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Das Leben davor. Antonia Schneider (Jella Haase) stand kurz vor dem Abitur und wollte einfach nur feiern, als sie in den Tunnel der Duisburger Loveparade geriet.

© WDR/Alexander Fischerkoesen

ARD-Film über die Loveparade-Tragödie: Die Wut der Überlebenden

Der Film „Das Leben danach“ erzählt vom Trauma der Loveparade-Tragödie. Aufgeladen wird das noch durch die im Dezember startende juristische Aufarbeitung.

Im Duisburger Tunnel, wo sich am 24. Juli 2010 Tausende stauten und in einen Kampf um Leben und Tod gerieten, wird der Opfer mit Fotos, Kerzen und Blumen gedacht. An den Wänden sind die Umrisse der Menschen aufgemalt, als hätte sich die Loveparade hier auf ewig eingebrannt. An einem solchen Ort verhält man sich pietätvoll, doch im Fernsehfilm „Das Leben danach“ werden die Zeichen der Anteilnahme zornig weggefegt. Von Antonia (Jella Haase), einer jungen Frau, die damals selbst in der Masse gefangen war. Das Schild mit der Aufschrift „Warum?“ ist der Auslöser. „Es gibt kein Darum“, wird sie später sagen. Die, die tot sind, seien die Guten. „Und wir, die überlebt haben? Sind die Kaputten, die nichts auf die Reihe kriegen.“

Antonia ist 24, hat nach der Loveparade die Schule abgebrochen und ist ohne Job. Sie lebt bei ihrem Vater, einem Musiklehrer (Martin Brambach), und ihrer Stiefmutter (Christina Große), einer Sozialarbeiterin. Eine sympathische Ruhrgebietsfamilie ist das, es geht rau, aber herzlich zu. Und wenn Antonia nicht gerade die Gedenkstätte zerstört, ist ihre rotzige, direkte Art erfrischend.

Zugleich ist sie extrem verletzlich und kann durch ein rosa Tuch, das von der Schulter einer Frau zu Boden segelt, aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Dann setzen Flashbacks ein: Erinnerungsfetzen, die das Gefühl der Enge und Ausweglosigkeit zurückbringen. Regisseurin Nicole Weegmann beschränkt sich klugerweise auf diese kurzen, schnell geschnittenen Flashbacks und versucht erst gar nicht, die Vorgänge im Detail nachzustellen. Der Film bedient jedenfalls keinen Katastrophen-Voyeurismus.

Sonst gibt es keine Rückblenden. Drehbuch (Eva und Volker A. Zahn) und Inszenierung verzetteln sich nicht in dem komplexen Geschehen der Vergangenheit, sondern bleiben ganz konzentriert bei den beiden Hauptfiguren in der Gegenwart. Während Antonia stets unter Spannung steht, ist der deutlich ältere Sascha (Carlo Ljubek) der in sich gekehrte Ruhepol. Die naheliegende Vermutung, dass hier eine Liebesgeschichte zwischen Opfer und Täter erzählt werden soll, erfüllt sich zwar in gewisser Weise.

Eine ziemlich unerbittliche Runde

Aber die Tiefe der Charaktere, die Inszenierung und die aufregende Präsenz von Jella Haase sowie das kongeniale Zusammenspiel mit dem souveränen Carlo Ljubek verhindern jeden Anflug von plumpem Kitsch. Sascha, ein verkrachter Mathematiker, fährt Taxi, Antonia läuft ihm nach dem Wutausbruch an der Gedenkstätte vors Auto. Unklar bleibt vorerst, warum sich Sascha für Antonia interessiert. Oder warum er seine Fahrgäste filmt, „Menschen sammelt“, wie er sagt. Und dass er leichtfertig behauptet, er sei damals auch im Tunnel gewesen, weckt erst recht Antonias Misstrauen.

Gerade die Widersprüchlichkeiten sind es, die die Figuren lebensnah wirken lassen. Und so hält man diese etwas rätselhafte Verbindung sofort für möglich, auch weil da eine Menge Energie fließt zwischen den beiden Polen, die sich gegenseitig anziehen und wieder abstoßen. Bemerkenswert außerdem, dass die therapeutische Selbsthilfe der Überlebenden nicht simpel idealisiert wird.

Im Gegenteil: Der Stuhlkreis im Verein „Die Rampe“ erweist sich als eine ziemlich unerbittliche Runde. Es stellt sich heraus, dass sowohl Sascha als auch Antonia von Schuldgefühlen geplagt werden. Während sie alles niederreißen will, hat er sich verschanzt. Zwei starke, ambivalente Figuren sind das, in einer Geschichte, die die vielfältigen Folgen der Tragödie von Duisburg sichtbar macht.

Am 8. Dezember soll in Düsseldorf die juristische Aufarbeitung der Loveparade-Tragödie beginnen. In Duisburg waren 21 Menschen gestorben, mehr als 600 verletzt worden. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl traumatisierter Überlebender. Angeklagt sind zehn Personen. Es wird ein langwieriger Prozess, 111 Verhandlungstage sind bereits angesetzt. Im Film gibt es statt eines Schuldspruchs ein offenes Ende. Und die Hoffnung, dass es im Leben danach auch ein Leben davor geben kann.

„Das Leben danach“; ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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