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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU, links) und Gastgeberin Anne Will in der Debatte um Syrien.

© Wolfgang Borrs/NDR/dpa

"Anne Will" zum US-Luftangriff: In Syrien gibt es nicht nur eine Wahrheit

Eine Verletzung des Völkerrechts oder eher ein Befreiungsschlag Trumps? Und was bedeutet der US-Luftangriff für das Verhältnis zu Putin? Bei Anne Will waren viele Analysen zu hören. Eine TV-Kritik.

Liebe Freunde des Krawalls am Sonntagabend vor dem Ins-Bett-gehen, das war sicher eine Enttäuschung für Sie! Da schrie niemand rum bei Anne Will, keine Claqeure im Publikum, keine Monologe, kein beleidigtes Schmollen oder erzürntes Unterbrechen von Gesprächsteilnehmern. Stattdessen Zumutung ohne Ende, fast eine Stunde lang zu der Frage: „Trump bekämpft Assad - Droht jetzt ein globaler Konflikt?“

Zwar hatte jeder der fünf Diskutanten so seine Meinung, allerdings mit einer großen Schnittmenge zwischen vieren davon, aber ohne Verteidigungsministerin von der Leyen, die war dann doch in transatlantische und andere Disziplinen eingebunden und hatte für den Abend die staatstragende Rolle übernehmen müssen. Aber gleich ob der außenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Jan van Aken, oder John Kornblum, Ex-US-Botschafter, Michael Wolffsohn, Historiker und emeritierter Professor der Bundeswehrhochschule oder Michael Lüders, Autor und pro-arabischer Protagonist, alle waren sich einig, dass die USA mit ihren Interventionen nach 9/11 ob im Irak, in Afghanistan oder in Libyen mehr Chaos als Beruhigung angerichtet haben.

Nur: Was sagt uns das im Blick auf die von US-Präsident Donald Trump angeordneten Angriffe auf jenen syrischen Stützpunkt, von dem vermutlich die Giftgasangriffe auf hilflose Zivilisten geflogen wurden?

Jan van Aken sieht da nur die Verletzung des Völkerrechts als Akt der Aggression im Mittelpunkt. Michael Wolffsohn bestreitet den Verstoß nicht, fragt aber ganz nüchtern, was denn ein Völkerrecht nutze, das die Menschen außer Acht lasse. Michael Lüders, der den Ursprung allen Übels in der mittelöstlichen Welt ganz generell in Washington sieht, verteidigt im Nachhinein Obamas Nichtstun bei den Giftgasattacken des Jahres 2013 mit dem Hinweis, der Präsident habe Zweifel haben müssen, ob damals Assad der Schuldige gewesen sei, und heute wisse man natürlich auch nichts. Diese Variante für Obamas Zögern war neu.

"Haudraufaktion mit politischem Zweck"

Die nüchternste Analyse kam von Michael Wolffsohn, der 31 Jahre lang Professor für Geschichte war und diesseits und jenseits des Atlantiks als exzellent verdrahtet gilt, darin John Kornblum ähnlich. Trumps Befehl zum Raketenangriff sei eine „Haudraufaktion mit politischem Zweck“ gewesen, sagt er. John Kornblum nannte es übrigens einen „befreienden Schlag“, obwohl er, den US-Demokraten traditionell verbunden, nicht unterließ, auf das anhaltende Durcheinander in der (republikanischen) Trump-Administration hinzuweisen.

Die Russen seien vorgewarnt gewesen, so Wolfssohn, hätten ihr Personal in Sicherheit gebracht und die Tomahawk-Marschflugkörper nicht abgeschossen, was sie hätten tun können. Und nun werde Putin einen Preis dafür verlangen, dass die USA wieder auf dem Schauplatz aktiv sind. Den könne er einfordern, etwa durch eine Tolerierung der Krim-Besetzung seitens der USA oder durch amerikanisches Wegschauen in der Ostukraine.

Das sieht Kornblum anders: Putin sei nun in der Sackgasse, fand er. Dass der ganze Vorgang die Rollenverteilung in der Weltpolitik wieder auf die USA und Russland, allenfalls noch auf China konzentriert habe, davon gehen bis auf die Bundesministerin der Verteidigung alle aus. Die brachte das diplomatische Potenzial Europas ins Gespräch. Das klang fast rührend. Die Lehre nach einer Stunde: Es gibt nicht nur eine Wahrheit, wir vermuten mehr, als wir wissen, aber das ganz entschieden. Wer Spaß am politischen Diskurs hat, passte auf. So gesehen, eine gute Sendung.

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Gerd Appenzeller

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