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Blumen und Kerzen zum Gedenken an die Opfer des Amoklaufs an der Uni Heidelberg

© dpa/Uwe Anspach

Update

Tödliche Schüsse im Hörsaal: Amokläufer an Heidelberger Uni war früher Neonazi

Nikolai G. erschießt an der Uni Heidelberg eine Studentin und verletzt drei weitere Menschen. Er stand auf einer Mitgliederliste der Partei „Der III. Weg“.

Von Frank Jansen

Der Amokläufer an der Heidelberger Universität, Nikolai G., war möglicherweise Rechtsextremist. Sicherheitskreise sagten dem Tagesspiegel, G. habe 2019 auf einer Mitgliederliste der Neonazi-Partei "Der III. Weg" gestanden. Im Oktober 2019 sei er jedoch ausgetreten. Die 2013 gegründete Kleinpartei gilt als eine der radikalsten und aktivsten Organisationen in der rechtsextremen Szene.

"Die ideologischen Aussagen der Partei ,Der III. Weg' sind geprägt vom historischen Nationalsozialismus, Antisemitismus und von Fremdenfeindlichkeit", schrieb das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2020. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Heidelberg sagte dem Tagesspiegel, es gebe "Anhaltspunkte" dafür, dass Nikolai G. mit der rechtsextremen Partei zu tun hatte. Aber es gebe keine Erkenntnisse, dass der Amoklauf politisch motiviert gewesen sein könnte.

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In einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft hieß es dann, die Auswertung der digitalen Medien des Täters wie auch Zeugenaussagen hätten bislang keine Erkenntnisse zu einer Radikalisierung oder zu Kontakten des Täters ins rechte Spektrum ergeben. Nicht auszuschließen sei, "dass eine im Raum stehende psychische Erkrankung des Verdächtigen ursächlich für die Tat gewesen sein könnte".

Die beiden Gewehre, die Nikolai G. beim Amoklauf einsetzte, hatte er nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft etwa eine Woche vor der Tat in Österreich bei einem Waffenhändler gekauft. Eine dritte Langwaffe soll G. von einer Privatperson in Österreich erworben haben. Dieses Gewehr fand die österreichische Polizei in einem Zimmer, dass G. bei seinem Aufenthalt in dem Land gemietet hatte.

Außerdem wurde bekannt, dass der aus Berlin stammende, 18-jährige Nikolai G. im Jahr 2017 in eine Prügelei verwickelt war. Nach Informationen des Tagesspiegels soll der damals 14 Jahre alte Jugendliche gemeinsam mit einem Freund einen jüngeren Mann geschlagen haben. Die Mutter des Geschädigten wandte sich an die Polizei. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt.

Eine Nachbarin erwähnt die Schweiz

Nikolai G. wuchs im Berliner Stadtteil Wilmersdorf auf. Der Versuch des Tagesspiegels, zu mutmaßlichen Angehörigen des Täters Kontakt aufzunehmen, war allerdings schnell beendet. Bei einem Anruf legte eine Frau gleich wieder auf. Am Wohnort, einem größeren Mietshaus in Wilmersdorf, blieb die Tür zu.

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Die Nachbarn der Familie scheinen bislang auch nicht zu wissen, dass es sich bei dem Täter von Heidelberg um einen jungen Mann handelt, der nur wenige Schritte entfernt gewohnt hat. Eine Frau sagte dem Tagesspiegel am Dienstagabend nur, "der war okay", weiter gekannt habe sie weder ihn noch die Eltern. Eine weitere Nachbarin meinte zu wissen, dass der junge Mann in der Schweiz studiere. Das stimmt zwar nicht, könnte aber indirekt ein Hinweis auf Verbindungen des Täters in die Schweiz sein.

Der Tagesspiegel verzichtete darauf, den beiden Frauen mitzuteilen, dass ihr früherer Nachbar der Todesschütze von Heidelberg war, um eine Stigmatisierung seiner Angehörigen zu vermeiden. Der Vater hatte sich am Montag bei der Polizei gemeldet.

Amoklauf in Heidelberg: Polizeibeamte untersuchen eine Waffe am Gelände der Universität.
Amoklauf in Heidelberg: Polizeibeamte untersuchen eine Waffe am Gelände der Universität.

© dpa/Sebastian Gollnow

Der Biologie-Student hatte am Montagmittag in einem Hörsaal der Heidelberger Universität auf Kommilitonen geschossen. Eine 23-jährige Studentin starb an einem Kopfschuss. Eine 19- und eine 20-jährige Frau sowie ein 20-jähriger Mann wurden durch die Schüsse leicht verletzt.

Die Polizei geht davon aus, dass sich der deutsche Schütze, der in Mannheim wohnte, vor dem Gebäude selbst tötete.

Nach dem Amoklauf hat die Polizei eine 32-köpfige Ermittlungsgruppe namens "Botanik" eingerichtet worden. Diese ermittle unter Leitung der Staatsanwaltschaft Heidelberg vor allem zur Herkunft der Waffen und zum Motiv des Tatverdächtigen, sagte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Dienstag nach einer Kabinettssitzung in Stuttgart. Strobl nannte am Dienstag auch weitere Einzelheiten zum Tathergang.

Vater des Amokläufers bekam von ihm kurz vor der Tat eine Mitteilung

Um 12.24 Uhr am Montag seien die ersten Notrufe eingegangen, sagte Strobl. Sechs Minuten später seien die ersten Streifenwagen am Campus im Neuenheimer Feld eingetroffen. Um 12.32 Uhr habe der Vater bei der Polizei in Heidelberg angerufen und von einer Whatsapp-Nachricht seines Sohns berichtet, in der dieser die Tat angekündigt habe. Es war bereits bekannt, dass der 18-Jährige unmittelbar vor der Tat eine Whatsapp-Nachricht abgesetzt haben soll, dass nun "Leute bestraft werden müssen".

