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Astronom aus Potsdam entdeckt Zwergstern: Scholz’ Stern

Ein Potsdamer Astronom hat einen Roten Zwergstern entdeckt, der uns sehr nahe ist. Ein US-Kollege benannte ihn nach dem Entdecker Ralf-Dieter Scholz und fand heraus, dass der Stern einst unser Sonnensysten gestreift hat.

Potsdam - Die Neandertaler hätten ihn vielleicht sehen können. Zumal damals der Sternenhimmel durch keinerlei Lichtquellen gestört wurde. Weit draußen in der Oortschen Wolke, sozusagen im Außenbezirk unseres Sonnensystems, zog vor 70.000 Jahren ein Stern hindurch. „Scholz’s Star“, wie er seit 2015 heißt, brauchte vermutlich rund 10.000 Jahre, bis er durch die Vororte unseres Heimatsystems hindurch war - durch die Geröll- und Staubwolken, die dort draußen weit vor den ersten Planeten lagern. Ein winziger roter Punkt dürfte es gewesen sein, der kühle Rote Zwergstern, der sich da erdgeschichtlich gesehen vor einem Wimpernschlag in unser Sternensystem verirrt hatte. Auswirkung hatte das wohl keine, der Zwerg war zu massearm, um eine Ablenkung von Planeten zu bewirken – und zu weit weg, um mit seinem mattroten Licht visuell aufzufallen.

Ein ungewöhnlicher Name

Dass dieser Zwerg nun ausgerechnet „Scholz’s Star“ heißt, ist recht ungewöhnlich. Eigentlich tragen neu entdeckte Sterne eine lange Zahlenkolonne als Namen, ihren Koordinaten in Verbindung mit einem Kürzel. Doch der US-Astronom Eric Mamajek von der University of Rochester hatte seinen Potsdamer Kollegen Ralf-Dieter Scholz vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) Anfang 2015 gefragt, ob er den Stern nach seinem Entdecker nennen dürfe.

In Bezug auf die wichtigste Datenquelle hatte Scholz den Stern ursprünglich nach dem Nasa-Satelliten Wise und den Himmels-Koordinaten WISE J072003.20-084651.2 genannt. Dann schlug Mamajek den Versuch der unüblichen Namensgebung vor, die eigentlich nicht zulässig ist und vom Herausgeber der wissenschaftlichen Arbeit auch abgelehnt werden könnte. „Ich hatte ihm dann grünes Licht gegeben, ohne zu wissen, worum es ihm ging“, erinnert sich Scholz.

Dem Potsdamer Astronom war zwar schon 2014 aufgefallen, dass sich der neu entdeckte Himmelskörper für seine Nähe ungewöhnlich langsam am Himmel bewegte: Ohne die Messung der Radialgeschwindigkeit – in Blickrichtung zum Stern – war das aber nur ein vager erster Hinweis auf eine mögliche zurückliegende Begegnung mit unserer Sonne. Im vergangenen Jahr hatte Scholz mithilfe neuer Daten des „Wide-Field Infrared Survey Explorer“ (Wise)-Satelliten-Teleskops und älterer astronomischer Fotoplatten am AIP den Nachbarstern der Sonne entdeckt. Er versteckt sich heute im mit Sternen dicht besetzten Band der Milchstraße in einer Entfernung von rund 20 Lichtjahren zu uns. Ein Lichtjahr sind 9,461 Billionen Kilometer - eine Billion hat zwölf Nullen.

Ein Streifschuss

Eric Mamajek standen inzwischen mehr und genauere Daten zur Verfügung. Er konnte nachweisen, dass der Scholz-Stern zum Ende der Jungsteinzeit unserer Sonne auf bis zu 0,8 Lichtjahre – also etwa zehn Lichtmonate – nahegekommen sein musste. „Ein Streifschuss“, bestätigt nun der Entdecker des Sterns Ralf-Dieter Scholz die Ergebnisse seines US-Kollegen. Im Nachhinein hat sich Scholz über den Hintergrund der ungewöhnlichen Namensgebung gefreut. „Ich war auch erleichtert, dass mit meinem Namen nun keine negativen Schlagzeilen verbunden sind.“ Etwa wenn es sich um einen Stern gehandelt hätte, der mit unserer Sonne zu kollidieren droht. Warum Mamajek den Stern nach ihm benennen wollte, hatte Scholz ihn nicht gefragt. „Er wollte wohl einfach einen griffigeren Namen für den Stern haben“, vermutet der Potsdamer Astronom.

Scholz hatte in den Wise-Daten gezielt nach Roten Sternen gesucht, nach Roten Zwergsternen oder Braunen Zwergen. Wenn diese wesentlich heller im infraroten Licht strahlen als im optischen und sich noch dazu deutlich am Himmel bewegen, dann lässt das auf einen nahen Stern schließen. Weit entfernte rote Riesensterne zeigen dagegen keine messbare Eigenbewegung. Für die Messungen hatte Scholz Archivdaten herangezogen, Aufnahmen von Teleskopen auf der Erde, die er mit den Wise-Daten aus dem Weltraum abglich. So ist es ihm gelungen, den Stern auch auf einer alten Fotoplatte aus den 1950er-Jahren vom Palomar-Mountain Observatorium in den USA nachzuweisen. Er verglich Helligkeit und Position mit den Daten von 2010. Was einen Treffer bedeutete: Die Eigenbewegung und die zum Infrarot zunehmende Helligkeit verrieten die Nähe des Scholz-Sterns.

