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Eine Frau wird im Corona Impfzentrum Essen geimpft.

© imago images/Rupert Oberhäuser

Neue Studien zum Coronavirus: Jeder Impfstoff hat seine Vorzüge – und alle wirken

Corona-Impfstoff bleibt liegen, weil er angeblich zweitklassig ist – doch neuere Studien zeigen: Jedes Mittel hat seine eigenen Vorteile.

Von Robert Birnbaum

Berichte aus der Wissenschaft bedeuteten im Corona-Jahr oft schlechte Neuigkeiten: Warnungen, steile Kurven, mutierte Viren. Doch neuerdings finden sich in den Fachjournalen öfter hoffnungsvolle Botschaften. Es sind Erkenntnissen aus den laufenden Impfkampagnen.

Erst am Donnerstag kam eine neue Studie aus Israel dazu. Sie zog die gleiche Schlussfolgerung wie andere vor ihr: Impfen wirkt – oft besser als erhofft und praktisch egal, womit.

Die jüngsten ermutigenden Befunde kommen aus Großbritannien und Israel. Das ist kein Zufall. Beide Länder haben hohe Impfquoten, also genug Anschauungsmaterial. Vor allem Israel bietet der Forschung extrem gute Bedingungen: Knapp neun Millionen Einwohner, speziell in der Pandemie fast eine von der Außenwelt abgeschottete Insel, ein straff organisiertes Gesundheitswesen und vor allem: kaum Datenschutz.

Für den Impfstoff-Hersteller Biontech/Pfizer ist das Land durch einen Deal mit der Regierung regelrecht zum Großlabor geworden. Der Konzern sicherte schnelle Lieferung zu, die Regierung freien Zugang zu Gesundheitsdaten in einem Ausmaß, das hierzulande einen Aufschrei produziert hätte.

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Doch dadurch konnten Forscher jetzt die Impfdaten von rund 1,2 Millionen Versicherten der Krankenkasse Clalit auswerten, um den Impfstoff unter Realbedingungen zu überprüfen. Die Ergebnisse, im „New England Journal of Medicine“ publiziert, bestätigen frühere Befunde. Schon nach einer ersten Dosis des Biontech/Pfizer-Vakzins sinkt binnen zwei bis drei Wochen die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, um mehr als 60 Prozent; nach der zweiten Dosis ist sie um 92 Prozent geringer.

Tücken der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Weil Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht jedermanns Sache ist, sind die absoluten Zahlen zwar nicht so wissenschaftlich präzise, aber anschaulicher: Unter knapp 600.000 Geimpften gab es nur noch 55 schwere Verläufe im Vergleich zu 174 in einer gleich großen und ähnlich zusammengesetzten Gruppe Nicht-Geimpfter. 32 Nicht-Geimpfte starben, aber nur neun Geimpfte.

Da zu dieser Zeit in Israel die britische Mutante B.1.1.7 schon weit verbreitet war, folgern die Autoren, dass das Biontech/Pfizer-Vakzin auch diese Variante effektiv ausbremst. Nun gilt das Präparat – ebenso wie sein technischer Verwandter von Moderna – schon länger als so etwas wie der aktuelle Goldstandard in der Corona-Impfung. Dagegen hat der dritte derzeit in Europa zugelassene Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland einen durchwachsenen Ruf.

Zu Unrecht, wie viele Experten betonen: Der Ruf sei Folge einer wenig glücklichen Kommunikation und der speziellen Tücken der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

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Zwei Zahlen geistern nämlich bis heute durch die Debatte: Biontech/Pfizer nannte als Wirksamkeit seines Mittels 95 Prozent, Astrazeneca kam auf rund 70 Prozent. Dass das nicht etwa bedeutet, dass ungefähr jede dritte Astrazeneca-Impfung quasi für die Katz sei, war anfangs bloß dem kleinen Kreis der Spezialisten klar.

Der Wert gibt in Wahrheit nämlich an, wie stark die Wahrscheinlichkeit sinkt, überhaupt irgendwelche Covid-19-Symptome zu entwickeln – egal ob leichter Schnupfen oder tödlicher Verlauf. Dass in den Studien, die Astrazeneca zur Zulassung einreichte, kein einziger zweifach Geimpfter ins Krankenhaus musste, ging in dem vermeintlich leicht verständlichen Zahlenvergleich vollkommen unter.

