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In Erklärungsnot: Die Serie „Ende einer Legende“ über den Fernsehkomiker Paul Finchley (Robbie Coltrane) aus dem Jahr 2016 nimmt vorweg, was mit dem Weinstein-Skandal und der MeToo-Debatte offenbar wurde: die sexistische Machokultur im Showgeschäft.

© Arte

Arte-Serie "Ende einer Legende": Verdrängte Wahrheiten

Eine Arte-Serie zeigt, wie die Übergriffigkeit großer Showstars lange Zeit toleriert wurde. Bemerkenswert: Der Vierteiler stammt von 2016 und nimmt damit den Weinstein-Skandal und die MeToo-Debatte vorweg.

„Die Milch ist sauer, die Kühe leiden wohl unter Wetterfühligkeit“. Mit solchen Witzchen hat der englische Fernsehkomiker Paul Finchley sein Publikum immer zum Lachen gebracht. Selbst im Alter, nachdem sein Stern gesunken ist, genießt der Spaßmacher eine ungebrochene Popularität. Als zwei Frauen ihm vorwerfen, er habe sie vor 30 Jahren vergewaltigt, ist Schluss mit lustig. Eine Arte-Serie aus dem Jahr 2016 nimmt vorweg, was mit dem Weinstein-Skandal und der anschließenden #MeToo-Debatte öffentlich wurde: eine Vielzahl sexueller Übergriffe hinter den Kulissen des Showgeschäfts.

Die Hauptrolle in diesem ungewöhnlichen Vierteiler verkörpert Robbie Coltrane. Unvergessen ist der Brite durch die Polizeiserie „Für alle Fälle Fitz“, in der er als spielsüchtiger Psychologe verdrängte Wahrheiten ans Licht beförderte. Diesmal spielt er eine etwas andere Rolle. Als alternder Komiker, der am Krückstock geht und von seiner eigenen Leibesfülle erdrückt wird, setzt dieser Mann Himmel und Hölle in Bewegung, um die Wahrheit zu vertuschen.

Mit jeder Folge taucht die Serie tiefer ein in das Innenleben einer schrecklich netten Familie, deren Mitglieder in die obsessiven Machenschaften des Star-Komikers tief verstrickt sind. Pauls Frau Marie (Julie Walters) kompensiert jahrzehntelange Demütigungen ihres Mannes auf ihre Weise. Sie redet sich ein, es sei eine Art Treue, wenn er ihr die Seitensprünge wenigstens beichtet. Rückblenden in die 90er Jahre zeigen unterdessen, wie die eigene Tochter Dee (Andrea Riseborough) zu Maries Hauptkonkurrentin avanciert. Dee zerbricht an der inzestuösen Beziehung zum Vater, wird drogenabhängig und verbringt ihr Leben zwischen Psychiatrie und betreutem Wohnen.

Die Frauen verlieren doppelt

Der zentrale Fokus richtet sich schließlich auf das Gerichtsverfahren. Hier müssen die beiden Klägerinnen – darunter Pauls ehemaliges Kindermädchen, das zugleich Dees beste Freundin war – ihre Anschuldigungen öffentlich wiederholen: eine peinigende Situation, in der sie das widerfahrene Leid noch einmal durchleben. Da der wohlhabende Komiker beliebige Summen für Anwälte aufbringen kann, ist dies ein ungleicher Kampf. Die Frauen verlieren doppelt. Am Ende schmeißt Paul eine große Party, auf der er unversehens in seiner ganz privaten Hölle anlangt. Mitleid empfindet man aber keines.

Die Mini-Serie „Ende einer Legende“ knüpft an wahre Begebenheiten an: „Sie denken, ich bin Jimmy Savile“, klagt der verdächtigte Paul mehrmals. Er spielt damit auf den englischen „Top of the Pops“-Moderator an, der, von zahlreichen Mitwissern gedeckt, jahrzehntelang Kinder missbraucht hatte.

Die Serie führt vor Augen, welche Narrenfreiheit solche Prominente in der Öffentlichkeit genießen. Am Beispiel einer Kellnerin, der Pauls berühmter Kollege Karl (Tim McInnerny) unter den Blicken zahlreicher Gäste im Restaurant dreist unter den Rock langt, wird gezeigt, wie die Übergriffigkeit großer Stars gesellschaftlich toleriert wird. Ist es nicht eine Ehre, wenn der große Komiker einem an die Wäsche geht?

Geschrieben hat den ambitionierten Vierteiler Jack Thorne, ein britischer Drehbuchautor, der unter anderem eine Episode der aktuellen Amazon-Serie „Electric Dreams“ beisteuerte. Die elegante, im kühlen britischen Upperclass- Luxus schwelgende Inszenierung wird gebrochen durch schräge Froschperspektiven auf den wie ein Walross schnaufenden Robbie Coltrane.

Regisseur Marc Munden erhielt für diese Serie den BAFTA Award, den bedeutendsten nationalen Filmpreis Großbritanniens. „Ende einer Legende“ ist eine beklemmende Studie über männliche Hybris und sexistische Machokultur im Showgeschäft.

"Ende einer Legende", Arte, Donnerstag, 20.15 Uhr

Manfred Riepe

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