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Zwischen diesen beiden Covern liegen 15 Jahre und eine junge Generation. Nach der letzten Ausgabe von „Neon“ wandert die Marke zu Neon.de ins Netz.

© Repros: Promo

Aus nach 15 Jahren: Ein letztes Mal "Neon" am Kiosk

„Neon“, die Zeitschrift der Millennials, erscheint an diesem Montag ein letztes Mal. Was von ihr bleibt.

Neon ist keine Farbe, Neon ist die Welt in grell, ohne Zwischentöne. So gesehen war der Name „Neon“ vielleicht falsch gewählt, denn die Zeitschrift, die am Montag zum letzten Mal erscheint, hat sich für fast 15 Jahre lang genau diesen Zwischentönen gewidmet. Als die erste Ausgabe im Juni 2003 erschien, stand darunter „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“. Damit war die Zielgruppe gesetzt: Menschen in ihren Zwanzigern, die ziemlich viele Fragen an das Leben haben. Das erste Cover zierten Nora Tschirner, mit sehr viel Rouge und Babyspeck, und Benno Fürmann, mit Kinnbart: die 100 wichtigsten jungen Deutschen. Die großen Fragen der ersten Ausgabe: Wie sichert man sich seinen Job? Wie manipuliert das Musikfernsehen unser Sexleben? Sind wir auf den Terror in Deutschland vorbereitet? Das Magazin hat über Jahre denen eine leserische Heimat gegeben, die mehr Fragen als Antworten hatten. Und auch wenn „Neon“ selbst meistens mehr Fragen als Antworten hatte, so fühlte man sich zumindest nach jeder Ausgabe etwas weniger allein.

"Neon" war mehr als nur gefühlig

„,Neon‘ hat sich an Antworten auf die vielen Fragen des Lebens, die sich nicht pauschal beantworten lassen, über die Geschichten und Gefühle Einzelner herangetastet“, schreibt Chefredakteurin Ruth Fend im Editorial der letzten Ausgabe. Die Geschichten hatten nie Absolutheitsanspruch, waren eher der kleinste gemeinsame Nenner. Die Zeitschrift hat den Ruf, vor allem gefühlig zu sein, die immer gleichen Themen um Liebe und Sex in jeder Ausgabe neu zu verpacken. Das mag stimmen. Aber „Neon“ war mehr als das: 2006 schrieb Benjamin Prüfer über seine Liebe zu einer kambodschanischen Prostituierten, die HIV-positiv ist. Daraus entstand ein Buch und am Ende ein Film: „Same same but different“ mit David Kross in der Hauptrolle. 2011 traf Lara Fritzsche sich mit den Überlebenden von Utøya, jener norwegischen Insel, auf der der rechtsextreme Anders Behring Breivik 69 Jugendliche erschoss. Sascha Chaimowicz und Patrick Bauer interviewten Angela Merkel, Martin Schlak machte undercover ein Praktikum bei Russia Today, dem vom russischen Staat finanzierten Fernsehsender. Die Redakteure reisten in die hintersten Winkel der Welt und probierten aus, was niemand ausprobieren wollte.

Sein Auflagenhoch hatte „Neon“ 2009: 235 000 Hefte wurden verkauft. Danach ging es eigentlich nur noch bergab, die Auflage 2017 lag bei 60 000 Heften. Fragte man Menschen in ihren Zwanzigern, traf man auf Schulterzucken: Lese ich nicht. Zwischen der Gründung der Zeitschrift und dem Ende ist viel passiert: Das Internet wurde groß und mit ihm die sozialen Netzwerke. Es gibt Gruppen und Foren, in der man jede noch so absurde Frage posten kann und mit Sicherheit eine Antwort bekommt. Die Einzelschicksale der „Neon“-Protagonisten gibt es heute als Blaupausen zuhauf im Netz: Blogs, Podcasts, Instagram- Accounts. Jeder, der meint, eine erzählenswerte Geschichte zu haben, kann sie erzählen. Frei für jeden verfügbar.

Vielleicht hat „Neon“ auch zu oft enttäuscht, die Leser vergrault. „Wann ist der richtige Zeitpunkt, zusammenzuziehen?“, fragte das Cover. „Das muss jedes Paar für sich individuell entscheiden“, antwortete der Artikel. „Neon“, das war manchmal gedrucktes Clickbaiting.

Die, die 2009 zwanzig waren, werden nächstes Jahr dreißig. Eine Zeitschrift kann sich dem Erwachsenwerden verwehren, indem sie immer neue, junge Journalisten die Texte schreiben lässt, der Leser aber nicht. So sehr man es sich wünscht: Irgendwann erwischt es jeden. Man sitzt nicht mehr mit der „Neon“ im WG-Zimmer, sondern vielleicht mit dem Tagesspiegel in der schönen Küche oder mit der „Zeit“ im Café. Oder man hat schlicht keine Zeit, weil man arbeitet, statt im 9. Semester zu studieren.

Neon.de hat mehr Leser als die Zeitschrift je hatte

Die Zwanziger, die nach der Generation „Neon“ kommen, sind mit dem Internet aufgewachsen, mit kostenlosen News und kostenlosem Entertainment. Und während die gedruckte Ausgabe nicht mehr funktioniert, wird Neon.de immer größer: Über eine Million Leser hat der Ableger im Internet. Mehr, als die Zeitschrift je hatte.

Die letzte Ausgabe der „Neon“ ist nicht grell, sondern gold, und titelt: „Mach Schluss! Es war wirklich schön mit uns. Warum es trotzdem Zeit ist zu gehen“. Ein letztes Mal holt die Zeitschrift ihre Leser ab, tröstet. Auch mich. Als die erste „Neon“ erschien, war ich zehn Jahre alt. Ich wurde begleitet durch Anfänge und Enden von Beziehungen, durch Schule, Studium und erste Gehversuche im Beruf. Was in meinem Leben los war, war auch in den Texten los. Ich bin jetzt 25 – vielleicht wird es Zeit, erwachsen zu werden.

Julia Kopatzki

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