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Eine umstrittene politische Freundschaft: Wladimir Putin und Gerard Schröder.

© dpa

Update

SPD contra Schröder: Schon 14 Anträge für Parteiausschlussverfahren eingegangen

In der „New York Times“ äußert sich Altkanzler Schröder ausführlich zu Putins Krieg. Er will nicht mit ihm brechen. Die SPD-Spitze drängt ihn zum Austritt.

Der Abschied aus dem Amt war ganz nach seiner Art. Der Kanzler hatte sich zum Großen Zapfstreich Frank Sinatras „My way“ gewünscht. Und so erklangen für Gerhard Schröder die Töne des Klassikers, in dessen Refrain es heißt: „I did it my way.“

Ganz nach seiner Art machte Schröder dann auch als Altkanzler weiter. 17 Tage, nachdem er aus dem Amt geschieden ist, klingelt am Abend des 9. Dezember 2005 sein Handy. Am anderen Ende ist Wladimir Putin. Er drängt ihn, den Aktionärsausschuss von Nord Stream zu leiten, des vom russischen Gazprom-Konzern kontrollierten Unternehmens, das die noch von Schröder auf den Weg gebrachte erste Ostsee-Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland bauen soll.

„Hast du Angst, für uns zu arbeiten?“, fragt ihn Putin. Schröder nimmt den Job an. So hat er es nun der „New York Times“ (NYT) erzählt, es sind die ersten längeren Ausführungen seit Putins Überfall auf die Ukraine und Schröders ominöser Vermittlungsmission bei Putin in Moskau.

Der Bericht mit dem Titel „Wie der frühere Kanzler Putins Mann in Deutschland wurde“ könnte noch im laufenden Parteiausschlussverfahren eine Rolle spielen, wird in der SPD am Sonntag betont.

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Mehr als ein Dutzend regionaler SPD-Vereine hat bislang ein Parteiausschlussverfahren gegen Schröder beantragt. Bis vergangenen Sonntag gingen 14 Anträge ein, wie der SPD-Bezirk Hannover am Montag auf dpa-Anfrage mitteilte. Darunter waren SPD-Ortsvereine und Kreisverbände aus mehreren Bundesländern, etwa Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Für diese Verfahren ist demnach eine Schiedskommission zuständig, in deren Region das entsprechende Parteimitglied wohnhaft ist. Wann mit einer Entscheidung zu einem möglichen Parteiausschluss gerechnet werden kann, teilte der der SPD-Bezirk Hannover zunächst nicht mit.

Auch um das Verfahren nicht zu gefährden – eine Lehre aus dem schwierigen Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin – will die SPD-Spitze nicht die Details des NYT-Berichts kommentieren. Es gebe dadurch keine neue Lage, wird intern betont.

Schröder weigert sich in diesem Bericht weiter in zwei zentralen Punkten, die Forderungen der SPD-Führung zu erfüllen: klarer Bruch mit Putin und Aufgabe seiner Aufsichtsratsposten bei russischen Energiekonzernen.

Butscha? Kein Befehl von Putin

Knapp 17 Jahre nach dem Anruf Putins in Sachen Nord Stream hat es Schröder mit seiner Art – erinnert sei auch an das aus der Reihe fallende goldene Porträt im Kanzleramt – geschafft, sein Ansehen zumindest in Deutschland weitgehend zu verspielen. Und so schildert er der NYT seine Sicht der Dinge. Er hat der Berliner Büroleiterin der US-Zeitung in den vergangenen Wochen zwei Interviews gegeben, die interessante Erkenntnisse liefern.

„Ich denke, dieser Krieg war ein Fehler und das habe ich auch immer gesagt“, sagt Schröder, vermeidet aber weiterhin direkte Kritik an seinem Duzfreund Putin, den er einst auf Nachfrage als „lupenreinen Demokraten“ einstufte.

Man müsse nun so schnell wie möglich zu einer Friedenslösung kommen. „Ich habe immer deutsche Interessen vertreten. Ich tue, was ich kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir“, sagt Schröder – und meint damit wohl die russische.

In dem Bericht ist die Rede davon, dass Schröder bei den Gesprächen reichlich Weißwein getrunken habe. Er stellt die Lage so dar, dass Putin den Krieg eigentlich beenden wolle, aber das sei nicht ganz so einfach. Zum Massaker im Kiewer Vorort Butscha sagt der 78-Jährige dem Blatt: „Das muss untersucht werden.“ Er glaube aber nicht, dass die Befehle von Putin gekommen seien, sondern von niedrigeren Stellen.

Aber: Putin hat die Soldaten nach den Gräueltaten explizit geehrt. Der Kremlchef würdigte die 64. Motorschützenbrigade, die in Butscha im Einsatz war, für besondere Verdienste, Heldentum und Tapferkeit, wie der Kreml mitteilte. Insgesamt wurden in Butscha mehr als 400 Leichen gefunden, teils mit auf den Rücken gebundenen Händen.

Szenen der Vergangenheit: SPD-Parteitag im Hotel Estrel mit Kanzler Gerhard Schröder und seinem Generalsekretär Olaf Scholz, rechts Otto Schily.
Szenen der Vergangenheit: SPD-Parteitag im Hotel Estrel mit Kanzler Gerhard Schröder und seinem Generalsekretär Olaf Scholz, rechts Otto Schily.

© Mike Wolff/Tagesspiegel

In der SPD ist intern von einer „Schande“ die Rede, für SPD-Chef Klingbeil, der früher in dessen Wahlkreisbüro gearbeitet hat, steht Schröder inzwischen definitiv auf der falschen Seite der Geschichte. Die CDU fordert, dass es Sanktionen gegen Schröder gibt.

