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100 Mal "aktuell": Zeitschrift für jüdische Berlin-Emigranten mit Jubiläumsausgabe

„Uffjefordert und injeladen“: Von „aktuell“, der Zeitschrift für jüdische Emigranten aus Berlin, ist jetzt die 100. Ausgabe erschienen.

Der erste Brief an die Leser von „aktuell“ trägt die Unterschrift von Klaus Schütz. Im Editorial erklärte Berlins Regierender Bürgermeister im März 1970, was es mit dieser außergewöhnlichen Publikation auf sich hat: Sie flankiert einen Beschluss des Abgeordnetenhauses, mit dem Berlin einen wichtigen Schritt zur Aussöhnung mit den Überlebenden des Holocaust gehen wollte. Das West-Berliner Parlament hatte 1969 beschlossen, die jüdischen Berliner, die die Stadt während der Zeit der Nazi-Diktatur verlassen mussten, zu einem Besuch einzuladen – auf Kosten der Stadt. „Fast 12 000 ehemalige Mitbürger haben schon jetzt den Wunsch bekundet, ihre alte Heimat wiederzusehen“, freute sich Schütz.

Genau wie heute litt Berlin unter begrenzten Haushaltsmitteln. Zunächst sollten darum Anträge der älteren Mitbürger und derjenigen bearbeitet werden, die während der nationalsozialistischen Zeit besonders gelitten haben. Bis auch die anderen Wünsche berücksichtigt werden könnten, „wollen wir Sie in regelmäßigen Abständen mit ,aktuell‘ aus Berlin über den Stand der Aktion informieren“, endete der Regierende.

7000 Abonnenten in 43 Ländern

Seither haben mehr als 35 000 vor den Nazis geflohene Berliner die Gelegenheit genutzt, ihre Heimat zu besuchen. „Das ist ein großer Erfolg“, schreibt wieder ein Regierender Bürgermeister, bei dem es sich diesmal um Michael Müller, den amtierenden Regierungschef des wiedervereinigten Berlin, handelt. Sein Editorial findet sich in der 100. Ausgabe der zweimal jährlich erscheinenden Zeitschrift. Das über 60 Seiten starke Heft wird gerade an 7000 Abonnenten in 43 Ländern verschickt.

Einer der Beiträge der ersten „aktuell“-Ausgabe beschäftigte sich mit dem Thema „10 Jahre Jüdisches Gemeindehaus Berlin“ und somit auch damit, wie nach der NS-Zeit wieder eine jüdische Gemeinde ihren festen Platz in Berlin gefunden hat. Heinz Galinski – damals bereits seit über 20 Jahren Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin – war es besonders wichtig, dass sich das Gemeindehaus auf historischem Boden in der Fasanenstraße befindet.

In der aktuellen Ausgabe erinnert ein großer Beitrag an Hermann Horwitz, den ersten Mannschaftsarzt von Hertha BSC. Er wurde sogar in der Meisterhymne von 1931 (Hertha holte den Pokal sowohl 1930 als auch im Folgejahr) verewigt. Horwitz wurde nach Auschwitz deportiert, wann genau er ermordet wurde, ist nicht bekannt.

Mindestens ebenso wichtig wie die Informationen über die ehemalige Heimat ist die Zeitschrift als Plattform für den Austausch zwischen den Emigranten mit ihren persönlichen Texten, Briefen und den Suchanzeigen. Nicht wenige Freunde, Verwandte und Bekannte haben sich über „aktuell“ wiedergefunden. „Natürlich ist die persönliche Beziehung zu unser Stadt ganz unterschiedlich. Wir registrieren kritische Distanz ebenso wie Bekundungen von Sehnsucht und Heimweh“, schreibt Claudia Sünder, die Chefin des Presse- und Informationsamtes Berlin.

Zu den Skeptikern gehörte 1970 ein Leserbriefschreiber aus Kalifornien, der als 21-Jähriger aus Berlin floh. „Onkel und Tante und Vetter meiner Familie und beide Eltern und beide Schwestern meiner Frau wurden in Auschwitz vergast. In meinem Haus wird kein Deutsch gesprochen, und wenn ich es anderswo höre, dann schweige ich“, hatte er geschrieben, um dann nach der Einladung aus Berlin fortzufahren: „Ist es wirklich möglich, daß Dinge und Menschen sich innerlich verändert haben? ,Ich kann’s kaum glauben, doch es scheint, daß dieser Mann es ehrlich meint‘, so steht’s im Eckensteher Nante geschrieben.“

Glückwünsche zur "schönen Idee"

Doch es gab auch andere Stimmen. „Ich gestatte mir, Sie hierdurch zu dieser schönen Idee zu beglückwünschen und Ihnen zu sagen, daß ich Ihrem Wunsch jederzeit gern Folge leisten würde, ganz egal, ob ,uffjefordert oder injeladen‘, wie unser alter Freund ,Paule‘ Grätz damals so schön gesagt hat“, schrieb ein Emigrant aus Paris in der ersten Ausgabe.

Die „aktuell“-Redaktion muss heute den Blick in die Zukunft richten. Die Auflage, die Ende der 1990er bei 15 000 Exemplaren lag, hat sich seither halbiert. Der letzte Besuchswunsch wurde 2010 erfüllt, die Warteliste ist heute leer. Viele Emigranten der ersten Generation sind inzwischen gestorben. Weil die nachfolgenden Generationen zumeist kein Deutsch mehr sprechen, erscheint „aktuell“ nun zweisprachig in Deutsch und Englisch.

„Es ist ein Experiment, denn jenseits der Sprachbarriere stellt sich die Frage, ob und welche Verbindung die zweite und dritte Generation überhaupt zu Berlin hat“, merkt Redaktionschefin Amelie Müller in der 100. Ausgabe an. „Diese Frage lässt sich nur individuell beantworten. Für den einen oder die andere besteht ein Band fort“, stellt Amelie Müller durch die Zuschriften fest. Wie stark es ist, darauf darf 2020 erneut geblickt werden, wenn „aktuell“ 50 Jahre alt wird.

Die Jubiläumsausgabe von „aktuell“ zum Download unter: www.berlin.de/aktuell

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