Jedes Mittel hat seine eigenen Vorteile

Inzwischen liegen aber auch hier neuere Daten vor, die dem Astrazeneca-Mittel sogar Vorzüge gegenüber der Konkurrenz bescheinigen. Technisch hat es die sowieso schon, weil es nicht tiefstgekühlt werden muss, sondern in normalen Kühlschränken von normalen Ärzten verimpft werden kann. Anders dürfte eine Massenimpfung der Deutschen in einer absehbaren Zeit auch gar nicht zu bewerkstelligen sein.

Dazu kommen jetzt erste Hinweise, dass das Astrazeneca-Mittel früher stärker wirkt als das Biontech/Pfizer-Produkt. Sie stammen aus einer Studie diesmal aus Schottland, in die die Daten fast der gesamten Bevölkerung eingingen. In dem noch als Preprint, also ohne kritische Gegenleser aus der Fachwelt, veröffentlichten Papier rechnen die Autoren vor, dass vier bis fünf Wochen nach einer ersten Astrazeneca-Dosis die Zahl der Geimpften, die trotzdem mit schweren Verläufen ins Krankenhaus mussten, schon um 94 Prozent gegenüber Nichtgeimpften gesunken war. Das Biontec/Pfizer-Mittel kam „nur“ auf 85 Prozent, was allerdings immer noch extrem gut ist.

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Überdies weist eine weitere Studie darauf hin, dass das Astrazeneca-Mittel im ursprünglichen Zahlenrennen der Wahrscheinlichkeiten offenbar deutlich aufholen kann, wenn man mit der zweiten Dosis länger wartet als bisher. Die Wahrscheinlichkeit, Symptome zu entwickeln, sank nämlich um 80 statt rund 70 Prozent, wenn die zweite Dosis erst nach drei Monaten geimpft wird.

Bestätigen sich diese Befunde, wäre das in britisch-schwedischer Kooperation an der Universität Oxford entwickelte Mittel gleich doppelt im technischen Vorteil. Denn je länger das Impfintervall dauern kann, ohne dass die Schutzwirkung in der Zwischenzeit nennenswert absinkt, desto schneller kann ein größerer Teil der Bevölkerung zumindest in einem ersten Durchgang geschützt werden.

Erst wenn das Virus überall unter Kontrolle ist, ist die Gefahr gebannt

Das könnte für ärmere Länder zusätzlich interessant sein, in denen die Logistik für Massenimpfungen fehlt – die aber für den weltweiten Kampf gegen Corona wichtig sind. Denn auch darauf weisen Experten immer wieder hin: Erst wenn das Virus überall unter Kontrolle ist, ist die Gefahr von Fluchtmutationen gebannt, also von neuen Virentypen, die den Impfschutz überwinden.

Dass das Astrazeneca-Mittel stärkere Nebenwirkungen hat als die Konkurrenz, ist für Fachleute ebenfalls kein Grund, davon abzuraten. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), amtlich zuständig für die Sicherheit von Impfstoffen, kommt in seiner aktuellen Bewertung zu dem Schluss, dass diese Impfreaktionen – von Unwohlsein bis zu grippeähnlichen Symptomen mit Fieber – nach wenigen Tagen verschwinden. Darin spiegele sich in der Regel die normale Immunantwort des Körpers. Einige Kliniken und Pflegeeinrichtungen legte diese Impfreaktion kurz lahm, weil alle gleichzeitig geimpft wurden und sich danach gleichzeitig krank meldeten. Aber auch dort ging die Arbeit kurz danach normal weiter.

Die Impfstoff-Spezialisten des PEI kommen denn auch zu einer nüchternen Bilanz: „Der Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca ist hochwirksam. Er verhindert in der Mehrzahl der Fälle eine Covid-19-Erkrankung oder mildert bei Erkrankungen die Symptome.“ Vor der Wahl, zu warten oder zu dem britisch-schwedischen Vakzin zu greifen, ist die Empfehlung der Experten im hessischen Langen jedenfalls klar: „Von der erwarteten Schutzwirkung profitiert jeder einzelne Geimpfte.“ Denn klar ist: Für jeden Nichtgeimpften beträgt der Schutz, logisch, genau 0 Prozent.

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