SPD-Chefin zu Schröder-Austritt: „Das sollte er“

Das Niederlegen seiner Mandate bei russischen Konzernen „wäre notwendig gewesen, um sein Ansehen als ehemaliger und einst erfolgreicher Kanzler zu retten. Und diesem Rat ist er leider nicht gefolgt“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken im Deutschlandfunk mit Blick auf den NYT-Bericht.

„Gerhard Schröder agiert seit vielen Jahren lediglich als Geschäftsmann, und wir sollten damit aufhören, ihn als Elder Statesman, als Altkanzler wahrzunehmen. Er verdient sein Geld mit der Arbeit für russische Staatsunternehmen, und seine Verteidigung Wladimir Putins gegen den Vorwurf der Kriegsverbrechen ist regelrecht absurd.“ Auf die Frage, ob Schröder aus der Partei austreten sollte, sagt Esken: „Das sollte er.“

Klingbeil betonte im ARD-Bericht aus Berlin: „Die Parteiordnungsverfahren laufen gegen Gerhard Schröder. Es gibt jetzt insgesamt vier Gliederungen, die das prüfen lassen.“

Für ihn als Parteivorsitzender sei ganz wichtig, dass Esken und er deutlich signalisieren: „Das, was Gerhard Schröder als politische Meinung vertritt, das hat nichts, aber wirklich gar nichts mit der Position der SPD zu tun. Wir stehen klar gegen Putin und diesen Krieg.“

Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, zu Beginn einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2.
Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, zu Beginn einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2.

© Kay Nietfeld/dpa

Für die SPD-Spitze und Kanzler Olaf Scholz sind die neuen Einlassungen in jedem Fall misslich, da es ohnehin eine Debatte über die Fehler der SPD in der Russlandpolitik gibt – und das Bremsen etwa bei der Lieferung schwerer Waffen mit zu viel Putin-Rücksicht verbunden wird. Letzteres weist Scholz als Verleumdung zurück.

Schröder: Russland nicht isolieren

Schröder dagegen geht im Gespräch mit der NYT zum Gegenangriff auf seine Kritiker über. „Sie haben das alle mitgemacht in den letzten 30 Jahren. Und plötzlich wissen sie es alle besser“, sagt er mit Blick auf Union und SPD sowie die Verflechtungen mit Russland gerade in der Energiepolitik.

Er wirbt dafür, die Beziehungen zu Moskau trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine aufrechtzuerhalten. „Sie können ein Land wie Russland langfristig nicht isolieren, weder politisch noch wirtschaftlich. Die deutsche Industrie braucht Rohstoffe, die Russland hat.“

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Über seine von einem ukrainischen Politiker angestoßene Vermittlungsmission im März, bei der sich seine Frau auf einem Instagram-Foto am Roten Platz wie eine Madonna für den Frieden betend inszenierte, sagt Schröder, dass auch er wie zuvor Scholz mit Putin an dem sechs Meter langen Tisch gesessen habe.

„Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass Putin daran interessiert ist, den Krieg zu beenden. Aber das ist nicht so leicht. Da gibt es ein paar Punkte, die geklärt werden müssen“, sagt Schröder – aktuell amtierende Politiker dürften die Haltung etwas blauäugig finden. Schröder sagte auch vor dem Krieg, dass Putin sicher nicht angreifen werde.

Der ukrainische Parlamentarier Rustem Umerow habe ihn vor der Reise nach Moskau bei einem Treffen in Istanbul über die ukrainischen Positionen informiert – der Kontakt zwischen Schröder und ihm wurde über den Schweizer Ringier-Verlag vermittelt. Nach dem Gespräch mit Putin habe es ein weiteres Treffen mit Umerow gegeben, danach sei der Kontakt abgebrochen. Er sei aber bereit, mit beiden Seiten wieder zu sprechen.

Einen Brief von zehn Vorsitzenden ignoriert Schröder

Für die SPD-Vorsitzenden Esken und Klingbeil wird der Fall immer unangenehmer. Eine Art Ultimatum, das auch von acht früheren Vorsitzenden unterschrieben war, ließ Schröder verstreichen. Sigmar Gabriel unterschrieb nicht.

Gabriel, der ganz im Sinne Schröders trotz der Annexion der Krim in der großen Koalition mit Angela Merkel als Wirtschaftsminister erfolgreich auf den Bau auch von Nord Stream 2 pochte, besuchte Schröder letztens sogar demonstrativ in Hannover.

Auf das Schreiben der Vorsitzenden von Ende Februar, in dem Schröder aufgefordert wurde, seine Posten bei den russischen Staatsunternehmen niederzulegen, hatte die SPD-Spitze „zeitnah“ eine Antwort gefordert – diese gibt es aber auch zwei Monate später noch nicht. Auf die Ehrenbürgerschaft Hannovers hat Schröder von sich aus verzichtet.

Wann Schröder seine Russland-Posten aufgeben will

Schröder ist trotz Putins Überfall auf die Ukraine und der SPD-Forderungen weiter Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzerns Rosneft und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream. Im Juni sollte er eigentlich auch noch in den Gazprom-Aufsichtsrat einrücken.

Die rote Linie für ihn, wann er auf die Jobs verzichten will? Wenn Putin Deutschland und der Europäischen Union das Gas abdreht. „Dann würde ich zurücktreten“, sagt Schröder. Seine Aussagen wirken teils trotzig – und eines macht er ganz deutlich. Er ist nicht bereit wie Frank-Walter Steinmeier, sein früherer Kanzleramtschef, Ex-Außenminister und heutiger

Bundespräsident, Fehler einzugestehen. „Ich mache jetzt nicht einen auf Mea Culpa, sagt Schröder. „Das ist nicht mein Ding.“

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