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Finja Wilkens, eine Angehörigene, nimmt an der Gedenkveranstaltung im Konzerthaus am Gendarmenmarkt teil.

© Michael Sohn/POOL AP/dpa

Trauer um 80.000 Corona-Tote: „In der schwersten Zeit seines Lebens konnten wir nicht für ihn da sein“

Deutschland hat am Sonntag in einer Gedenkveranstaltung in Berlin an die Toten der Pandemie erinnert. Auch Hinterbliebene kamen zu Wort.

Mit einer zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin hat Deutschland am Sonntag an die fast 80.000 Corona-Toten erinnert. An dem Gedenkakt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt nahmen fünf Hinterbliebene und die Spitzen der Verfassungsorgane teil: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundesratspräsident Reiner Haseloff, Bundeskanzlerin Angela Merkel (alle CDU) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth.

Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) und ein Vertreter des Diplomatischen Korps waren ebenfalls zu der Veranstaltung gekommen, die unter strengsten Hygieneschutzmaßnahmen stattfand.

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Die Pandemie habe „tiefe Wunden geschlagen und auf schreckliche Weise Lücken gerissen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede. „Wir sind ermüdet von der Last der Pandemie, und wundgerieben im Streit um den richtigen Weg. Auch deshalb brauchen wir einen Moment des Innehaltens, einen Moment jenseits der Tagespolitik, einen Moment, der uns gemeinsam einen Blick auf die menschliche Tragödie der Pandemie erlaubt.“ Lesen Sie hier Steinmeiers Rede im Wortlaut.

Steinmeier: Pandemie dürfe die Gesellschaft nicht auseinandertreiben

Zugleich betonte das Staatsoberhaupt: „Lassen wir nicht zu, dass die Pandemie, die uns schon als Menschen auf Abstand zwingt, uns auch noch als Gesellschaft auseinandertreibt!“

Steinmeier sagte weiter: „Wir wollen heute als Gesellschaft derer gedenken, die in dieser dunklen Zeit einen einsamen und oft qualvollen Tod gestorben sind.“ Den um ihre gestorbenen Angehörigen Trauernden wolle man sagen: „Ihr seid nicht allein in Eurem Leid, nicht allein in Eurer Trauer.“

[Mehr zum Thema: Das sind die Opfer der Pandemie – wir erzählen ihre Geschichten]

Neben der Trauer gebe es bei manchen Menschen auch „Verbitterung und Wut“, sagte Steinmeier. Er könne dies verstehen. „Die Politik musste schwierige, manchmal tragische Entscheidungen treffen, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern.“

Die Teilnehmer während der Gedenkfeier für die Verstorbenen in der Corona-Pandemie in Deutschland im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
Die Teilnehmer während der Gedenkfeier für die Verstorbenen in der Corona-Pandemie in Deutschland im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

© Jesco Denzel/BPA Pool/dpa

Auch die Politik habe lernen müssen. Wo es Fehler und Versäumnisse gegeben habe, müssten diese aufgearbeitet werden, aber nicht an diesem Tag, sagte Steinmeier. „Meine Bitte ist heute: Sprechen wir über Schmerz und Leid und Wut. Aber verlieren wir uns nicht in Schuldzuweisungen, im Blick zurück, sondern sammeln wir noch einmal Kraft für den Weg nach vorn, den Weg heraus aus der Pandemie, den wir gehen wollen und gehen werden, wenn wir ihn gemeinsam gehen.“

Eindrücklich sprachen die Angehörigen von den verstorbenen Liebsten und dem fehlenden Abschied. Anita Schedels Mann wurde nach der Einlieferung ins Krankenhaus in ein künstliches Koma versetzt, aus dem er nicht mehr erwachte. Kurz vor seinem Tod konnte sie noch einmal kurz zu ihm, „nur noch seine Hand drücken“, sagte sie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© Michael Sohn/AP Pool/dpa

Finja Wilkens ist zur Gedenkfeier gekommen als Stimme derjenigen, die nicht an Corona und dennoch einsam gestorben sind. Ihr Vater erlag während der Pandemie einer Krebserkrankung. Auch ihre Familie konnte nur im allerletzten Lebensmoment bei ihm sein, „nur zum Beenden der lebenserhaltenden Maßnahmen“, wie Wilkens berichtete. In den Wochen davor, „der schwersten Zeit seines Lebens, konnten wir nicht für ihn da sein“.

[Kommentar zum Thema: Das Land erinnert an die Toten – und lässt die Katastrophe weiter geschehen]

Zuvor hatte in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein ökumenischer Gottesdienst für die Opfer der Pandemie stattgefunden. „Krankheit, Sterben und Tod lassen sich in diesem langen Jahr nicht wegdrücken, sie schneiden tief ein in das Leben vieler Menschen“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing.

Bedford-Strohm: Corona „ein Trauma“ für die Seele

„Wie ein Trauma legt sich die Krisenerfahrung der Pandemiezeit auf unsere Seele und schreit nach Heilung“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, in dem ökumenischen Gottesdienst. „Für die Verarbeitung werden wir viel Zeit brauchen, erst recht unsere Kinder, unsere Heranwachsenden, für die diese Krise die Ausdehnung einer gefühlten Ewigkeit hat.“

Heinrich Bedford-Strohm.
Heinrich Bedford-Strohm.

© ordon Welters / POOL / AFP

Auch Schriftsteller Ulrich Noethen im Gottesdienst

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, Erzpriester Radu Constantin Miron, sagte, seit mehr als einem Jahr beherrsche das Virus unser alltägliches, soziales und berufliches Leben. „Und es macht weder vor Konfessionen, noch vor Religionen, noch vor Nationen halt. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir heute mit diesem Gottesdienst gemeinsam trauern, aber auch ein Zeichen des Trostes setzen - über Grenzen hinweg, die auch das Virus nicht kennt.“

Der Gottesdienst fand in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin statt.
Der Gottesdienst fand in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin statt.

© Gordon Welters/KNA-POOL/dpa

In dem Gottesdienst, der von Vertretern jüdischen und muslimischen Glaubens mitgestaltet wurde, trug der Schriftsteller Ulrich Noethen die Geschichte der Emmaus-Jünger aus dem Lukas-Evangelium vor, die über den Verlust des am Kreuz gestorbenen Jesus trauerten.

Diese Emmaus-Geschichte mache Mut, sagte Bätzing: „Unsere Toten finden ihren Weg ins Leben an der Hand des auferstandenen Jesus. Und auch die Trauernden werden gut begleitet ihren Weg zu neuer Lebensfreude hoffentlich finden dürfen. Und wir - miteinander und in Verantwortung füreinander - finden heraus aus dieser Pandemie. Denn Gott geht mit uns.“

Bei Twitter machten zeitgleich Menschen ihrem Protest gegen das in ihren Augen zu zögerliche Pandemie-Handeln der Ministerpräsidenten der Länder Luft. Nachdem die 16 Regierungschefs gemeinsam dazu aufgerufen hatten, anlässlich der Gedenkfeier am Wochenende leuchtende Kerzen zum Gedenken an die Verstorbenen ins Fenster zu stellen, erfanden sie den Hashtag „#einkerzen“. Bei Twitter posteten sie Fotos von Kerzenmeeren vor Staatskanzleien oder Rathäusern, einige mit dem Zusatz „Zündet eure Kerzen doch selbst an“. (Tsp/dpa/epd)

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