Niedriges Limit und viel Müll

Der Astrophysiker hatte seine Suche auf die Ebene der Milchstraße ausgedehnt, das Limit in der Eigenbewegung nach unten gedrückt und nicht nur nach ganz großen Bewegungen gesucht, da diese Sterne meist schon bekannt sind. So musste er zwar mehr „Müll“ herausfiltern. „Aber was zum Schluss herauskam, war sehr überzeugend.“ Durch die Farben alleine konnte er sich sicher sein, dass es sich um einen der kühlsten bekannten Roten Zwerge handelte, Spektraltyp M9, wie die Experten sagen. „Durch seine Helligkeit und Farbe war mir sofort klar, dass er sehr nah sein muss.“

Die zuerst nur grob ermittelte Entfernung von 20 Lichtjahren wurde inzwischen von zwei weiteren Arbeiten bestätigt. „Auf den ungewöhnlichen Stern hatten sich gleich weitere Astronomen gestürzt, um die Ergebnisse anhand noch neuerer Daten zu überprüfen“, so Scholz. „Es zeigte sich, dass ich mit meinen ersten Werten richtig lag.“ Und dass der neue Nachbar der Sonne auch noch einen Braunen Zwerg als Begleiter hatte. Dann kam die nächste, fast schon sensationelle Entdeckung, als Mamajek herausfand, dass der Scholz-Stern vor gar nicht langer Zeit durch unser Sonnensystem gewandert war. Durch das kleinere Limit der Eigenbewegung war ein naher Stern ins Netz gegangen, der sich mit nur vier Kilometern pro Sekunde parallel zur Sonne bewegte. Doch die Messung seiner Radialgeschwindigkeit verblüffte, denn es stellte sich heraus, dass der Stern sich mit zwanzigfacher Geschwindigkeit, mit 80 Kilometern pro Sekunde, von uns wegbewegte.

„Das war der entscheidende Hinweis darauf, dass er zuvor sehr nah an uns vorbeigeflogen sein musste“, erklärt Scholz. Dass die „Begegnung“ erst 70 000 Jahre her ist, hat den Potsdamer Astronomen dann auch ziemlich überrascht. „Wenn sich Sterne so nahekommen, dann passiert das nicht so oft, höchstens alle Millionen Jahre mal.“ Vielleicht deutet die Entdeckung aber darauf hin, dass es viel mehr Rote Zwerge gibt, als bislang angenommen wurde.

Viel Platz im Sonnensystem

Gefährlich sei die „Begegnung“ allerdings nicht gewesen. Sterne würden für gewöhnlich nicht zusammenstoßen. Und zwischen dem Roten Zwerg und unserer Sonne bestand damals immer noch ein riesiger Abstand. Der Stern war damals 50 000-mal weiter entfernt als die Erde zur Sonne. „In unserem Sonnensystem und erst recht zwischen den Sternen ist eben sehr viel Platz“, sagt Scholz. Für eine Anziehung der Sonne war der Scholz-Stern zu massearm. Außerdem hatte er es wohl sehr eilig: Er flog sehr schnell an uns vorbei. „Dadurch hat er nicht viel angerichtet.“ Und sollte der Stern doch einen winzigen Himmelskörper minimal von seiner Bahn abgelenkt haben, wäre eine daraus resultierende Kollision mit der Erde so unwahrscheinlich wie ein Lotto-Treffer – und fände erst in Millionen Jahren statt.

Auch die Strahlung dürfte damals kaum ins Gewicht gefallen sein, dazu war der Zwerg zu kühl und klein. Er muss fürs bloße Auge unsichtbar gewesen sein, wenn er nicht gerade einen Strahlungsausbruch hatte, erklärt Scholz. Dann wäre er kurzzeitig auch am Himmel der Erde zu sehen gewesen, allerdings nur als einer der schwächsten Sterne überhaupt. Scholz hat die überraschende Entdeckung nachhaltig motiviert, weiterzusuchen. „Nun ist klar, dass es sich auch lohnt, bei relativ kleinen scheinbaren Bewegungen zu suchen.“ Scholz setzt auf die neuen Daten des europäischen Gaia-Satelliten, der die Daten für eine Milliarde Sterne in unserer Galaxis messen wird. Dabei werden sicher auch weitere direkte Nachbarn unserer Sonne gefunden, die bislang unentdeckt blieben. „Ich bin immer beim Data-Mining“, so der Astronom.

Uralte rote Zwerge

Zumindest wird es seinen Stern noch sehr lange geben. Kühle Rote Zwerge haben eine längere Lebensdauer als beispielsweise unsere Sonne. So gesehen hat Scholz sich auf unbestimmte Ewigkeiten einen Namen gemacht. Während unsere Sonne neun Milliarden Jahre alt werden dürfte, von denen etwa die Hälfte bereits um sind, wird sein Stern weit älter als 13 Milliarden Jahre werden. Denn die Lebensdauer der Roten Zwerge, die auch heute noch entstehen, übersteigt das bisherige Alter unseres Universums. „Von ihnen ist noch keiner ausgegangen.“ Es ist nicht ausgeschlossen dass solche Sternbewegungen in der Vergangenheit Auswirkungen auf die Erde hatten und in Zukunft auch noch haben werden. Denn die Forscher gehen davon aus, dass es mehr herumvagabundierende Sterne gibt, als bislang angenommen wird. Dass der Scholz-Stern erst von 70.000 Jahren bei uns war, sei ein Fingerzeig dafür, dass stellare Besucher wohl häufiger bei uns vorbeikommen.

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