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Olaf Scholz, Vizekanzler und Bundesminister der Finanzen

© dpa/Wolfgang Kumm

Olaf Scholz wird Kanzlerkandidat: Wie lange hält die Harmonie bei der SPD?

Die SPD-Spitze ruft Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten aus – und zeigt sich überraschend einig. Nun muss sich zeigen, ob die Strategie auch aufgeht.

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Vor weniger als einem Jahr waren sie noch innerparteiliche Gegner, doch am Montag präsentierten sich Vizekanzler Olaf Scholz, SPD-Chefin Saskia Esken und ihr Kollege Norbert Walter-Borjans als harmonisches Trio, das gemeinsam an einem großen Ziel arbeitet: Den Finanzminister zum nächsten Kanzler der SPD nach Gerhard Schröder (1998 bis 2005) zu machen. Tatsächlich war das Ausmaß der Einigkeit der drei Politiker überraschend – vor allem angesichts der Tatsache, dass sie in der Vergangenheit oft gegeneinander arbeiteten.

Eine leichte Aufgabe ist die Rückeroberung des Kanzleramts nicht – steckten die Umfragewerte der SPD doch seit Monaten bei rund 15 Prozent.

Warum führt für die SPD kein Weg an Scholz vorbei?

Es hat sachliche und persönliche Gründe, warum Olaf Scholz im vergangenen Jahr den Mitgliederentscheid gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verlor. Die Mehrheit der Genossen wollte eine Parteiführung, die – anders als Scholz – nicht in die Regierungsarbeit eingebunden ist. Der Hamburger ist darüber hinaus in seiner Partei nicht beliebt. Er gilt als arrogant, wird wegen seines scharfen Intellekts und Fleißes aber geachtet. „Man kann mit ihm reden“, heißt es selbst im linken Flügel.

Die Herzen der Genossen erwärmen dagegen Sozialdemokratinnen wie die Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern). Beide hatten sich aber aus Gesundheitsgründen aus der Parteispitze zurückgezogen und standen als Kandidatinnen nicht zur Verfügung.

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Scholz sei zwar „nicht der absolute Wunschkandidat“ der beiden Parteichefs, sagt eine SPD-Bundestagsabgeordnete. Doch es gebe einfach keine Alternative zu dem 62-Jährigen. So sind nicht alle Genossen glücklich mit der Nominierung. Die Bundestagsabgeordnete und Parteilinke Hilde Mattheis etwa zeigte sich auf Twitter „ratlos“ über das einstimmige Votum des Parteivorstands für Scholz.

Für dessen Nominierung sprach auch, dass Scholz die SPD in seiner Heimat Hamburg zwei Mal zur stärksten Partei mache. Im Bund ist er laut Umfragen der drittbeliebteste Politiker ist. Kein anderer Sozialdemokrat reicht an diese Werte heran. „Olaf Scholz genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, aber auch in der Partei“, sagte Walter-Borjans bei der Vorstellung des Kandidaten.

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Warum stellen die Sozialdemokraten schon jetzt einen Kandidaten auf?

Die SPD will die Zeit der Ungewissheit über den Kandidaten der Union nutzen, um ihren Kandidaten im Bewusstsein der Bürger zu verankern. Offiziell bewerben sich um die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Parteichefin NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Ex-Fraktionschef Friedrich Merz und Außenpolitiker Norbert Röttgen. Doch in den Reihen der CDU wächst die Unzufriedenheit mit Laschet, manche Christdemokraten plädieren für CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidat der Union. Der hält sich noch alles offen. Erst Anfang 2021 soll der Kandidat der Union ausgerufen werden.

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Die lange Phase von mehr als zwölf Monaten bis zur Bundestagswahl sieht die SPD-Spitze nicht als Gefahr.

Zwar hatte der SPD-Kanzlerkandidat von 2013, Peer Steinbrück, einst vor der „Eierschleifmaschine“ gewarnt, in die er eingespannt werde. Doch weil Scholz kein neuer Kandidat ist, sondern seit Jahrzehnten im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, gilt er in der SPD als „auserzählt“. Anders als damals bei Steinbrück gebe es bei ihm keine Überraschungen, die etwa recherchierende Journalisten noch ans Tageslicht holen könnten, sagen die Fürsprecher der frühen Ausrufung.

Was sind seine Stärken, was die Schwächen?

Als SPD-Landesparteichef und Ministerpräsident hat Scholz in Hamburg bewiesen, dass er führen kann. „Wer bei mir Führung bestellt, der kriegt sie auch“, lautet eines seiner bekanntesten Zitate. Im Interesse der Einigkeit mit den beiden Parteichefs und großen Teilen der Partei muss er diesen Ehrgeiz nun zähmen. Aber schon sein Scheitern beim Mitgliederentscheid hatte dem Politiker im vergangenen Jahr seine Grenzen aufgezeigt.

Scholz steht für Solidität und Verlässlichkeit. Emotionen zu entfesseln, gehört nicht zu seinen Stärken. Auch ist offen, ob der Norddeutsche in anderen Regionen der Republik eine ähnliche Zustimmung genießt wie in seiner Heimat. Die Umfragen sprechen aber eher dafür.

