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Knuspriges Krabbeln. Die neue Insekten-Kost ist nicht jedermanns Sache, doch knusprige Mehlwürmer schmecken angenehm mild und nussig. Sie sind ein prima Chips-Ersatz, reich an essentiellen Aminosäuren und guten Fetten.

© Marijan Murat/dpa

Agrarforschung Potsdam: Würmer als Nahrung der Zukunft

Potsdamer Wissenschaftler erforschen den Nutzen von Insekten als Lebens- und Futtermittel. Sie sehen ein erhebliches Potenzial in Wäldern und Äckern.

Potsdam - Zwei Monate dauerte es, bis Timo Bäcker die erste Kakerlake aß. Ein markantes Erlebnis, an das sich der Firmengründer heute mit einem Grinsen erinnert. Ende vergangener Woche hatten 250 Teilnehmern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an Internationale Konferenz zur Nutzung von Insekten als Futter- und Lebensmittel „Insecta 2019“ teilgenommen. Diskutiert wurden an der Uni Potsdam Möglichkeiten, Insekten für tierischen und menschlichen Verzehr wie auch für andere Anwendungen zu nutzen. Veranstalter waren das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie Potsdam-Bormin (ATB) und die Pilot Pflanzenöltechnologie Magdeburg e.V. (PPM).

300 000 knusprige Insekten-Riegel

Zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Christopher Zeppenfeld hat Bäcker aus dem Verzehr von Insekten mittlerweile ein Geschäftsmodell gemacht. Acht Mitarbeiter haben bisher 300 000 knusprige Swarm-Riegel produziert, die in Supermärkten angeboten werden. Auf den Geschmack gekommen waren die beiden Unternehmensgründer 2015 bei einer Reise durch Asien. Die Idee, dass sich Insekten zu Nahrung verarbeiten lassen, erscheint in Europa exotisch. „Aber für geschätzt zwei Milliarden Menschen, die jeden Tag Insekten essen, ist es eine ganz gewöhnliche Nahrungsquelle“, sagt Oliver Schlüter vom Potsdamer ATB.

Ein Bericht der Abteilung für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO) aus dem Jahr 2013 war für die beiden Unternehmensgründer die Initialzündung, sich eingehend mit dem Nährstoffgehalt von Insekten zu befassen. Das Nahrungspotenzial von Insekten sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft, hieß es da. Selbst wenn bereits mehr als 1900 Arten von Insekten weltweit von Menschen verspeist werden, so liege dennoch ein erhebliches Potenzial in den Wäldern und Äckern brach.

ATB-Forscher Schlüter kennt zahlreiche Vorteile von Insekten als Nahrungsmittellieferanten: Sie seien einfach zu domestizieren, lieferten hochwertiges Protein und die Zusammensetzung der Aminosäuren sei für den menschlichen Körper ideal. Gleiches gelte für ungesättigte Fettsäuren. Alles essenzielle Stoffe, die der menschliche Körper benötigt und sich bisher vorwiegend auf pflanzlicher oder tierischer Basis aneignet.

Alles gegessen, was mehr als vier Beine hat 

Der Bericht entfachte in Wirtschafts- und Wissenschaftskreisen eine lebhafte Suche nach bisher verborgenen Möglichkeiten der Nahrungsmittelbeschaffung. Und Timo Bäcker brach auf zu einer Fahrradtour durch Asien, um vor Ort zu erkunden, wie sich Käfer- und Kakerlaken gestützte Nährstoffversorgung anfühlt. „Wir haben alles gegessen, was mehr als vier Beine hatte und nicht bei drei auf den Bäumen war“, erzählt Bäcker. So kam er auf die Idee war, ein Unternehmen zu gründen, um den bisher in Europa vernachlässigten Nährstoff zu verwerten.