Bisherigen Erkenntnissen zufolge drang der Student mit einer Doppelflinte und einer Repetierwaffe in einen Hörsaal ein, in dem gerade ein Tutorium stattfand. Er feuerte auf Studenten und Studentinnen. Dann flüchtete er in den Außenbereich der Universität im Ortsteil Neuenheimer Feld und tötete sich selbst.

Die Polizei war mit mehr als 400 Beamten, darunter einem Spezialeinsatzkommando, zum Tatort geeilt. Über dem Unigelände kreiste ein Hubschrauber. Zunächst wurde vermutet, es gebe einen zweiten Täter. Die Studierenden, die im Hörsaal die Schüsse erleben mussten, berichteten jedoch von einem Täter mit zwei Waffen.

Der Amokläufer hatte nach Angaben der Polizei noch mehr als 100 Schuss Munition dabei. Warum er mit dem Schießen aufgehört habe, wisse man noch nicht. Das sei spekulativ, es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine bestimmte Person getroffen werden sollte. Der 18-Jährige hätte noch nachladen können.

Polizeibeamte sichern Spuren am Gelände des Botanischen Gartens der Heidelberger Universität.
Polizeibeamte sichern Spuren am Gelände des Botanischen Gartens der Heidelberger Universität.

© dpa/Uwe Anspach

Weil bei der Leiche des jungen Mannes ein Rucksack mit unbekanntem Inhalt gewesen sei, habe die Polizei lange nicht zu dem Toten gekonnt. Es hätte sich um Sprengstoff handeln können, erklärte der Präsident des Mannheimer Polizeipräsidiums, Siegfried Kollmar. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg habe daher auch Entschärfer geschickt, die den Rucksack untersuchten.

Ein 18-jähriger Amokläufer tötete an der Heidelberger Universität im Januar eine Studentin und sich selbst.
Ein 18-jähriger Amokläufer tötete an der Heidelberger Universität im Januar eine Studentin und sich selbst.

© dpa/R.Priebe//Pr-Video

Der 18 Jahre alte Amokläufer sei bisher nicht polizeilich erfasst. Er habe auch keinen Führerschein gehabt. „Das ist schon sehr außergewöhnlich, diese Sachlage“, sagte der Polizeipräsident. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft fuhr Nikolai G. mit einer Taxi von Mannheim zur Universität in Heidelberg.

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Studierende zeigten sich nach der Tat fassungslos. „Wir sind unendlich schockiert. Das ist eine Katastrophe, die sich allem Denkbaren zwischen Vorlesungen, Klausuren und Unileben entzieht“, sagte Peter Abelmann, Vorsitzender der Verfassten Studierendenschaft, am Montag.

Die Nachricht über den Amoklauf habe sich unter den Studierenden wie ein Lauffeuer verbreitet, sagte Abelmann. Einige hätten über Messenger-Dienste direkt über die Tat berichtet. Die Studierendenschaft sei in Gedanken bei den Betroffenen.

Studierende und Dozenten „im Schockmodus“

Nach dem Amoklauf setzt die betroffene Fakultät ihre Präsenzveranstaltungen für Studierende im ersten Semester vorerst aus. Dies gelte zunächst bis zur geplanten zentralen Trauerfeier am Montag, sagte der Dekan der Fakultät für Biowissenschaften, Jochen Wittbrodt, der Deutschen Presse-Agentur. „Ich würde mir als Dozent auch sehr komisch dabei vorkommen, wenn ich jetzt in einen geschlossenen Hörsaal gehen müsste.“

Polizeibeamte betreten auf dem Gelände der Heidelberger Universität das Gebäude, in dem sich der Tatort eines Amoklaufes befindet.
Polizeibeamte betreten auf dem Gelände der Heidelberger Universität das Gebäude, in dem sich der Tatort eines Amoklaufes befindet.

© Sebastian Gollnow/dpa

Studierende und Dozenten seien nach den Ereignissen „im Schockmodus“. Dennoch habe am Dienstag ein digitales Treffen der Fakultät mit mehr als 170 Teilnehmern stattgefunden, auch Uni-Rektor Bernhard Eitel sei dabei gewesen. „Wir haben vor allem versucht, die Studierenden zu informieren und ihnen Angebote zu machen“, betonte Wittbrodt. Bei der psychologischen Betreuung solle „niemand durchs Raster fallen“.

Nach einer gewissen Zeit wolle man die Studierenden an der Fakultät ermutigen, sich dem Präsenzbetrieb wieder „zu nähern“, betonte Wittbrodt. „Biowissenschaften ist ein sehr praktisches Fach, mehr als 50 Prozent des Studiums sind Praktika.“ Zudem sei ein gewisses Maß an Routine wohl auch bei der Bewältigung des Erlebten sinnvoll.

Zusätzliche Sicherheitskontrollen halte er dabei nicht für das richtige Mittel, sagte Wittbrodt. „Das ist eine ganz natürliche Reaktion, aber ich kann mir das an einer so freien Universität wie Heidelberg nicht vorstellen.“ Viele Studierende hätten bei dem digitalen Treffen am Dienstag ähnlich argumentiert. „Die breite Antwort war: Ich würde mich auf dem Campus nicht wohlfühlen, wenn ich wie auf dem Flughafen durchleuchtet würde“, sagte Wittbrodt. (mit Agenturen)

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