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Homepage: „Allzu viel Zeit bleibt nicht mehr“

Potsdamer Klimakonferenz: Wolfgang Lucht über den steigenden Meeresspiegel, abgedrängte Tierarten und die Nachhaltigkeitskrise „Ohne Klimaschutz würde die Erde in 100 Jahren völlig anders aussehen“

Herr Prof. Lucht, Sie haben zur Potsdamer Klimakonferenz gestern über Nachhaltigkeit gesprochen. Wie viel Zeit verbleibt uns noch für einen nachhaltigen Klimaschutz?

Die Zeit drängt in der Tat sehr. Es ist dringender denn je, mit einer massiven Reduktion der Emission von Treibhausgasen zu beginnen. Die Forschung hat schon seit den 70er Jahren und sehr deutlich seit Beginn der 90er Jahre auf das Problem des Klimawandels hingewiesen. Aber politisch ist in dieser Zeit zu wenig geschehen. Dadurch wurden mindestens 15 Jahre verloren. Denn um gefährliche Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden, müssen die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2050 halbiert und bis zum Ende des Jahrhunderts ganz eliminiert werden. Die Umsetzung solcher Reduktionen ist schwierig, deshalb kann damit nicht früh genug begonnen werden. Die derzeitige globale Finanzkrise zeigt, dass Staaten durchaus in der Lage sind, rasch zu handeln, wenn Gefahr droht. Dies ist beim Klimawandel der Fall.

Woran mangelt es derzeit?

Politik und Öffentlichkeit sind sich zwar inzwischen bewusst, dass der Klimawandel ein reales Problem ist. Sicher ist auch, dass der Mensch der Verursacher der Erd erwärmung ist. Aber das volle Ausmaß der auf die Welt zukommenden Auswirkungen ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer nicht ganz angekommen. Diese Auswirkungen sind noch immer größtenteils zu verhindern. Aber allzu viel Zeit besteht nicht mehr.

Wie läuft es auf internationaler Ebene weiter?

Ende 2009 wird in Kopenhagen eine wegweisende Weltklimakonferenz stattfinden. Dann sollen die Ansätze der Vorkonferenz von 2007 in Bali und der in Kürze in Poznan stattfindenden weiteren Konferenz in ein konkretes Abkommen über nächste Schritte im Klimaschutz umgesetzt werden. Viele würden es schon als einen Erfolg betrachten, wenn es in Kopenhagen überhaupt zu einem verbindlichen Abkommen kommt. Aber das reicht nicht. Es muss gelingen, erhebliche Reduktionen, große Ziele, mit Zeitplan festzuschreiben. Wenn dies nicht gelingt, ist ein größerer Klimawandel nicht mehr zu vermeiden, das Politikziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 2 Grad wäre kaum mehr zu erreichen.

Bei der Reduktion des Treibhausgases CO2 ist man aber nicht weit vorangekommen.

Die Menschheit hat 2007 zehn Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben. Das ist ein neuer Rekordwert. Die Tendenz der Emissionskurven zeigt unverändert nach oben. Das ist sehr besorgniserregend. Die Trendwende ist noch nicht gelungen, nicht einmal ein sichtbarer Einstieg in Reduktionen. Daran sind alle Nationen der Erde beteiligt. Es gibt deutliche Zuwächse bei den Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch in den Industriestaaten geht es schleppend voran. Einen ganz erheblichen Anstieg hat China zu verzeichnen. Seit 2005 emittieren die Schwellen- und Entwicklungsländer erstmals mehr CO2 als die Industriestaaten. Allerdings lebt in ihnen auch ein Großteil der Weltbevölkerung. Wir reichen Länder, mit nur einem Sechstel der Erdbevölkerung, produzieren so viele Treibhausgase wie der ganze Rest der Menschheit.

Hat der Klimawandel tatsächlich zugelegt?

Wie Beobachtungen zeigen hat sich das Klima im zurückliegenden Jahrzehnt schneller verändert als die Klimaforschung vor zehn Jahren prognostiziert hat. Der Anstieg des Meeresspiegels, der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und der Temperatur bewegen sich im oberen Bereich dessen, was erwartet wurde. Falls sich dieser Trend fortsetzt, müssen wir damit rechnen, dass die Klimaforschung zu optimistisch war und der Klimawandel noch rascher vonstatten geht, als wir dachten.

Neue Daten zeigen, dass es eigentlich sogar noch wärmer sein müsste.

Es gibt einen besorgniserregenden sogenannten Maskierungseffekt. Die nicht nur in China derzeit erhebliche Luftverschmutzung führt zu einer Abkühlung der Atmosphäre. Ohne die Abschirmung der Sonnenstrahlen durch diese Luftverschmutzung wäre die Erderwärmung schon jetzt deutlich stärker. Wenn die weltweit nötigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung erfolgreich umgesetzt werden, wird die Temperatur plötzlich schneller ansteigen.

Was müssen wir uns unter einem schneller ansteigenden Meeresspiegel vorstellen?

Wir müssen inzwischen mit einem mittleren Anstieg von einem Meter in diesem Jahrhundert rechnen. Das ist ein erheblicher Anstieg, der enorme technische Maßnahmen in den niedrigen Küstengebieten der Erde nach sich ziehen wird, auch in Europa. Die Deiche zu erhöhen, welche die Küstenstädte schützen, wird keine Kleinigkeit sein. In diesem Jahrhundert entscheidet sich auch, ob ein unaufhaltbares Abschmelzen von Grönland einsetzt oder nicht. Ist es in Gang gesetzt, steigt der Meeresspiegel im Laufe von mindestens einigen Jahrhunderten um volle sieben Meter an. Das würde zum Beispiel die norddeutsche Küstenlinie deutlich ins Inland verlagern. Das ist in einer recht fernen Zukunft der Fall, aber verhindert werden kann es nur heute. Dafür tragen wir die Verantwortung.