Die heiße Phase des Wahlkampfs von Scholz und der SPD könnte allerdings überlagert werden von Versuchen, die Verantwortung des Finanzministers für den Wirecard-Skandal herauszuarbeiten. Noch haben die Oppositionsparteien sich nicht festgelegt, ob sie einen Untersuchungsausschuss einberufen wollen, aber die Versuchung ist groß.

Mit welcher Machtperspektive tritt Scholz an?

Anders als tags zuvor Parteichefin Esken in einem ARD-Interview ließ sich Scholz am Montag nicht auf den Gedanken ein, die SPD könne in einem „progressiven“ Regierungsbündnis unter einem grünen Kanzler regieren. Seine Partei wolle die Regierung anführen, erklärte er. Die vor sieben Jahren von der SPD getroffene Grundsatzentscheidung, wonach ein Regierungsbündnis mit der Linkspartei unter bestimmten Bedingungen möglich ist, erwähnte der gerade ausgerufene Kandidat zustimmend. Zugleich machte er die Bedingungen klar: Die Wirtschaft müsse laufen, Deutschland müsse seiner Verantwortung in der Nato gerecht werden und zu seinen europäischen Verpflichtungen stehen. Alle drei Bedingungen erfüllt die Linkspartei heute nicht.

Wahrscheinlich ist, dass der Kandidat versuchen wird, bis zur Bundestagswahl weiterhin keine klare Koalitionsaussage zu treffen.

Allerdings sehen die bürgerlichen Parteien Union und FDP im Ziel einer rot-rot-grünen Regierung einen idealen Angriffspunkt, auf den sie immer wieder hinweisen werden. Scholz persönlich gilt als Befürworter einer Koalition der SPD mit den Grünen und den Liberalen – doch diese Aussicht beflügelt nur wenige in seiner eigenen Partei. Und die Grünen werden sich umgekehrt jede Möglichkeit offenhalten, auch mit der Union zu koalieren. Als Mehrheitsbeschaffer der SPD eingenordet zu werden, widerspricht ihrem Selbstverständnis als selbstständige Kraft, die nur nach Sachpolitik entscheidet.

Rot-Rot-Grün im Bund – kann Scholz ein solches Projekt glaubwürdig vertreten?

Die Fortsetzung der großen Koalition war Scholz’ zentrale Werbebotschaft in seiner Kampagne für den SPD-Vorsitz – und auch ein Grund, warum er die Mitgliederabstimmung gegen Esken und Walter-Borjans verloren hat. Die beiden hatten ihren Anhängern zumindest indirekt immer wieder einen vorzeitigen Ausstieg aus der Groko in Aussicht gestellt. Eine Neuauflage von Schwarz-Rot lehnt auch Scholz ab.

Am Montag sagte er, dass eine große Koalition „kein Normalmodell“ sein dürfe. Das von den Sozialdemokraten angestrebte „progressive“ Bündnis schließe „andere Varianten aus“. Ein leidenschaftliches Plädoyer für Rot-Rot-Grün ist das allerdings nicht. Entsprechend verhalten reagierte Linken-Chef Bernd Riexinger auf Scholz’ Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten. Mit Blick auf eine Zusammenarbeit mit der SPD im Bund sagte Riexinger am Montag: „Wir machen das von den Inhalten abhängig.“

Bernd Riexinger ist seit 2012 Vorsitzender der Partei Die Linke.
Bernd Riexinger ist seit 2012 Vorsitzender der Partei Die Linke.

© dpa

Ein Kandidat der Mitte und eine linke Parteiführung – kann das gut gehen?

Von einer „unerwarteten Geschlossenheit“ innerhalb der SPD sprach Scholz bei seiner Vorstellung als Kanzlerkandidat. Tatsächlich vermitteln er und das Führungsduo aus Esken und Walter-Borjans spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie den Eindruck, an einem Strang ziehen zu wollen. Auch, dass den drei mit dem frühen Zeitpunkt der Nominierung eine Art Überraschungscoup gelungen ist, zeugt vom Willen zum Zusammenhalt.

Saskia Esken, Olaf Scholz und Norbert Walter-Borjans (von rechts) bei der Vorstellung des SPD-Kanzlerkandidaten in Berlin.
Saskia Esken, Olaf Scholz und Norbert Walter-Borjans (von rechts) bei der Vorstellung des SPD-Kanzlerkandidaten in Berlin.

© dpa

Hinter der demonstrativen Harmonie stecke eine Strategie, heißt es in der Partei: Esken und Walter-Borjans seien gewissermaßen für das Wohlbefinden der linken Parteiseele zuständig. Der Pragmatiker Scholz soll zugleich außerhalb der SPD mobilisieren. Ob die Taktik aufgeht, wird die anstehende Debatte über das Wahlprogramm zeigen.

„Das kann noch zum Konflikt führen“, sagt eine SPD-Bundestagsabgeordnete. Im Jahr 2013 hatte der damalige SPD-Kandidat Peer Steinbrück von der eigenen Partei mehr „Beinfreiheit“ verlangt – und dann die Wahl verloren. „Es wird nicht ein Programm der SPD sein, das einem Kandidaten aufgestülpt wird“, versicherte Walter-Borjans am Montag mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf.

Ein Mitglied der Programmkommission sagt indes, dass Scholz bislang noch keine Versuche unternommen habe, dem Programm seinen Stempel aufzudrücken. „Es wirkt so, als wenn Olaf das erst einmal laufen lässt.“

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