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AfD - Medien - Gesellschaft: „Wer nur entlarven will, verstärkt die Einigelung“

Die AfD und die mediale Herausforderung, Enttäuschungswut und Angstlust: Interview mit Medienforscher Bernhard Pörksen.

Herr Pörksen, CSU-Spitzenpolitiker Joachim Herrmann hat ARD und ZDF am Wahlabend vorgeworfen, sie hätten die AfD „groß gemacht“. Ist dieser Vorwurf aus Sicht des Medienwirkungsforschers haltbar?

Nein, solche Sätze sind ein Symptom eines medialen Aberglaubens, der diesen Wahlkampf geprägt hat wie selten zuvor. Zuerst erwartete man vom Fernsehen, dass es beim TV-Duell die Wende bringt und programmatische Unterschiede zwischen Angela Merkel und Martin Schulz offenbart, die es nicht gibt. Nun soll das Fernsehen, insbesondere das öffentlich-rechtliche, schuld daran sein, dass die AfD groß geworden ist.

Meine Einschätzung ist eine andere. Rechtspopulisten nutzen alte und neue Medien, sie setzen auf den Eklat, um sich dann, wenn die Empörung anläuft, umso intensiver als Opfer zu inszenieren. Dieser Reiz-Reaktions-Effekt nutzt ihnen, liefert ihnen den Sauerstoff der Publizität, den sie so dringend brauchen für ihre Kampagnen. Aber deswegen von einer Alleinverantwortung des Fernsehens oder gar von ARD und ZDF zu sprechen, ist moralisierender Monokausalismus.

Den Wahlkampf haben Sie bezeichnet als „verstörendes Zusammenspiel aus Politik und Medien, das im Ergebnis ein visionsfeindliches Kommunikationsklima erzeugt“. Ist das der Nährboden für den Wahlerfolg der Rechtsextremen?

Ich denke schon, ja. Je undeutlicher die Alternativen in der Mitte, desto stärker und attraktiver die Ränder. Es fehlte in diesem Wahlkampf die große Politik, der elektrisierende Gesellschafts- und Zukunftsentwurf, der hätte mobilisieren können – ganz gleich, ob es um die Vision der offenen Gesellschaft, die Idee Europas, die ökologische Modernisierung oder ein Konzept der digitalen Mündigkeit geht, das diesen Namen verdient. Die politische Mitte hat die programmatische Polarisierung vermissen lassen, die Arbeit der Zuspitzung nicht wirklich gewagt und die lange Linie nicht deutlich sichtbar gemacht.

Mit welchen Konsequenzen?
Dieses streitarme Abtasten und Taktieren im Wahlkampf – der Modus der vorgezogenen Koalitionsverhandlung – hatte zwei Effekte: Zum einen konnte die populistische Polarisierung der Rechten, das Ressentiment und das Spiel mit der Angst und den scheinbar einfachen Lösungen sehr viel stärker verfangen. Zum anderen ist eine ratlose Mitte entstanden, die schlicht nicht wusste, wen sie wählen und über welche Zukunftsidee man eigentlich gerade abstimmen sollte. An diesem Klima gelebter Visionsfeindlichkeit haben alle ihren Anteil, der lauernde, auf den Hype und das nächste Fehlerchen wartende Journalismus genauso wie der Angstpolitiker, der das Studium der gerade aktuellen Umfrage mit Programmarbeit verwechselt.

Immer wieder wird von den Filterblasen und Echokammern gesprochen, in denen sich die Anhänger der AfD bewegen. Wie in aller Welt erreicht man Menschen in derartigen Kommunikationshöhlen?

Im Zweifel gar nicht. Die Studien, die es gibt, zeigen: Man bastelt sich – weniger von Algorithmen regiert, stärker bestimmt durch Ideologie und Weltanschauung – eine eigene Informationswelt zusammen, in der man überall nur Bestätigung für die eigenen Ansichten findet. Kollektiv kann man sich so in eine Art Mehrheitsillusion hineinhypnotisieren, frei nach dem Motto: Wir sind viele! Und unsere Ansichten werden in den etablierten Medien ja gar nicht repräsentiert!

Heißt dann: Freude ist die Verweigerung von Information.

Ich bin mir nicht sicher, ob Selbstabschottung wirklich Freude macht, die Welt wird zwar einfacher, aber auch stiller, farbloser. Aber wie man unter den Bedingungen der effektiven Selbstabschottung die Grundlage einer gemeinsamen gesellschaftlichen Verständigung erhält – das ist die Eine-Million-Euro-Frage in einer fragmentierenden Medienwelt. Vielleicht gelingt dies nur mit einer immer wieder neuen Mischung aus Gesprächs- und Konfrontationsbereitschaft und der Großanstrengung, die Ursachen der gegenwärtigen Enttäuschungswut wirklich zu begreifen.