Was erwartet uns noch?

Noch dramatischer als der Meeresspiegelanstieg wird bei ausbleibender Begrenzung des Klimawandels eine weitgehende Veränderung der globalen Umwelt sein. Die Vegetation der Erde wird sich in ihrer Zusammensetzung und Verteilung überall stark wandeln. In 100 Jahren würde die Erde, die wir heute kennen, so nicht mehr vorhanden sein. Die arktischen Tundren und Ökosysteme der oberen Bergzonen werden verschwinden, die Waldgrenze weit nach Norden wandern. Wir können derzeit nicht ausschließen, dass es gleichzeitig in den großen Waldgürteln Sibiriens und Kanadas zu einer großflächigen Ausdünnung der Bäume durch Trockenheit kommt. Dies ist aber relativ unsicher.

Ist auch der Regenwald bedroht?

Einige Modellrechnungen zeigen, dass der Regenwald am Amazonas durch eine starke Abnahme der Niederschläge in dieser Region absterben könnte. Das wäre ein dramatischer Verlust eines riesigen, kontinentalen Ökosystems. In anderen Regionen dagegen wird es grüner werden als heute, zum Beispiel in einigen Halbwüsten. In unserer temperierten Zone wird es zu einer Abnahme des Nadelwaldes und einer Zunahme des Laubwaldes kommen. Die Umwelt wird also stark in Bewegung kommen. Davon wird dann auch die kulturelle Identität vieler Völker direkt berührt.

Mitteleuropa ist aber weniger betroffen?

Auch Mitteleuropa wird einen Wandel erleben, wir werden ihn aber noch am ehesten verkraften können. Es wird in erster Linie – aber nicht nur – die ärmeren Länder treffen. Wer allerdings glaubt, dass uns nicht tangiert, was in Afrika passiert, der hat die gleiche Haltung wie jemand, der seinen Müll über den Zaun in den Garten des Nachbarn wirft, weil der sich nicht wehren kann.

Und die Tiere?

Schon heute ist es bei vielen Tieren wie den Elefanten so, dass sie von der expandierenden Landwirtschaft in wenige Schutzzonen abgedrängt worden sind. Wenn solche Lebensinseln durch den Klima wandel plötzlich für diese Tierarten unbewohnbar werden, gibt es für sie keinen Ausweg. Aber noch können wir dies alles verhindern. Als Wissenschaftler wollen wir nicht Panik schüren, sondern vorwarnen. Wenn erkannt wird, dass diese Probleme tatsächlich konkret und dringend sind, so sind wir auf dem richtigen Weg. Wandel per se ist nicht unbedingt verkehrt, er gehört zur Welt und zum Leben. Aber ein zu rascher Wandel ist gefährlich, da er nicht gestaltet werden kann. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir die enormen wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten unserer Gesellschaft auf die Lösung der Menschheitsprobleme dieses Jahrhunderts richten. Sonst werden diese Probleme uns einholen.

Sie sehen noch weitere globale Probleme, die den Klimawandel überlagern.

Wir haben eine Nachhaltigkeitskrise, der Klimawandel ist nur ein Aspekt davon. Es besteht weiterhin das große und dringliche Ziel, den Hunger auf der Welt zu beseitigen. Die ärmeren Staaten haben ein berechtigtes Interesse, sich zu entwickeln. Klar ist aber, dass Entwicklung nach dem historischen Muster westlicher Industrialisierung nicht nachhaltig erfolgreich sein kann, Umweltzerstörung und Kolonialisierung durch den kleineren, industrialisierten Teil der Welt sind schon jetzt gravierend genug. Dieser Weg ist also kein Rezept für die Zukunft aller Menschen, auch für uns nicht länger. Die Frage ist also, welche alternativen Wege gibt es? Was sind nachhaltige Wege für das 21. Jahrhundert? Die Suche gilt umweltverträglicher Energieproduktion, Transportsystemen, Kommunikationswegen und einem schonenderen Umgang mit der Ressource Umwelt. Unser Lebensstil ist nicht auf die Welt übertragbar. Aus diesem Gerechtigkeitsproblem kommen wir nicht heraus.

Wohin müssen wir uns also bewegen?

Die verschiedenen Gesellschaften der Erde müssen sich alle auf ihre Weise transformieren, darin liegt eine große Chance. Das fossile Zeitalter geht zu Ende, das Problem der Armut in vielen Weltregionen bleibt bedrängend. Die Frage geopolitischer Ordnung im 21. Jahrhundert kommt auf uns zu, eine multipolare Welt ist im Entstehen. Deswegen wäre der UNO-Weltsicherheitsrat das richtige Gremium, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Fragen von Wohlstand, Frieden, globalem Auskommen in neuen Strukturen stehen zur Debatte. Die Gesellschaft sollte die Dringlichkeit zu handeln erkennen, und die Wissenschaft muss Alternativen und Lösungen anbieten. Sonst werden wir die Zukunft schlichtweg erleiden statt sie zu gestalten. Das Schlimmste wäre es, der Illusion zu erliegen, dass es einfach schon irgendwie weiter gehen wird.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Prof. Wolfgang Lucht ist Leiter des Forschungsbereichs Klimawirkung/Vulnerabilität am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er gehört zu den Organisatoren der Klimakonferenz.

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