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Im Diskurs. Binas (M.) und Schellnhuber (r.) mit dem Ex-Rektor der FH, Helmut Knüppel (l.).

© Andreas Klaer

25 Jahre Fachhochschule Potsdam: Sinnesorgan für die große Transformation

25 Jahre Fachhochschule: Die Hochschule in Potsdams Norden könnte ein Testfeld für den gesellschaftlichen Wandel werden.

Potsdam - Der Applaus war ungewöhnlich stark. So stark, als wollte man die Zäsur nutzen, um sich von dem soeben Gehörten wieder etwas frei zu machen. Gesprochen hatte Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), weltweit geachteter Wissenschaftler. Er sprach an der Fachhochschule Potsdam die Festrede zum 25. Jubiläum am Mittwoch. Warum das gerade ein Klimaforscher tat, mochte sich manch einer gefragt haben. Es war dem Gespür des FH-Präsidenten Eckehard Binas zu verdanken, der sich seit vielen Jahren schon mit dem Thema der gesellschaftlichen Transformation befasst.

Was Schellnhuber den rund 200 Gästen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sagte, hatte größtmögliche Fallhöhe, war teilweise schockierend und hinterließ tiefes Nachsinnen. Denn der Physiker, der wie kaum ein anderer darüber Bescheid weiß, an welchem kritischen Punkt das Erdsystem heute durch den Treibhauseffekt steht, stellt diese nüchternen Erkenntnisse immer auch in einen gesellschaftlichen und politischen Gesamtkontext. Was ihm nicht nur Bewunderung, sondern bisweilen auch Verachtung einbringt. Der designierte US-Präsident Donald Trump habe schon mehrfach recht unfreundlich über ihn getwittert, so Schellnhuber. Dennoch setzt er unbeirrbar auf Dialog. Er will Trump bei seinem ersten Deutschlandbesuch zum Gespräch nach Potsdam einladen.

Was passiert, wenn die Menschheit 500 Millionen Jahre geronnenes Sonnenlicht – die fossilen Brennstoffe – nutzt, um die Entwicklung der Industrialisierung immer weiter voranzutreiben, das zeigt Schellnhuber mit drastischen Diagrammen und Simulationen. Mittlerweile sind die Folgen der Erderwärmung weithin bekannt, wenn auch nicht immer anerkannt. Dass aber die CO2-Emissionen ab 2020 auf Null sinken müssen und danach der Atmosphäre sogar noch Kohlendioxid entzogen werden muss, um das Paris-Ziel überhaupt zu erreichen, muss in der Öffentlichkeit noch ankommen. Wie auch die Bedeutung des aktuell festgestellten Rückgangs des Meereises – ein dramatischer Systemwechsel, so Schellnhuber. Er spricht von abnormalen Reaktionen des Systems.

Und Schellnhuber sagt nicht nur, was ein Physiker beobachten kann. Er interpretiert es auch vor dem Hintergrund des politischen Weltgeschehens. Etwa die Jahrhundertdürren in Syrien, die dem Bürgerkrieg dort vorangegangen waren. Schellnhuber rechnet geradezu mit einem Exodus in Folge des Klimawandels. „Die Fluchtbewegungen werden nicht aufhören.“ Die Welle des Populismus, die wir heute erleben, sei der „Fallout der Finanzkrise“, sagt er – und ist bei der ungleichen Verteilung auf der Welt. Seine Antwort darauf: ein Ausgleich zwischen Arm und Reich. „Die Transformation muss ein Teilen sein, ein Angebot der Bessergestellten an die Schwächeren – ein neuer Gesellschaftsvertrag“, sagt der Physiker.

Und hier bringt Binas die FH wieder ins Spiel. Sie habe sich nach 25 Jahren eine Position erarbeitet, aus der heraus sie sich den „vieldimensionalen Transformationsprozessen unserer Zeit stellen kann – und muss“. Dem FH-Chef geht es nicht nur um die Vision eines Klima-Campus an der Kiepenheuerallee, ihm geht es um die Scharnierfunktion der Hochschule in gesellschaftlichen Debatten und politischen Diskursen. Verzahnung, Wechselwirkung und Teilhabe bei der Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Ein Prozess der gerade erst beginnt, für den die Hochschule ein Labor und Testfeld sein kann: ein Taktgeber im Aushandlungsprozess. Heute sei die FH ein Sinnesorgan für Transformationsprozesse. Die Transformationspiloten der Zukunft kommen vielleicht aus Potsdam. Jan Kixmüller

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