Das Potenzial ist riesig und bei weitem noch nicht erforscht, denn von ungefähr einer Million bekannter Arten von Lebenwesen auf der Erde sind laut FAO rund die Hälfte Insekten. Sie benötigen viel weniger Energie bei der Futterverwertung als Schwein, Rind und Huhn um die gleiche Menge an Inhaltsstoffen für Nahrung zu produzieren.

Dennoch ist es nicht jedermanns Sache, vollmundig in eine geröstete Heuschrecke oder Hummel zu beißen. Dementsprechend forschen Wissenschaftler am ATB daran, wie Insekten fraktioniert, also in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt, und dann entsprechend dem jeweiligen chemischen Grundstoff verarbeitet werden können. Neue Verarbeitungstechniken- und Ketten sind denkbar. „So kann beispielsweise Chitin aus Insektenpanzern bei der Verpackungsherstellung eingesetzt werden“, erklärt Sara Bußler vom ATB. Ultraschall, Hochspannungsimpulstechniken und Hochdrucktechniken würden dafür unter anderem eingesetzt.

Da stellt sich allerdings die Frage, ob Insekten gegebenenfalls über ein Schmerzempfinden verfügen und so möglicherweise nur das gequälte Schwein gegen die malträtierte Biene getauscht wird. Dazu werden verschiedene Thesen vertreten. Versuche mit der als Laborinsekt ausgesprochen beliebten Drosophila-Fliege ließen ein Team um den Forscher William T. Gibson zu dem Schluss kommen, dass Insekten über Reaktionsmuster verfügen, die der Angst, die Säugetiere empfinden, zumindest vergleichbar sei. Claus Zebitz, Insektenforscher an der Universität Hohenheim, widerspricht dem und weist auf das völlig anders strukturierte Gehirn von Insekten hin. Auch Oliver Schlüter vom Potsdamer ATB verweist drauf, dass das Nervensystem der Insekten anders aufgebaut sei als beim Menschen oder anderen Tieren. „Man geht davon aus, dass es kein Schmerzempfinden in unserem Sinne gibt“, so Schlüter. Allerdings sei der Forschungsbedarf zu dieser Frage noch groß.

Bis zur industriellen Massentierhaltung der Krabbeltiere wäre es ohnehin noch ein weiter Weg. „Insekten werden auf absehbare Zeit die herkömmlichen Nutztiere nicht verdrängen“, ist sich der Diplomingenieur Heinrich Katz sicher. Zur biologischen Schädlingsbekämpfung wie auch als Futtermittel für Fische in Aquakulturen – etwa Lachs und Forelle für Sushi – produziert seine Firma Insekten. Die Schwarze Soldatenfliege ist eines der Insekten mit denen Katz mittlerweile vier Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Aus Insekten gewonnene biologische Insektizide sieht Katz als Zukunftsmarkt: „Eigentlich benötigt niemand mehr Chemie, um Getreide oder Tomaten zu züchten. Die Schädlingsbekämpfung können wir komplett biologisch erledigen.“

Ein Problem für die Insektenbranche tat sich allerdings durch die Rinderseuche BSE auf. In Folge der Tierseuche durften keine tierischen Proteine mehr in der Viehzucht verfüttert werden, was auch für Insekten galt. Gegenwärtig strebe die Gesetzgebung aber hier eine differenziertere Sichtweise an, so Katz.

Mehlwurm-Burger noch selten

Auf den Speisekarten der Restaurants und Imbisse sind Mehlwurm-Burger gegenwärtig noch selten zu finden. Bäcker hat daher einen anderen Weg eingeschlagen: Das Mehl und die zerkleinerten Inhaltsstoffe der Insekten werden beispielsweise Riegeln mit Schoko- oder Himbeergeschmack beigemischt. 

Die waren zunächst wegen ihres hohen Nährstoffgehalts als Sportlernahrung gedacht. „Aber das wird auch beim ganz normalen Verbraucher immer beliebter“, so Bäcker. Mittlerweile gebe es auch Anfragen von großen Lebensmittelketten.

Richard Rabensaat

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