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ARD und ZDF für Flüchtlinge: CSU will Integrationsfernsehen mit "deutscher Leitkultur"

ARD und ZDF sollen einen Kanal für Flüchtlinge starten, fordert die CSU. Kritiker fürchten, dass das "bayerische Integrationsstadl" ein „mediales Ghetto“ wird.

Wie groß die integrative Kraft des Fernsehens sein kann, ist jeden Sonntagabend zu verfolgen. Millionen Menschen schauen den „Tatort“ im Ersten, kommentieren die Story auf Twitter und am Montagmorgen werden die Kollegen gefragt, wie ihnen die Folge gefallen hat. „Lagerfeuerfernsehen“ werden solche Programme deshalb auch genannt, weil alle zusehen und sich daran wärmen.

Nun kommt ausgerechnet von der CSU ein Vorschlag, wie Fernsehen auch für Flüchtlinge hierzulande eine integrative Kraft entfalten könnte: ARD und ZDF sollen ein „Integrations TV“ einrichten, „ein Deutsches Integrationsfernsehen“, schreibt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in einem Brief an den ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor und ZDF-Intendant Thomas Bellut. „DIF“ könne dieser neue Kanal kurz heißen und finanziert werden aus der eingefrorenen Finanzreserve von 1,6 Milliarden Euro, schlägt Scheuer vor. Auf diese Höhe werden sich bis Ende 2016 voraussichtlich die Mehreinnahmen aus dem neuen Rundfunkbeitrag summieren. Die Einnahmen liegen jedoch zunächst auf Sperrkonten und dürfen nicht verwendet werden, ehe ein politischer Beschluss gefasst ist.

"Vermittlung unserer deutschen Werte"

Scheuer begründet seinen Vorschlag damit, dass die Integration von Flüchtlingen eine „Mega-Aufgabe“ sei. Zu dieser müssten „auch die TV-Anstalten ihren Beitrag leisten“, heißt es in dem Brief, der am Donnerstag dem Tagesspiegel vorlag. Integration gelinge nur, wenn die „Bleibeberechtigten schnell die Regeln unseres Zusammenlebens lernen“. Zum Programm gehören sollten deshalb Sprachkurse, Grundgesetz-Unterricht, Informationen über das Leben im deutschen Staat, Dokumentationen über gelungene Integrationsprojekte „und selbstverständlich die Vermittlung unserer deutschen Werte und unserer deutschen Leitkultur“.

Wie aber soll ein Programm „Deutsche Leitkultur“ aussehen? Das bleibe dann den Sendern überlassen, teilte ein CSU-Sprecher am Donnerstag auf Anfrage mit. Das Angebot solle allerdings vorwiegend deutschsprachig sein, schließlich sollten die Flüchtlinge die deutsche Sprache lernen – grundsätzlich ein guter Gedanke, und trotzdem erinnert der Vorschlag an die Idee der Christsozialen vom Dezember 2014, wonach Einwanderer dazu „angehalten werden“ sollten, zu Hause Deutsch zu sprechen. Für diesen Vorschlag erntete die CSU damals viel Spott und auch dieses Mal wirkt die Vorstellung, dass Flüchtlinge künftig „Leitkultur TV“ sehen sollen, befremdlich.

Als „mediales Ghetto zum Scheitern verurteilt“

Ein solches Programm sei als „mediales Ghetto zum Scheitern verurteilt“, sagt Manfred Kloiber, Bundesvorsitzender der Fachgruppe Medien bei Verdi. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe „keinen Erziehungs-, sondern einen Bildungsauftrag. Dem kommen ARD, ZDF und Deutschlandradio am besten nach, indem sie sich auf allen Kanälen intensiv und kritisch mit dem Thema Migration auseinandersetzen.“

Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei nennt den Vorschlag eines "bayerischen Integrationsstadls zur Indoktrination von Flüchtlingen" "harmlos" im Vergleich "zu den Abschiebe- und Mauerbaufantasien der CSU". Bevor die Partei anderen Bildungsaufträge erteile, sollte sie sich selbst in Deutschland auskennen: "Die Deutsche Welle ist seit 1953 auf Sendung und hat die Aufgabe, Deutschland als europäisch gewachsene Kulturnation und freiheitlich verfassten demokratischen Rechtsstaat verständlich zu machen – und insgesamt das Verständnis und den Austausch der Kulturen und Völker fördern", erklärt Rixinger. "Der Großteil der Flüchtlinge hat derzeit nicht einmal ein winterfestes Dach überm Kopf, geschweige denn ein Wohnzimmer in dem die Familien gemütlich Scheuers Vorstellungen, wie sich ein guter Deutscher zu verhalten hat, verfolgen könnten."

