zum Hauptinhalt
Anne Will beim TV-Talk am Sonntagabend.

© daserste.ndr.de/Tsp

Anne Will zur Türkei und Flüchtlingen: Der Preis ist eine Frage des persönlichen Standortes

"Abhängig von Erdogan": Anne Will diskutierte am Sonntagabend mit einer gut gewählten Gästerunde den EU-Türkei-Deal. Ein AKP-Abgeordneter machte ein Problem besonders deutlich.

Nach einem wirren, aber vielleicht auch nur selbstironisch gemeinten Tatort, gegen den eine Böhmermann-Satire als ein wohlgeordnetes Kindergedicht erscheinen musste, sollte Anne Will die Zuschauer wieder auf den Boden der Realität zurückholen. „Abhängig von Erdogan – Zu hoher Preis für weniger Flüchtlinge?“ lautete die Frage, und um ganz unprofessionell die Antwort vorweg zu nehmen: Es kommt darauf an ...

Die Schlussfolgerung aus Entweder-Oder-Fragen ist nämlich nicht so einfach. Die Gäste jedenfalls, eingeladen, sich damit auseinanderzusetzen, waren gut gewählt. Kanzleramtsminister Peter Altmaier musste und konnte den Besuch der Kanzlerin am Vortag an der südosttürkischen Grenze zu Syrien verteidigen. Martin Schulz, Präsident des Europa-Parlamentes, die Sicht der EU-Volksvertretung beisteuern, Cem Özdemir, das moral-demokratische grüne Band zwischen Deutschland und der Türkei bilden, Mustafa Yeneroglu, in Deutschland sozialisierter AKP-Abgeordneter mit türkischen Wurzeln, den Erdogan-treuen geben und Selmin Caliskan als Generalsekretärin von Amnesty International daran erinnern, dass die Türkei nicht unbedingt die Inkarnation einer Demokratie im westlichen Verständnis ist.

Dass es kulturelle Unterschiede gibt, die in Diskussionen nicht überwunden, sondern allenfalls nebeneinander gestellt werden können, wurde am deutlichsten durch Mustafa Yeneroglu. Man muss ihm wohl zustimmen, wenn er deutscher Kritik an demokratischen Defiziten in der Türkei – die er natürlich vehement bestreitet – entgegenhält, dass in der Türkei keine Flüchtlingsunterkünfte attackiert werden.

Aber wenn er staatliche Verfolgung von Journalisten damit rechtfertigt, sie hätten den Propheten beleidigt, ist die Debatte an einem Punkt angelangt, an dem man Differenzen allenfalls registrieren, aber nicht überbrücken kann. Da prallt ganz einfach die aufgeklärte auf die vor-republikanische  Gesellschaft.

Wenn Altmaier und Schulz sich nahestehen

Glaubhaft kommt immer wieder Peter Altmaier rüber. Wir haben uns sehr stark auf die Lösung des Flüchtlingsproblems konzentriert, macht er die Prioritäten klar und entschuldigt Merkels Nicht-Treffen mit Oppositionellen durch die EU-Mission, in die die Kurzvisite eingebettet war. Das sagt auch Martin Schulz, der dadurch überzeugt, dass er keine parteipolitische Differenz zwischen Altmaier und ihm aufkommen lässt, sondern ganz einfach die demokratischen Defizite der Türkei auflistet: Ein politischer und militärischer Feldzug gegen die Kurden, die andauernden Repressalien gegen Journalisten, die aufrüttelnde Schlussfolgerung: Die Türkei ist auf dem Weg in einen autoritären Staat.

Ob der Preis für den Deal mit der Türkei zu hoch ist, bleibt auch nach einer Stunde eine Frage des persönlichen Standortes. Immerhin darf man eine Lehre mitnehmen aus all der Kritik an der von Angela Merkel durchgesetzten Vereinbarung, die ja zur Programmatik der EU wurde: Wenn sich nicht 20 der an der Vereinbarung über die Verteilung von Flüchtlingen beteiligten 28 EU-Staaten ihrem Teil der Verpflichtung entzogen hätten, wäre der nun so heftig kritisierte Pakt mit dem Regime Erdogan nicht nötig gewesen. Das sagt Martin Schulz.

Ein Wort noch zu Anne Will: Sie setzte sich durch, wo nötig. Und schwieg, wo es der Sendedramaturgie nützlich war.

Zur Startseite