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Skrupellose Machtpolitik. War NS-Diktator Adolf Hitler – hier ein Bild aus einer Puppentheaterwerkstatt – ein Machiavellist?

© Hendrik Schmidt/dpa

Homepage: Bewaffnete Intellektuelle

Der Potsdamer Politologe Michael Zantke studiert ein gefährliches Phänomen von gestern und heute: Die Bedeutung Machiavellis für den Nationalsozialismus und die Konservative Revolution

Der legendäre Politik-Philosoph Niccolò Machiavelli starb vor knapp 500 Jahren, doch seine Ideen von Staat und Gesellschaft faszinieren noch immer. Seinerzeit wahrgenommen als Renaissance-Denker und talentierter Politiker, koppelte er in revolutionärer Weise das damalige Politikverständnis von christlich-religiöser Dominanz ab und führte es rationaleren Prämissen zu. Doch Kritiker werfen Machiavelli bis heute vor, auch einer skrupel- und rücksichtslosen Machtpolitik das Wort geredet zu haben. Hat sein Denken die Moderne und Europa tatsächlich beeinflusst, politische Köpfe geprägt, Katastrophen befördert?

In seiner gerade erschienenen und jüngst auf der Leipziger Buchmesse vorgestellten Dissertation zum Thema „Bewaffnete Intellektuelle“ geht der Potsdamer Politologe Michael Zantke explizit der Frage nach, inwiefern NS-Diktator Adolf Hitler ein Machiavellist gewesen ist. Zantke hat sich die deutschen Machiavelli-Diskussionen während der Jahre 1933 bis 1945 sorgfältig angeschaut und die relevanten Texte auf ihren Bezug zum Nationalsozialismus geprüft. Er kommt zu dem Schluss, dass Hitler und seine engere Umgebung nur wenig mit dem eigensinnigen florentinischen Denker und Visionär anzufangen wussten. Hitler hat sich für seine Politikgestaltung keineswegs auf Machiavelli berufen. Und Zantke betont, dass insbesondere mit Blick auf die Lehren der Ariosophie, der NS-Rassenideologie und die daraus resultierenden Kriegsziele der Nazi-Spitze „von einem machiavellistischen Kern keine Rede mehr“ sein könne.

Allerdings hat den jungen Potsdamer Wissenschaftler und einstigen Schüler von Heinz Kleger, der auch Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam ist, die Materie so leicht nicht wieder losgelassen. Dass sich an Machiavellis wichtigsten Schriften, insbesondere an „Il Principe“ und „Discorsi“ auch weiterhin die Geister scheiden werden, ist vorgezeichnet. Immerhin aber stilisierte Hitlers Kriegsverbündeter und italienischer Faschistenführer Benito Mussolini Machiavelli zum Propheten der wahren Politik. Und auch in den intellektuellen Zirkeln der deutschen Rechten vor 1933 war er nur allzu gern bemüht worden, um den Versuch der Konservativen Revolution zu rechtfertigen.

Für rechtsintellektuelle Kreise in Deutschland blieb Machiavelli auch nach Kriegsende eine Ikone, wenn auch mit der ihnen eigenen Glorifizierung von nationaler Größe und einem starken, autoritären Staat. Gleichwohl steht außer Frage, dass sich bei Machiavellis umstrittenen Ideen von der gestaltenden Ordnung auch andere ideologische Lager gern bedient haben. Hier ist es von Vorteil, dass Michael Zantke ausführlich auch auf die Verbindung Machiavellis mit der revolutionären Mythos-Konzeption des französischen Sozialphilosophen und Syndikalismus-Vordenkers Georges Sorel eingeht. Sorel lehnte die liberale Demokratie ab, bewunderte dagegen Bolschewismus wie Faschismus, und am Ende erklärte ihn Armin Mohler, der Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, sogar zum „Erzvater der Konservativen Revolution“.

Wie es scheint, ist der Typus des radikalisierten, quasi „bewaffneten“ Intellektuellen in Europa – selbst in Deutschland – nach 1945 nicht verschwunden, auch wenn er sich andere Feindbilder und Kampfesformen gesucht hat. So wurden die Werke Sorels von rechten wie linken Gegnern der liberalen Ordnung in den 1970er-Jahren wiederentdeckt, und ein Teil von ihnen wechselte – wie etwa Ulrike Meinhof – alsbald zur direkten gewaltsamen Aktion. Offensichtlich hatten, so eine weitere Erkenntnis aus Zantkes Buch, nicht nur die chaotisch-instabilen Verhältnisse der 1920er-Jahre das Zeug, radikalisierte, „frei schwebende“ Intellektuelle in großer Zahl hervorzubringen. Gelingt es nicht, sie in verbindliche gesellschaftliche Diskurse einzubinden, können sie erneut „zur existenziellen Gefahr“ werden – auch in der Bundesrepublik.

Aktuell beunruhigt Zantke und andere Politologen, wie vor dem Hintergrund allgemeiner Krisen essenzielle Werte, Regeln und Institutionen der Demokratie, oft erst im Kampf gegen Nazismus und Faschismus errungen, bewusst abgewertet werden.

Oft kleinteilige, aber effiziente Netzwerke arbeiten hier an einer neuen „Gegenöffentlichkeit“ – unterstützt von linken Antiimperialisten, Verschwörungs-Okkultisten bis hin zur Pegida-Bewegung, Teilen der AfD und der Identitären. Subversive Alternativmedien und gut frequentierte Internetaktivisten mit Hang zu Verschwörungstheorien sekundieren bei dieser ansatzweisen „Querfront“. Ihnen intellektuelles Format zu bescheinigen, wäre im Moment wohl noch eher gewagt. Doch dürfte Zantke richtig liegen in der Vermutung, dass sich über die neuen, gerade auch medialen Strukturen ein altes Muster wiederholt: die Annäherung von radikalen Denkern jenseits ihrer ideologischen Lager, erkennbar beispielsweise an der Zusammenarbeit von Jürgen Elsässer, Götz Kubitschek und Martin Sellner. Das kann fatale Auswirkungen haben, nicht nur nach innen. Relativ einig sind sich die Akteure von „Querfront“ und „Systemopposition“ bereits in ihrer Begeisterung für russische Politik à la Putin und im Kampfeswillen gegen die vermeintlich globalen Einflüsse der USA.

Michael Zantke hält eine ernsthafte, kritische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen bewaffneten Intelligenz im Schatten von Pegida und AfD inzwischen für essenziell wichtig – zur verlässlichen Abwehr radikaler Strömungen in unserer Gesellschaft. Mit der Arbeit an einem weiteren Buch, nunmehr zum sich abzeichnenden „Querfront“-Phänomen, hat er bereits begonnen.

Michael Zantke, „Bewaffnete Intellektuelle. Die Bedeutung Machiavellis für den Nationalsozialismus und die Konservative Revolution“, Vorwort von Heinz Kleger. WeltTrends, Potsdam 2017, ISBN 978-3-945878-47-7; 361 Seiten, 38,90 Euro

Olaf Glöckner

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