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Auf immer und ewig. Die beiden Freunde Fred (Tilman Döbler, links) und Jonas (Valentin Wessely) schließen Blutsbrüderschaft. Nichts und niemand wird sie trennen können.

© BR

ARD-Film "Zuckersand": Wir Kinder aus Falkenwerder

„Zuckersand“ erzählt die DDR aus der Perspektive von Kindern. Gefeiert wird der Wert der Freundschaft über alle Grenzen hinweg.

Ein Kinderspiel? Von Falkenwerder an der Oberhavel sind es genau 12 742 Kilometer bis nach Australien, wenn die Route quer durch den Mittelpunkt der Erde führt. Fred (Tilman Döbler) und Jonas (Valentin Wessely) machen sich an die Arbeit. Eimer um Eimer graben sie sich in den feinkörnigen Brandenburger Sand. In Australien dann wollen sich die beiden Zehnjährigen wieder treffen.

Wo auch sonst, denn Fred und Jonas werden sich trennen müssen. Freds alleinerziehende Mutter Olivia (Deborah Kaufmann) hat einen Ausreiseantrag gestellt. Jetzt sind sie und ihr Sohn „Staatsfeinde“ der DDR, Freds Vater Günther (Christian Friedel), der als Zollbeamter arbeitet, untersagt seinem Sohn jeden Kontakt mit dem „Republikflüchtigen“.

Der Sommer 1979 reißt die Jungens aus ihrem unbeschwerten Alltag, bislang erkundeten sie ihren kleinen Kosmos und fantasierten sich durch den großen. Der kauzige, lebenskluge Nachbar Kaczmareck (Hermann Beyer) schließt ihnen die Welt auf, die wahren Abenteuer sind nicht am Strand der Oberhavel und nicht an der innerdeutschen Grenze zu erleben – die wahren Abenteuer sind im Kopf. „Das Gute an so einer Kopfreise ist, du kommst wirklich hin, wo du hinwillst. Im Kopf kann man überall hinreisen. Und wenn du auf den Mond willst, kein Problem. Stellst eine Leiter ran und rauf“, spornt Kaczmareck den Entdeckergeist an.

DDR aus der Kinderperspektive

Der ARD-Film heißt „Zuckersand“, und wer jetzt an das Sandmännchen denkt, der hat sich erst mal im Kopf verirrt. Dirk Kummer und Bert Koß haben eine DDR-Geschichte aufgeschrieben, aber eine neuartige, die sich von den bisherigen Komödien und Tragödien zu 40 Jahren real existierendem Sozialismus entfernt. Erzählt wird aus der Sicht der Kinder. Das verengt die Sicht auf die absurd-alltägliche, politisch-private Realität nicht, wo sich System-Arrangeur Günther Ernst („Die Organe haben es ermöglicht, dass es uns so gut geht.“) und System-Skeptiker Kaczmareck begegnen. Es wird nicht verklärt, nicht verzerrt, nicht verjubelt, das Leben ist ein Berg aus Sand, den keiner aufhalten kann, wenn man ihn mal in Bewegung bringt. Das Drehbuch setzt Akzente und verzichtet auf Effekte. Von ferne weht Benno Pludras Kinderbuchklassiker „Die Reise nach Sundevit“ herüber, 1966 von Heiner Carow verfilmt.

Im „Zuckersand“ kommen die Brüche schnell. Erst mit dem Ausreiseantrag, dann als Jonas beim Grenzübertritt abhaut. Er hat die Koordinaten vergessen, ohne die ein pfeilgerader Weltdurchstoß nach Australien nicht möglich ist. Er muss und er kommt zurück nach Falkenwerder, unter dramatischen Umständen. Jetzt muss Familie Ernst – und nicht nur sie – Position beziehen. Vater Fred bekommt seinen Kopf wieder nicht aus dem Sand, doch Mutter Michaela (Katharina Maria Schubert) verwandelt sich von einer linientreuen Ehefrau zur Frau mit Courage. Das Geschehen wird dramatischer, ohne das Drama zu überdehnen. Es klärt Verhältnisse und es klärt die Betroffenen darüber auf, was zu tun, was zu lassen ist.

Auch Fred kennt jetzt seinen Weg. Er wird die gesetzten Grenzen überwinden, das Sprinttalent in der Kaderschmiede des DDR-Leistungssports so lange und so hart und mit Sandsäcken an den Knien trainieren, bis er im Olympiakader bis nach Australien reisen kann. Dort und dann wird er Jonas wiedertreffen.

Poetischer Realismus

„Zuckersand“ ist ein Fest der Freundschaft und der Freiheit, dass jeder die Menschen zu seinen Freunden haben kann und soll, die er zum Freund haben will. Der Film, genauer: die Regie von Dirk Kummer, erdet die Poesie in der Realität und verpflanzt den Realismus in die Poesie. Natürlich Genauigkeit im DDR-Detail, doch fangen Bilder und Inszenierung nicht Mief und Tristesse ein, sondern rahmen und illustrieren eine Welt, wie sie Kinderaugen sehen. Zeitgeist- und Systemkritik nur in kleinen Dosen – Zehnjährige leben im Hier und Jetzt und nicht im Wenn und Aber der Erwachsenen.

Famos, wie Tilman Döbler den Fred und Valentin Wessely den Jonas spielt. Sie wirken wie aus dem DDR-Leben 1979 herausgriffen und nicht hineingesetzt. Wahr und wirklich sind sie, weil sie für unverbrüchliche Kinder- und Kindheitswerte stehen. Auch das übrige Ensemble – Hermann Beyer, Katharina Marie Schubert, Christian Friedel – versammelt sich hinter der Geschichte. Sie machen die Figuren nicht größer, als sie sind, sie machen sie nicht kleiner. Wo bei den Kindern die Wärme ihrer Beziehung ausstrahlt, ist es bei den Erwachsenen die wachsende Wahrhaftigkeit ihrer Beziehungen.

Und wenn der Globus des Nachts durchs Kinderzimmer schwebt, schwebt die Fantasie des Zuschauers mit.

„Zuckersand“, ARD, Mittwoch, um 20 Uhr 15

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