Damit will ich sagen: Die politische Mitte muss in einer solchen Situation zum kritischen Zuhörer werden und ihre eigene Haltung überdenken. Wer eigentlich nur belehren und beschimpfen, entlarven und sich moralisch aufplustern will, verstärkt die Einigelung und treibt auch jene an die Ränder, die noch schwanken. Und wer jeden Schwachsinn als wertvollen Dialogbeitrag lobt, verrät sich selbst und hilft womöglich dabei, völkisches Denken salonfähig zu machen. Das ist das Dilemma.

Leitmedien, das war einmal, oder?

Natürlich gibt es noch mächtige Medien, aber ihre Deutungsautorität schwindet. Das neue Leitmedium der digitalen Öffentlichkeit ist das Wirkungsnetz, das plötzliche Aufschäumen von Aufmerksamkeit im Medienverbund. Und plötzlich reden dann alle über einen einzigen Tweet eines vor sich hin wütenden amerikanischen Präsidenten, erregen sich über ein einzelnes Video oder lachen rund um den Globus über einen einzigen Scherz.

Sie sprechen vom „Übergang der Mediendemokratie zur Empörungsdemokratie“. Klingt sehr nach dem resignativen Motto: Wer lauter schreit, der bekommt mehr recht. Sie bleiben bei dieser Position?

Ja, aber sie ist anders gemeint. Es geht darum, eine Grundtendenz zu beschreiben, nicht Geschrei zu rechtfertigen. Die Mediendemokratie – das war die Zeit der mächtigen Leitmedien, die am Tor zur öffentlichen Welt darüber entscheiden konnten, was relevant ist und was nicht. Die allmählich entstehende Empörungsdemokratie – das ist das sich neu sortierende Feld, in dem jeder eine Stimme hat und zum Sender geworden ist. Eigentlich ist dies eine grandios gute Nachricht.

Aber sie bedeutet eben auch: Nun wird die Wut über die Wut der jeweils anderen Seite zum kommunikativen Normalfall. Alles ist sofort sichtbar, jeder Tweet und jedes Posting kann neue Erregungsschübe auslösen – und man taumelt in einen Zustand der Daueraufregung hinein, getrieben durch die Sofort-Konfrontation mit anderen Ansichten, die unmittelbar in den eigenen Kommunikationsradius hineingerückt sind: Wie anders und womöglich seltsam der digitale Nachbar doch denkt! Das ist die Grunderfahrung der vernetzten Welt.

Regiert "Angstlust" Teile der Gesellschaft?

Die Reaktionen auf den AfD-Wahlerfolg zeigen auch eine neue „Angstlust“ in Teilen der Gesellschaft. Man gruselt sich wohlig vor dem heraufziehenden „Vierten Reich“. Bestimmt mittlerweile nicht nur die Hysterie der AfD-Fans das kommunikative Klima, sondern auch die Hysterie der AfD-Gegner?

Ich würde nicht grundsätzlich von Hysterie sprechen, eher von Verunsicherung, wie man mit dem AfD-Erfolg umgehen soll. Denn tatsächlich ist es eine Zäsur, dass eine in Teilen offen rassistisch und revanchistisch auftretende Partei in den Deutschen Bundestag einzieht; bislang konnte man sich auf die Kräfte der Selbstzerstörung verlassen, die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wieder auseinandertrieben. Von den Republikanern bis zur NPD oder DVU galt: Je größer der Erfolg, desto intensiver die Machtkämpfe, desto schneller die Spaltung bis hin zur weitgehenden Selbstdemontage. Jetzt regieren Machtkämpfe und Lügen, jetzt treten Teile der Parteiführung offen rechtsextrem auf, aber man wird trotzdem gewählt. Das ist neu. In der Situation beginnt die hektische Rezept- und Antwortsuche – mal hysterisch, mal mit der nötigen Portion Nüchternheit, mal beseelt von der Mission, die alles entscheidende Ad-hoc-Entlarvung zu liefern.

Bleibt die Frage aller Fragen: Wie sollen die Medien mit dem Rechtspopulismus umgehen?

Selbstkritisch, nüchtern, sachorientiert. Die gezielte Ignoranz, die gegenwärtig von manchen gefordert wird, wäre Publikumsbevormundung, die Nachrichtensperre für AfD-Rempeleien unrealistisch und falsch. Wichtiger ist es, den Mechanismus der Provokation selbst in den Blick zu rücken, die Aufklärung über die Medienstrategie der Rechtspopulisten immer mitlaufen zu lassen. Im Grunde genommen geht es um den Balanceakt, der guten Journalismus immer auszeichnet: Man muss unerschrocken recherchieren und informieren – ohne Schaum vor dem Mund und ohne Spektakelhoffnung, die einen zum heimlichen Komplizen von Extremisten und den Profis des Tabubruchs werden lässt.

Das Interview führte Joachim Huber.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt schrieb er mit dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun „Kommunikation als Lebenskunst“.

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