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Homepage: Authentizität unter Tränen

Was DDR-Zeitzeugen der Nachwelt sagen können

Bei einer Führung in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hatte Elena Demke ein prägendes Erlebnis. Ein Zeitzeuge war bei der Schilderung der Vorgänge in dem damaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in Tränen ausgebrochen. Demke, Mitarbeiterin der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, ist sich sicher, dass Zeitzeugen durch ihre Erzählung nachhaltige Denkanstöße geben können. Der persönliche Zugang zu den Erinnerungen durch Zeitzeugen macht sie auch für den pädagogischen Mitarbeiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Karsten Harfst, so wichtig. Dies rege zur tiefergreifenden Auseinandersetzung mit der Geschichte an.

Welche Chancen und Risiken die Arbeit mit DDR-Zeitzeugen in der Geschichtsvermittlung in sich birgt, damit beschäftigte sich Ende vergangener Woche eine Tagung in Potsdam. Die Veranstaltung vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, dem Zeitpfeil e.V. und dem Bildungswerk der Humanistischen Union NRW war auch als Fortbildung für Lehrer ausgelegt. Denn gerade auch Schüler werden oft mit Zeitzeugen konfrontiert.

Allerdings ist der Zeitzeuge, der in den vergangenen Jahren gerade in den Medien eine steile Karriere als Quelle historischer Authentizität gemacht hat, nicht unumstritten. So kritisierte Christoph Hamann vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, dass Zeitzeugen im Gegensatz zu Tatzeugen wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist. Das verändere ihren erkenntnistheoretischen Standpunkt. Der Zeitzeuge betrachte die Ereignisse auch aus der Sicht von heute. Hinzu komme, dass er eine eigene Geschichte im Kontext des Erinnerten hat, somit also befangen sein könnte. Grundsätzlich stamme bei der Zeitzeugenschaft die Quelle aus der Vergangenheit, die Interpretation aber aus der Gegenwart, das bedeute eine Vermischung erkenntnistheoretischer Positionen, die für das historische Lernen schädlich sind, so Hamann. Er forderte quellenkritisches Vorgehen.

Das Problem mit Zeitzeugen ist für die Historiker nicht neu. Dass der Mensch Erinnertes fortwährend verändert, weiß die Psychologie bereits seit Längerem. Die als „Oral History“ bezeichnete Methode der Geschichtswissenschaft wird quellentechnisch als ebenso kritisch gesehen wie Autobiografien. Für die Präsenz von Zeitzeugen in Gedenkstätten fragt sich natürlich auch, wie authentisch ein Zeitzeuge sein kann, der seine Erinnerungen Hunderte Male immer wieder erzählt. Für Harfst, der täglich in seiner Arbeit mit Zeitzeugen in Hohenschönhausen befasst ist, sind solche Einwände aber nur theoretischer Natur. Er bekräftigte, dass Zeitzeugen auch nach 50 Führungen noch fähig seien, die Geschichte für die Zuhörer lebendig werden zu lassen.

ZZF-Direktor Martin Sabrow war es, der die Frage nach dem Unterschied zwischen Zeitzeugen der NS-Zeit und denen der DDR-Vergangenheit aufwarf. Sabrow benannte einige historisch begründete Unterschiede. Zum einen hätten DDR-Zeitzeugen zeitlich eine größere Nähe zu dem Erinnerten als Zeugen der NS-Zeit. DDR-Zeitzeugen seien im öffentlichen Leben noch omnipräsent: „Sie überbrücken einen kleineren Abstand von der Gegenwart zur Vergangenheit, sie tragen weniger deutlich die schützende Aura des Relikts, und sie äußern sich ebenso medial wie alltagsreal.“

Ein zweiter Unterschied ergebe sich aus der größeren Zeitspanne der DDR-Historie. Denn Zeitzeugen der NS-Zeit decken in der Regel die gesamten zwölf Jahre des „Dritten Reiches“ ab. Bei DDR-Zeitzeugen sei dies oft anders. „Dabei macht es einen erheblichen Unterschied, ob man von der DDR der Weltjugendfestspiele 1973 oder auch der von 1951 berichtet“, gab Sabrow zu bedenken. Hinzu komme, dass Zeitzeugen die Historisierung der DDR von Anfang an begleiten: „Sie haben eine starke Stellung in der Öffentlichkeit und treten mit prononciertem Mitsprache- und Mitgestaltungsanspruch auf“, so Sabrow. Zugleich aber seien sie stärker umstritten: „Zum Nationalsozialismus gibt es einen stabilen Deutungsrahmen, für die DDR mit ihren Narrativen nicht.“ Die Kategorie der DDR-Zeitzeugen sei diffuser und polyphoner. Was sich aber mit der fortschreitenden Zeit ändern werde. Jan Kixmüller

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