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Homepage: Auf den Brettern, die die Welt bedeuten

Theaterbesuche in Potsdam und Berlin: Schauspiel und Oper in Zeiten des Mauerbaus. Von Josef Drabek

Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.

Von der Kinokunst etwas enttäuscht (PNN vom 20.12.2017), schätzten wir umso mehr die Kunst auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“. Auf solchen spielte man im ehemaligen Tanzlokal „Alter Fritz“, das nach 1945 zur provisorischen Potsdamer Spielstätte umgebaut worden war. Trotz des Behelfscharakters wurde das Gebäude 1949 vom Brandenburgischen Landestheater mit „Faust. Der Tragödie erster Teil“ eingeweiht.

Diesen Anspruch hatte das 1952 nach dem Schauspieler Hans Otto benannte Haus auch in unserer Zeit. Inspiriert vom Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ spielten wir den Eingangsdialog zwischen Dorfrichter Adam und Schreiber Licht im Studentenheim nach. Noch anspruchsvoller gestaltetet war Schillers Drama „Wilhelm Tell“, wobei uns Sohn Walter in der Apfelschuss-Szene schmunzeln ließ, als er berlinernd sagte: „Ick will nich jebunden sein. Ick will stillhalten wie’n Lamm, und ooch nich atmen.“

Weil das Schauspielhaus ein Musiktheater-Ensemble bekommen hatte, gab es Opernaufführungen, die auf der kleinen Bühne großartig geboten wurden. Dazu gehörten „Der fliegende Holländer“ und „Der Freischütz“, aus denen wir auf dem Heimweg den Matrosen- beziehungsweise Jägerchor anstimmten. Konzerte des Orchesters standen nicht auf unserem Plan, dafür der Liederabend mit dem Musikalischen Oberleiter Gerd Bahner am Klavier und der Berliner Sopranistin Sonja Schöner anlässlich ihrer Verabschiedung, bei der wir der Kammersängerin Blumen überreichten und vor der Bühne stehend Beifall spendeten.

Öfter als im provinziellen Potsdam galt unser Besuch „weltbedeutenden Brettern“ in der Metropole Berlin. Favorit bei den Sprechbühnen war das 1850 als Friedrich-Wilhelm-Städtisches gegründete, durch Max Reinhardt geprägte und von Wolfgang Langhoff geleitete Deutsche Theater. Zuerst sahen wir das dramatische Gedicht „Nathan der Weise“ mit dem fast 90-jährigen Eduard von Winterstein in der Titelrolle, dessen klangvolle Stimme den Saal füllte und die Ringparabel zu einem Hörgenuss werden ließ. An gleicher Stelle folgten die Trauerspiele „König Lear“ sowie „Kabale und Liebe“ unter Mitwirkung großartiger Schauspieler wie Wolfgang Heinz und Otto Mellies, Inge Keller und Gisela May.

Oft führte unser Schauspielweg zum Schiffbauerdamm in das 1892 als Neues Theater eröffnete Gebäude, in dem das von Bertolt Brecht gegründete Berliner Ensemble Stücke des 1956 verstorbenen Dramatikers zeigte. Hier sahen wir das „Leben des Galilei“ mit Ernst Busch in der Hauptrolle, den ich bis dahin nur als „Barrikaden-Tauber“ kannte, sowie in der Modellfassung von 1958 „Mutter Courage und ihre Kinder“, als deren Titelfigur Helene Weigel glänzte. Besonders genossen wir das Gangster-Spektakel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, den Ekkehard Schall unnachahmlich verkörperte, und die 1960 ins Repertoire aufgenommene „Dreigroschenoper“ mit Wolf Kaiser als Mackie Messer.

Die aus einem Theaterverein hervorgegangene und 1954 wieder aufgebaute Volksbühne begeisterte mit Goldonis Komödie „Diener zweier Herren“ und einem Truffaldino in Gestalt von Rolf Ludwig, dem „Tausendsassa der großen Berliner Schaubühnen“, der sich selbst als „Suffkopp“ bezeichnete und nicht ganz nüchtern schien, wie sein exaltiertes Spiel vermuten ließ. Den Frömmler und Betrüger Tartuffe verkörperte im gleichnamigen Lustspiel der Österreicher Franz Kutschera, dessen Stimme als Schwejk ich aus einem Hörspiel kannte und gern nachahmte. An dem aus einer Singakademie entstandenen Maxim Gorki Theater sahen wir Friedrich Wolfs Schauspiel „Die Matrosen von Cattaro“ und in der Rolle des Franz Rasch den mir aus einer Halleschen Faust-Aufführung bekannten Albert Hetterle.

Von den Berliner Musiktheatern galt unser Besuch der 1955 wieder eröffneten Deutschen Staatsoper, wo als Chefdirigent das ehemalige NSDAP-Mitglied Franz Konwitschny wirkte, den Eingeweihte nicht grundlos „Kognakschny“ nannten. Unter seiner Stabführung erlebten wir D’Alberts Oper „Tiefland“, deren bunte Stilmischung uns wenig zusagte, dafür umso mehr Beethovens „Fidelio“.

Besser als der kühle Klassizismus der „Lindenoper“ gefiel die anheimelnde Atmosphäre der Komischen Oper, die 1947 vom österreichischen Regisseur Walter Felsenstein gegründet wurde und durch darstellerisch ausgefeilte Inszenierungen bestach. Dazu zählte „Die Zauberflöte“, deren 127. Aufführung seit der Premiere wir sahen, mit Sonja Schöner als Pamina. Gleiches galt für „La Boheme“, die populäre Puccini-Oper, deren locker-lyrische Szenen mir das Tucholsky-Bonmot verständlich machte: „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, aber dem kleinen Mann sein Puccini ist Lehar.“

Bei dieser Aufführung saßen wir erst- und einmalig im ersten Rang Mitte, erste Reihe zum halbierten Studentenpreis von 15 DM. Hier wurde mir klar, wie billig Westberliner dank Wechselkurs von 1:5 bis 1:10 Eintrittskarten und Verköstigungen kauften. Damit war nach dem 13. August 1961 Schluss und der Erwerb von Tickets für uns einfacher, dafür die Fahrt komplizierter. Sie führte nicht mehr durch Westberlin, sondern vom Bahnhof Pirschheide, seit 1960 Hauptbahnhof, mit einem „Sputnik“-Doppelstockzug weit ausholend quasi um die Stadt herum ins Zentrum.

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