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Die Zeiten, in der die von Annalena Baerbock und Robert Habeck geführte Partei mit dem Kanzleramt in Verbindung gebracht wurde, scheinen vorbei.

© Kay Nietfeld/dpa

Verluste von bis zu zehn Prozentpunkten: Warum die Grünen in der Corona-Krise schwächeln

Vor Wochen galten die Grünen als mögliche Kanzlerpartei. Die Corona-Krise aber setzt ihnen stark zu. Kann die Ökopartei sich wieder erholen?

Von Hans Monath

Als die Aktivisten von Fridays for Future am Freitag ein wenig Aufmerksamkeit von der Mega-Krise Corona abziehen und auf den Klimawandel lenken wollten, witterten die Grünen eine Chance. „Es ist gut, dass Fridays for Future und die Umweltbewegung das Thema zurück auf die Agenda hieven“, lobte Parteichef Robert Habeck.

Der Grünen-Politiker schob gleich eine Mahnung an die Kanzlerin hinterher: Die solle sich nicht nur bei der Corona-Pandemie, sondern auch beim Klimaschutz an den Empfehlungen der Wissenschaft orientieren.

Der Parteichef muss jede Möglichkeit nutzen, um Punkte zu machen. Denn den Grünen setzen die Pandemie und deren Folgen stärker zu als den meisten anderem im Bundestag vertretenen Parteien. Noch vor wenigen Wochen wurde Habeck als möglicher Kanzler gehandelt. Die damals in ihrer Führungskrise gefangene CDU gab massiv Prozente ab, während viele Institute den Grünen Werte von 25 oder mehr Prozent bescheinigten.

Seit Beginn der Coronakrise hat die Ökopartei bis zu zehn Prozentpunkte verloren. Manche Demoskopen sehen sogar die SPD wieder vorn. Die Regierungsparteien CDU und CSU streben derweil gemeinsam wieder auf die 40 Prozent zu. Der „Zeit“ sagte Habeck, die Krise habe seine Partei „im vollen Lauf erwischt“.

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Die Zeiten, in der die von Habeck und Annalena Baerbock geführte Partei mit dem Kanzleramt in Verbindung gebracht wurde, scheinen jedenfalls vorbei. Sogar in Baden-Württemberg überholt die CDU nun in Umfragen die Grünen – ein Menetekel. Dabei ist der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann parteiübergreifend beliebt. Die Christdemokraten im Südwesten dagegen sind ein sehr schwacher CDU-Landesverband.

Der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker hat für den unerwarteten Aufschwung eine Erklärung. „Die CDU profitiert nun auch in den Ländern davon, dass sie im Bund die Regierung anführt“, meint der Parteienforscher: „In der Krise schlägt nicht nur die Stunde der Exekutive, sondern auch die des Bundes.“ Denn die Deutschen, glaubt Decker, hätten sich mit der Idee der Vielgestaltigkeit des Föderalismus nie so richtig angefreundet. Sie wollten lieber einheitliche Lösungen – gerade in der Mega-Krise.

Macht jetzt oft Politik vom heimatlichen Flensburg aus: Grünen-Chef Robert Habeck bei einem Presestatement.
Macht jetzt oft Politik vom heimatlichen Flensburg aus: Grünen-Chef Robert Habeck bei einem Presestatement.

© Carsten Rehder/dpa

Auch im Bund darben die Grünen, während Merkels Partei massiv profitiert. Habeck verbreitete derweil auf Instagram Fotos, die ihn beim Selbst-Haarschnitt vor Klappspiegel oder bei der Parallellektüre von Albert Camus’ „Die Pest“ und eines Werks des Grünen-nahen Sozialphilosophen Rainer Forst („Normativität und Macht - Zur Analyse sozialer Rechtfertigungsordnungen“) zeigten.

Grünen-Kritiker höhnten daraufhin, während andere die Seuche aktiv bekämpften, lese der Parteichef nur über sie. Dabei hatte Habeck seinen Machtanspruch kürzlich so klar wie selten ausgesprochen: „Ich würde jetzt gern in der Regierung sein“, sagte er dem „Spiegel“. In der Opposition vermisse er die Verantwortung.

Ein gewichtiges Argument aber kann der Parteichef damit nicht beiseite schieben: Viel spricht dafür, dass wirtschaftliche Fragen lange dominieren werden, weil es darum geht, die Ökonomie wieder zum Laufen zu bringen. Bei diesem Thema aber schreiben die Deutschen den Grünen wenig Kompetenz zu. Der Klimawandel mag existenziell sein - er löst aber anders als die Corona-Krise keine „unmittelbare Angst’“ aus, wie Habeck selbst in der „Zeit“ analysierte. 

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Die Themenabhängigkeit der Grünen sei bekannt, meint der Politikwissenschaftler Ralf Tils von der Agentur für politische Strategie. Erstaunlich sei vielmehr, „wie langsam die Grünen in der Zustimmung abnehmen“. Gemessen daran, dass die Krise die Stunde der Exekutive sei, halte sich die Oppositionspartei „erstaunlich gut“. Es sei ein positives Zeichen für sie, dass „ die Werteorientierungen und die damit verbundenen politischen Präferenzen“ doch relativ stabil seien.

In der Zentrale der Partei jedenfalls ist man froh, dass der Einbruch nicht eigenen Fehlern zuzuschreiben ist. „Wir versuchen als Partei, konstruktiv zu helfen, die Krise zu bewältigen“, sagt Geschäftsführer Michael Kellner. Im Shutdown profitierten die Grünen davon, dass sie bereits vor Corona „sehr digital aufgestellt waren“. Am kommenden Wochenende soll der erste virtuelle Parteitag abgehalten werden. Zudem wachse die Mitgliederzahl trotz der schlechteren Umfragewerte weiter.

Schon jetzt sei spürbar, dass andere politische Debatten wieder beginnen würden, meint Kellner - und nennt Europa, Klima und die Neuausrichtung der Wirtschaft. Darin sieht auch Ralf Tils eine Chance für die Grünen, weil es nach der Krise keine Rückkehr zum „alten Spiel“ geben könne.

Nun beginne der Kampf um Deutungen. „Wenn sich alte Ökonomievorstellungen durchsetzen sollten, haben die Grünen ein Problem“, meint der Politologe. Wenn aber neue Perspektiven dominierten, könne die Partei „sogar aus ihrer alten Schwäche bei der Ökonomiekompetenz herauskommen."

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