu verarbeiten, mit dem dann vielfältige Lebensmittel hergestellt werden können – Eiweißbrot und Erbsennudeln etwa. „Der Geschmack ist dabei essentiell“, stellte Silke Middendorf von der Symrise AG fest. So dürften vegetarische Schnitzel nicht nach Müsli oder Backwaren schmecken, Sojamilch müsse genauso neutral schmecken wie Kuhmilch. Ein bitterer Beigeschmack oder ein sandiges Mundgefühl sei das Aus für solche Lebensmittel. „Was nicht schmeckt, kauft man zweimal – einmal und nie wieder.“ Daher setzt die Lebensmittelindustrie nun auf Verfahren aus der Forschung zur Optimierung der grünen Proteine (z.B. Eisenzusatz) und auf Maskierung unerwünschter Geschmacksnoten. Wem das zu künstlich ist, der kann natürlich auch weiterhin Linsensuppe, Bohneneintopf oder Erbspüree essen – schmackhaft, eiweißhaltig und ohne technologische Veränderungen.

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