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Schubladendenken? Die Studierenden halten den Besuchern der Ausstellung einen Spiegel vor.

© PNN / Ottmar Winter

Ausstellung in Potsdam: Deutsches Bier, französisches Baguette?

Studierende der Universität Potsdam zeigen in der Wissenschaftsetage eine Ausstellung über Feindbilder und Stereotype. Dabei gibt es auch was zum Anfassen. 

Potsdam - Deutsche trinken Bier und essen Weißwurst. So sieht es die französische Werbeindustrie in einem entsprechenden Fernsehspot für eine französische Automarke. Dementsprechend essen Franzosen Baguette und Schweden Knäckebrot. „Das sind Stereotype, die sofort greifen. Manchmal helfen sie etwas einzuordnen“, sagt Eva Kimminich, die an der Universität Potsdam Romanistik unterrichtet. Das Bild des Deutschen als Biertrinker sei schon im Mittelalter präsent gewesen. Mit Studierenden der Universität Potsdam hat sie eine Ausstellung in der Wissenschaftsetage (WIS) im Bildungsforum Potsdam vorbereitet. „Stereotypen, Klischees, Feindbilder & Co.“ so der Titel.

Ein Semester lang haben die Studierenden die Ausstellung konzipiert. Auf zahlreichen Postern und Tafeln untersuchen sie, wie sich Bilder vom Anderen herausbilden, die den Einzelnen verschwinden lassen – und wie daraus Feindbilder entstehen können. „Sei doch nicht so typisch“, ist eine der Tafeln überschrieben und erläutert: „Bestimmte Eigenschaften werden verallgemeinernd allen Mitgliedern einer Gruppe zugeschrieben. Durch diese Gleichmacherei werden individuelle Abweichungen ausgeschlossen“. Gefahren und Nutzen der Verallgemeinerungen werden auf der Tafel gegeneinander abgewogen. Auch Berufsbilder, Kleidungsstile und Gender-Stereotype werden auf Tafeln dargestellt und ihre Zuordnung und Bedeutung hinterfragt.

Besucher können in die sprichwörtlichen Schubladen schauen

Nicht nur mit Text und Bild versucht die Ausstellung das zu veranschaulichen, sondern auch mit einem Kasten, einer Art Kommode. Darin sind Schubladen, denn schließlich gehe es ja darum, zu zeigen, in welches Fach bestimmte Dinge oder Menschen schnell einsortiert würden, so Kimminich. Die Besucher haben die Möglichkeit, in die Schubladen hineinzufassen und zu schauen, welche Stereotypen auch bei ihnen greifen und vielleicht überdacht werden sollten.

Jenissa Terzic unternimmt das Experiment. Die Jurastudentin stammt aus Berlin, ihr Vater aus Bosnien, die Mutter aus Kanada. Sie fühle sich als Berlinerin, sagt Terzic, aber sie wolle gerne schauen, wie auch bei ihr Bilder und Anschauungen möglicherweise den Blick verengen. Also lässt sie sich die Augen verbinden und greift dann in eine der Schubladen. Heraus holt sie eine Schaufel, die sie ertastet. „Was für ein Spielzeug ist das? Gehört es zu einem Jungen oder einem Mädchen?“, fragt einer der Studenten. Terzic überlegt, ordnet die Schaufel dann, dem Klischee entsprechend, einem Jungen zu. Aber: die Schaufel ist rosafarben. Ist es vielleicht doch ein Spielzeug für ein Mädchen? Ist rosa überhaupt wirklich eine „Mädchenfarbe“, fragen sich die Studierenden schließlich.

Auch im Fach greifen noch Klischees

Auch im Fach Jura greifen noch viele Klischees greifen. Die Professoren würden Golf spielen und große Autos fahren, heißt es. Aber auch bei den Rechtswissenschaften ändere sich einiges: es gebe mehr weibliche als männliche Studenten und in der Regel würden Frauen das bessere Examen machen.

Das Beispiel der Kommode veranschaulicht, wie eingefahrene Denkweisen den Alltag begleiten. Und wie möglicherweise „Denkgewohnheiten dekonstruiert werden können“, so Kimminich. „Wir benötigen Stereotype und Klischees um uns zu orientieren. Das ist auch eine positive Funktion.“ Problematisch werde es jedoch, wenn sich diese Bilder verfestigen und der einzelne hinter dem Stereotyp verschwindet. „Das hat in letzter Zeit auch zugenommen“, meint die Professorin. 

Es gebe Stereotype, die immer existiert hätten: von Juden, von Muslimen, von Geschlechteridentitäten. Diese könnten sich zu Feindbildern verfestigen. Das Thema lasse sich nicht auf Nationalitäten verengen, sondern greife viel weiter: Geschlechteridentitäten, Vorstellungen davon, was zu einer Nation gehöre, wo Dinge zu verorten seien. Dies lasse sich auch anhand von Sonnenblumenkernen demonstrieren. Die Sonnenblume, eine vermeintlich europäische Pflanze, stamme tatsächlich aus Mittelamerika. Erst spanische Seefahrer brachten sie mit nach Europa.

Eingefahrene Denkweisen können im Alltag hinderlich sein

Da sensitive Erfahrungen besser in der Erinnerung haften, finden sich in der Kommode noch einige Spielzeuge und Dinge des täglichen Lebens, die ertastet, gefühlt und beurteilt werden können. Und die dann zur Diskussion anregen sollen, auch über die erläuternden Tafeln, die in der Wissenschaftsetage gehängt sind. Das Ergebnis der monatelangen Recherche haben die Studierenden zu Texten und Bildern komprimiert. Diese geben in nicht ganz knapper Form Auskunft darüber, wie eingefahrene Denkweisen im Alltag hinderlich sein können und den Blick auf an sich offene Möglichkeiten einschränken.

Armir Dizdorevic hat die Tafeln erstellt. Dabei sei einiges an Nachtarbeit fällig gewesen. Es sei schwierig gewesen, die vielen recherchierten Themen und Beiträge so zu verdichten, dass sie auf eine der Tafeln passen. Die Art und Weise wie die Tafeln nun gestaltet sind, erinnere an Werbung und habe ja auch eine ähnliche Funktion: schnell zu informieren und den flüchtigen Betrachter zu fesseln. Tatsächlich würde ein ganz erheblicher Teil der Studenten der Kulturwissenschaften später in der Werbung arbeiten, so Kimminich. Denn schließlich hätten sie im Studium gelernt, Sprache und Bedeutung von Kommunikation zu analysieren und zu hinterfragen. Die Semesterarbeit diene daher auch dazu, die eigenen Studieninhalte zu reflektieren. 

Richard Rabensaat

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