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Gorleben ist überall. Womöglich sogar in Berlin-Reinickendorf?

© mauritius images / Pitopia

Standort für Atomares Endlager: Den Ausstieg aus der Kernenergie müssen wir alleine schaffen

Theoretisch ist halb Deutschland für ein Endlager geeignet. Wer keine neuen Massenproteste will, muss jeden Eindruck von Mauschelei verhindern. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Man kann es sich natürlich so einfach machen wie die bayerische Landesregierung. Die beruft sich auf den Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern, und lehnt ein atomares Endlager auf bayerischem Boden ab. In diesem Koalitionsvertrag von 2018 steht nämlich, Bayern sei kein geeigneter Standort für ein solches Endlager. Punctum. So geht das eben, wenn die Politik der Wissenschaft vorschreiben will, wie sie Fakten zu bewerten hat.

Nicht nur für den Rest Deutschlands, auch für Bayern gilt aber nun bei der Suche nach dem Ort des letzten Verbleibs für den strahlenden Müll aus den deutschen Atomkraftwerken: 90 Gebiete zwischen Alpen und Küste sind geologisch dafür geeignet. Die liegen auch in Bayern, außerdem in Baden-Württemberg, Sachsen, Niedersachsen, Sachsen- Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg.

Auf mehr als der Hälfte der Fläche der Bundesrepublik gibt es Salzstöcke, und Granit- oder Tonhaltige Gesteinsformationen. Das stellte die Bundesgesellschaft für Endlagerung bei der geologischen Erkundung fest.

Nun muss über zehn Jahre systematisch ein Standort nach dem anderen auf seine Eignung geprüft werden. 2031 soll die Entscheidung fallen, ab 2050 könnten dann dort die Behälter mit dem strahlenden Material unterirdisch gelagert werden. Obwohl die Auswahl diesmal nicht politisch, sondern fachlich erfolgen soll, ist Gorleben nicht dabei.

Zwar entschied sich die Politik 1977 unter Kriterien, die aus heutiger Sicht fragwürdig sind. Ein Endlager Gorleben wäre im Zonenrandgebiet gewesen, und für die alte Bundesrepublik sozusagen aus den Augen. Aber Gorleben ist in einer Region, die nach geologischen Erkenntnissen durchaus geeignet wäre. Den Standort also zu überprüfen und, wenn nötig, fachlich begründet zu verwerfen, wäre klüger gewesen, als ihn einfach fallen zu lassen.

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Heute wissen wir, dass die Entscheidung für das Endlager so unfundiert nicht zu haben ist. Wissenschaftliche Kriterien sind nur eine, allerdings sehr wesentliche Voraussetzung bei der Standortwahl. Eine andere ist absolute Transparenz der Abwägungsprozesse. Da darf es zum Beispiel auch nicht vorkommen, dass Erkenntnisse über die Bodenbeschaffenheit in privaten Wäldern und Feldern nicht öffentlich gemacht werden dürfen.

Eine Bundes- und Landespolitik, die das Entstehen neuer Massenproteste wie einst in Wyhl, Biblis oder Brokdorf gegen den Bau von Atomkraftwerken vermeiden will, muss jeden Verdacht der Mauschelei von Anfang an ausräumen.

Gelingt das nicht, werden populistische oder radikale Trittbrettfahrer sich des Themas bemächtigen. Dazu gehört auch der bereits zu hörende, polemische Satz „Kein West-Atommüll in den Osten“, so, als habe es in der DDR keine Atomkraftwerke gegeben. Die strahlende Hinterlassenschaft von Rheinsberg oder Greifswald-Lubmin unterscheidet sich von der aus Neckar-Westheim oder Grundremmingen nicht im geringsten.

Die Deutschen müssen den Ausstieg alleine schaffen

Einer anderen Illusion sollten sich die Deutschen auch nicht hingeben: dass sie den atomaren Müll so wie die Berge an nicht recycelbaren Plastikmaterialien irgendwie per Schiff nach Südostasien oder Afrika entsorgen könnten. Den Ausstieg aus der Kernenergie müssen wir schon alleine schaffen.

Den Brandenburgern und Berlinern, die jetzt mit leisem Schaudern hören, dass auch Potsdam und Teile von Spandau, Treptow-Köpenick oder Reinickendorf geologisch als Standorte geeignet sein könnten, kann man allerdings – so wie den Hannoveranern, Dresdnern und Ulmern – wohl beruhigend versichern, dass Ballungsräume als Lagerplätze wohl kaum erste Priorität haben.

Der Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Frank Balzer jedenfalls, ein eher kühler Politikertyp, meinte auf die Frage, wie er über den Standort dächte, nur: „Ich kann die geologische Beschaffenheit nicht beurteilen. Aber unter Berlin ein atomares Endlager zu erwägen, darüber würde ich noch nicht einmal nachdenken.“

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