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Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.

© dpa/Wolfgang Kumm

Scholz zum Kanzlerkandidaten gewählt: Sieche Partei Deutschlands

Die SPD muss sich selbst für ihren pragmatischen Kandidaten begeistern. Der muss endlich die Brücke zur Partei schlagen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es gibt einen Politikentwurf, für den sie sich begeistern müssen – so ist das heute bei der SPD. Sie müssen sich schon selbst begeistern, mit der Kraft zur Autosuggestion.

Von wegen, dass da einer beim Parteitag kommt und die Genossen mit seiner Rede, ach, mehr noch, mit seinen Ideen von den Stühlen reißt. Das wäre revolutionär – und würde doch nur wieder an Oskar Lafontaine erinnern, und das geht gar nicht. Der gefallene Engel der SPD, ihr Luzifer, der Gerhard Schröder zur Kanzlerschaft verhalf. Er wirkt bis heute nach; heute, da Olaf Scholz Kanzlerkandidat ist. Einer, der sich für sich und für Pragmatismus begeistern kann.

Ja, Kanzlerkandidat Scholz, obwohl das Siechtum der SPD anhält, so ungerecht es auch sein mag. Ungerecht deshalb, weil es ja nicht falsch ist, was Boris Velter in der Aussprache auf dem Parteitag sagt, Sozialdemokrat aus Berlin-Mitte: Wer sich die Passagen im Wahlprogramm zum Sozialen und zur Daseinsvorsorge insgesamt durchliest, gerade auch im Vergleich mit den anderen Parteien, der sieht, dass die SPD ihre Funktion hat. Hätte.

Nicht nur als Betriebsrat der Nation, aber doch als Sachwalter der Arbeitnehmer:innen. Im Detail sind die Genossen stark, und für sie ist Detailtreue Programm. Die Wahrheit ist konkret, der Fortschritt auch.

Es ist nur nicht aufregend, anregend, elektrisierend. Es ist mechanistisch. Dazu passt der Spitzenkandidat. Was er vorzuweisen hat, ist die Begabung, Schalthebel der Exekutive zu bedienen. Darüber redet Scholz ja auch gerne; das geht bis in die Zahl der Wohnungen, die er in Hamburg als Bürgermeister gebaut und seinem Nachfolger hinterlassen hat.

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Und ja, warum auch nicht: Wer von sich selbst nicht überzeugt ist, wie soll der andere überzeugen? Doch hier ist das Problem, immer noch: Die SPD folgt ihm, weil sie ihm folgen muss. Sie hat sich seinem Politikstil verschrieben. Und jeder weiß es, sieht es. Ein Blick auf die Parteiführung verrät es.

Die Sozialdemokraten im Zwiespalt

Die Wahlergebnisse auf Parteitagen der letzten Jahre sprechen eine klare Sprache: Scholz ist ein Mann für eine Hälfte. Will sagen: So wie ihn die einen für befähigt halten, Kanzler zu werden, so sehr lehnen ihn die anderen ab. Die Sozialdemokraten im Zwiespalt – und Scholz soll die Brücke sein. Dazu muss er sie jetzt dringend bauen.

Kandidat der Herzen? Trotz eines tollen Wahlergebnisses tut sich die Partei schwer mit dem pragmatischen Scholz.
Kandidat der Herzen? Trotz eines tollen Wahlergebnisses tut sich die Partei schwer mit dem pragmatischen Scholz.

© Wolfgang Kumm/dpa

Das ist das Kalkül einer Parteiführung, die so ganz anders tickt als der Superpragmatiker: Er ist nicht wie wir, er will nicht das, was wir wollen, wir wollen ihn nicht – aber die Deutschen wollen uns nicht so, wie wir sein wollen, und deshalb haben wir diesen Kandidaten, den sie in ihrer Mehrheit wollen. Womit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, das Führungsduo von Gnaden der Linken, ironischerweise auf ihre Weise superpragmatisch sind.

Aber wird das glaubwürdig genug für die Wähler:innen sein? Zweifel sind erlaubt, sie grassieren ja schon unter Sozialdemokraten. Von 40 Prozent keine Spur, von 20 weit entfernt, in manchen Bundesländern droht die Einstelligkeit – es fehlt überall, nicht nur an Begeisterung.

Mit Scholz fällt die Revolution aus. Da kann er sich ein bisschen linker geben, mehr so, wie „Eskabo“ ihn wollen; da kann er in der Kandidatenrede alle Strömungen der SPD ansprechen – umso wichtiger ist, dass ihm die Partei die Übereinstimmung glaubt. Denn sie muss kämpfen, kämpfen wollen. Schließlich geht es um mehr als um Mehrheiten: Es geht ums Überleben.

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