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Entscheidend. DDR-Stürmer Jürgen Sparwasser jubelt am 22. Juni 1974 nach seinem Treffer zum 1:0 gegen die BRD.

© dpa

Homepage: Auf einer kleinen Insel

Die Potsdamer Historikerin Jutta Braun untersucht die Geschichte des Fußballs in der DDR

„Der Fußball war eine kleine kapitalistische Insel in der sozialistischen DDR“, stellt die Historikerin Jutta Braun fest. Fußballspieler seien in begrenztem Umfang ebenso zwischen den Clubs gehandelt worden wie im kapitalistischen Westen. Zwar habe der Staatsapparat der DDR versucht, Kontrolle über die Clubs auszuüben, aber das sei nicht vollständig gelungen. „Fußball funktioniert einfach anders als andere Sportarten“, sagt Braun.

Der Sport und auch der Fußball seien zwar klar von den diktatorischen Strukturen des Regimes geprägt gewesen. In jeder Mannschaft habe es Stasi-Spitzel gegeben. Dennoch hätten sich beim Fußball Gepflogenheiten eingeschlichen, die eigentlich nicht so recht zu allgegenwärtigen staatlichen Kontrolle gepasst hätten.

Zunächst einmal sei die Ausgangssituation für den Fußball in der DDR die gleiche gewesen wie für den Fußball in den westlichen Besatzungszonen: Zum Beginn des Jahres 1946 lösten die Alliierten sämtliche bestehenden Fußballvereine auf, weil diese als Unterorganisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) eingestuft wurden. Der Glaube an blinden Gehorsam und nationalsozialistische Heldenfeiern in den Vereinen sollte ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Während aber im Westen recht schnell wieder neue, freie agierende Vereine gegründet werden konnten, mühten sich die Sportfunktionäre in der DDR, die Kontrolle über den Sport zu behalten. Statt selbständig agierender Clubs wurde fortan in Sportgemeinschaften gespielt, die bald in Betriebssportgemeinschaften überführt wurden. Diese waren an die Betriebe angegliedert, wurden von dort finanziell ausgestattet und von den Funktionären entsprechend kontrolliert.

Die Wissenschaftlerin weist auch auf die politische Dimension des Fußballs hin. Der Sport sei ein Teil des Wettkampfs der Systeme gewesen und nicht nur ein sportliches Ereignis. In erster Linie aber sollte der Fußball der lokalen Identifikation dienen. Die Bevölkerung sollte sich für „ihren Verein“ begeistern. Zu diesem Zweck seien auch schon einmal gezielt Mannschaften in strukturschwache Gebiete verpflanzt worden. Das habe ganz gut funktioniert, meint Braun.

Die Fußballclubs seien die regionalen Aushängeschilder der Bezirke gewesen. „Diese Kräfte und der für die DDR-Nationalmannschaft verantwortliche Deutsche Fußballverband (DFV) sorgten für ein Kräftegleichgewicht, so dass Vereinswechsel nur schwierig durchsetzbar waren“, so Braun. Allein zur Stärkung der Schwerpunktclubs mit internationalen Aufgaben und zur Stärkung der Entwicklung von Nationalspielern hätten Wechsel unter Zähneknirschen der abgebenden Fußballclubs und der Betriebssportgemeinschaften (BSG) vorgenommen werden dürfen. „Unterhalb dieser Ebene entwickelte sich allerdings ein reger Markt, der insbesondere von den BSG großer Kombinate genutzt wurde und nach marktähnlichen Strukturen funktionierte.“ Allerdings sei es nie gelungen, so wie in vielen olympischen Sportarten gezielt Spitzenleistungen zu planen, so Braun.

Das lag auch daran, dass der athletische Nachwuchs durch gezielte Auswahl früh in andere Sportarten gelenkt wurde. Dort sollte er glänzen und möglichst viele Medaillen gewinnen. Diese Entwicklung habe der führende Sportfunktionär der DDR, Manfred Ewald, vorangetrieben. Aus langjährigen Fußballern wurden so Ruderer, stellt Jutta Braun fest.

Zudem habe es unter Fußballfans immer wieder Sympathiebekundungen für Westvereine gegeben. „Chemnitz grüßt die deutsche Nationalelf und den Kaiser Franz“, skandierten DDR-Fans beim Europameisterschaftsqualifikationsspiel zwischen der Bundesrepublik und Polen 1971 in Warschau, wie ein Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit akribisch auflistet. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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