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"Anrufe nimmt jede Polizeidienststelle entgegen": ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" wird 50

Als „Aktenzeichen XY ... ungelöst" 1967 auf Sendung ging, befürchteten die Deutschen Denunziantentum und Nachahmungstäter. Nachgeahmt wurde jedoch nur das Sendungskonzept. Ein Rückblick.

„Den Fernseher zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen – das ist der Sinn unserer neuen Sendereihe ,Aktenzeichen XY ... ungelöst‘ “. Mit diesem Satz begrüßte ZDF-Moderator Eduard Zimmermann am 20. Oktober 1967 die Fernsehzuschauer zunächst in Deutschland, später auch in Österreich und der Schweiz. Die Sendung wurde zum Straßenfeger, bis zu 18 Millionen Zuschauer schauten zeitweise zu, wenn im Fernsehen Verbrechen wie Mord, Sexualdelikte, Erpressung oder Kindesentführung behandelt wurden. Und obwohl die mitunter grausamen Gewaltverbrechen nicht explizit gezeigt wurden, gehörte „Aktenzeichen XY“ zu den Sendungen, die Kindern zunächst streng verboten waren.

Der Erfolg von „Aktenzeichen XY“ lässt sich gut erklären.  „Das Interesse an Kriminalgeschichten geht weit zurück in die Historie bis zu Moritaten und Bänkelliedern“, sagte der Medienwissenschaftler Jens Ruchatz von der Philipps-Universität Marburg dem Tagesspiegel. Eduard Zimmermann habe mit „Vorsicht Falle! – Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ und „Aktenzeichen XY“ einen erzieherischen Ansatz verfolgt. Durch die Verbrechensaufklärung habe er aber einen Mehrwert erzielt, indem er das Fernsehvolk in die Polizeiarbeit einbezog. „Interaktivität spielte in dieser Sendung von Anfang an eine entscheidende Rolle. Das war eine revolutionäre Idee, mit der aus einem angeblich passiv machenden Medium ein aktivierendes Medium wurde.“

"Misstrauen an der richtigen Stelle"

2002 hat Rudi Cerne die ZDF-Sendung übernommen. Ängstlicher sei er durch die Beschäftigung mit dem Thema nicht geworden, sagt er. „Ich bin auch nicht misstrauisch, ich bin einfach vorsichtig. Misstrauen an der richtigen Stelle, darauf kommt es an.“

Zu den wesentlichen Elementen von „Aktenzeichen XY“, ohne die es eine solche Sendung im Fernsehen der 1960er Jahre nie hätte geben können, gehören die festen Grundsätze: Bei den Fällen muss es sich um Kapitalverbrechen handeln. Zudem muss die Polizei zuvor bereits alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um den Täter zu ermitteln oder einen bekannten Täter zu finden. Bei der Auswahl der Fälle kann die Polizei auf den Sender zugehen, in Fällen von großer öffentlicher Bedeutung oder Aufmerksamkeit war es jedoch auch oftmals die Redaktion, von der die Initiative ausging. So war es Moderator Rudi Cerne sehr wichtig, den Fall des Anfang des Jahres umgekommenen HSV-Managers Timo Kraus in die Sendung zu bringen.

Die Zusammenarbeit ist nicht auf Deutschland, Österreich und die Schweiz (die seit 2003 beziehungsweise 2004 nicht mehr direkt an der Sendung beteiligt sind) beschränkt. Es wurde auch schon mit Ermittlern in den USA, Frankreich, Dänemark, England, Belgien, Holland, Tschechien und Polen zusammengearbeitet, wenn ein Bezug zum deutschsprachigen Raum vorlag.

In den Anfangsjahren, aber auch in den 70er und 80er Jahren, gab es aber auch heftige Kritik an der Sendung. Führt die Schilderung von Verbrechen nicht zu Nachahmung? Befördert „Aktenzeichen XY“ nicht die Überwachung der Mitmenschen und die Blockwartmentalität? „Diese Befürchtungen haben sich als überwiegend unbegründet erwiesen, zumal der Großteil der Zuschauer aus Unterhaltungsgründen einschaltet. Seit dem Aufkommen von Computerspielen und den Online-Medien steht das Fernsehen nicht mehr primär in der Schusslinie“, sagte Medienwissenschaftler Ruchatz. Nachgeahmt wurden somit nicht die Verbrechen, sondern das Sendungskonzept: 1982 ging in den Niederlanden „Opsporing Verzocht“ auf Sendung, 1984 folgte die BBC mit „Crimewatch UK“, in den USA heißt das Format „Crime Investigation“ und in den USA und in Kanada entstand „America’s most wanted“. Auch in Deutschland gibt es TV-Sendungen, die sich an Eduard Zimmermanns Sendung orientieren - so wie das RBB-Format "Täter - Opfer - Polizei", das sich mit Verbrechen in der Region Berlin-Brandenburg beschäftigt.

Ein regelmäßiger Zuschauer: Innenminister de Maizière

Einer der regelmäßigen Zuschauer des deutschen Originals ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière. „Auch ich habe – wie so viele Bürgerinnen und Bürger – an vielen Abenden die Anrufe verfolgt und mich über jeden gelösten Fall gefreut. Denn Verbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben“, schreibt der Minister in einem Grußwort zu 50 Jahren „Aktenzeichen XY“, mit der Sendung habe Zimmermann, so de Maizière, eine Weltneuheit geschaffen, eine erfolgreiche dazu (siehe Kasten).

Ein Verfallsdatum ist nicht in Sicht, die Grundidee hat sich nicht abgenutzt. „An True-Crime-Serien mit fiktionalen Elementen hat man sich vielleicht irgendwann sattgesehen. Aber durch den Wirklichkeitsbezug wird jeder Fall in ,Aktenzeichen XY‘ als neu und individuell empfunden“, meint Ruchatz. „Und dieser gewisse Kitzel, das könnte auch mir passieren und der Täter könnte auch mein Nachbar sein, ist nach wie vor vorhanden.“

Die nächste Sendung läuft am 25. Oktober, es soll um Blitzeinbrecher und einen Bankraub gehen – und um Mord.

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