"Keine Finanzreserven dafür aufbrauchen"

Auch Tabea Rößner, Sprecherin der Grünen im Bundestag für Sprecherin für Medien, Kreativwirtschaft und digitale Infrastruktur bezweifelt, dass ein eigener Integrationskanal die erhoffte Wirkung entfalten kann, "denn er separiert die Gesellschaft ja zunächst wieder". Um die unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen am besten erreichen zu können, sei es sicherlich diskussionswürdig, etwa über Sprachlernprogramme in bestehenden öffentlich-rechtlichen Kanälen nachzudenken. "Das gehört allerdings zum Rundfunkauftrag, es sollten dafür keine Finanzreserven aufgebraucht werden", betont Rößner.

Bereits jetzt bieten ARD und ZDF ein Programm für Flüchtlinge an. Beispielsweise mit der „Sendung mit der Maus“. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat auf seiner Website zahlreiche Lach- und Sachgeschichten auf Arabisch, Kurdisch und Darsi sowie Englisch übersetzt, um Kindern aus Flüchtlingsfamilien den Einstieg in die Kultur und Lebensweise hierzulande zu erleichtern. Clips auf Romani und Französisch sollen folgen. Die Resonanz sei sehr gut, heißt es vom WDR. Vermutlich gerade deshalb, weil die „Maus“ kein Programm ist, dass mit erhobenem Zeigefinger die „deutsche Leitkultur“ vermitteln will, sondern sich spielerisch aus den Sendungen selbst ergibt, wie deutscher Alltag aussehen kann.

Flüchtlinge nutzen Smartphones für mediale Angebote

Überhaupt: Auf welchen Geräten sollen Flüchtlinge ein linear ausgestrahltes „Integrations“-Programm verfolgen? Die meisten von ihnen dürften hier keinen Fernseher besitzen – und sich von ihrem knappen Geld sicher nicht als Erstes einen anschaffen. Vielmehr konsumieren Flüchtlinge Medieninhalte über Smartphones. Dass ARD und ZDF ihr mobiles Angebot ergänzen, ist deshalb sinnvoller, als einen eigenen Kanal zu gründen, heißt es auch vonseiten der Sender. Zumal sie dies auch gar nicht selbst entscheiden dürften. Um einen neuen Kanal zu gründen – wie jetzt den kürzlich beschlossenen Jugendsender von ARD und ZDF –, wäre eine gesetzliche Beauftragung durch die Länder erforderlich.

Die CDU unterstützt deshalb auch nicht konkret den Vorschlag ihrer Schwesterpartei. „Wir müssen über alle Vorschläge offen diskutieren, die dabei helfen können, die Integration von Flüchtlingen zu verbessern", sagt ein Sprecher lediglich.

ARD und ZDF haben bereits Angebote für Flüchtlinge

Sowohl ARD und ZDF verweisen deshalb auf das bereits bestehende Angebot für Flüchtlinge, das schnell erweitert werden soll. „Die Integration von Flüchtlingen ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, der sich das ZDF stellt“, heißt es von dem Mainzer Sender. Über die breite Berichterstattung in den aktuellen Sendungen, Magazinen und Sondersendungen hinaus plane das ZDF gezielte Angebote für Flüchtlinge. In der ZDF-Mediathek würden künftig alle wichtigen Sendungen zum Thema gebündelt angeboten. Außerdem werde daran gearbeitet, die täglichen „Logo“-Nachrichten in der Mediathek auch mit arabischen Untertiteln anzubieten.

Die ARD hat unter dem Link refugees.ard.de sämtliche Angebote der ARD-Sender sowie der Deutschen Welle zum Thema Flüchtlinge zusammengefasst. Dort finden sich neben der „Maus“ unter anderem Antworten auf grundsätzliche Fragen und Erklärfilme auf Englisch. Im ARD-Hörfunk würden unter „Refugee Radio“ zudem Nachrichten speziell für Flüchtlinge angeboten. Außerdem sei geplant, die „Tagesschau in 100 Sekunden“ auch auf Englisch und Arabisch zu senden.

Und warum nicht auch den „Tatort“? Der ist vielleicht nicht „Leitkultur“, aber sicherlich eine Art deutsches Kulturgut.

Sonja Álvarez

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