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Dieser Wirt in Potsdam macht von seinem Hausrecht Gebrauch – und setzt 2G um.

© Sebastian Gabsch/PNN

Mit 3G oder 2G gegen das Coronavirus: Hamburg erhöht Druck auf Ungeimpfte – ein Modell für Deutschland?

Mit einem 2G-Optionsmodell möchte Hamburg ab sofort noch mehr Normalität in den Alltag bringen. Doch es gibt Kritik – auch weil Kinder benachteiligt werden.

Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt seit Wochen kontinuierlich an, seit Anfang Juli haben sie sich mehr als verzehnfacht. Modellrechnungen sagen voraus, dass wegen der besonders ansteckenden Delta-Variante die Zahl der täglich bestätigten neuen Fälle Ende Oktober bei 128.000 liegen könnte.

Während gleichzeitig die Zahl der Covid-19-Patienten auch wieder spürbar zunimmt, kommt die Impfkampagne nur noch sehr schleppend voran. Zudem naht der Herbst, die Menschen werden sich immer mehr in Innenräumen aufhalten. Wie lässt sich die Ausbreitung des Virus bremsen – bringt das Modell 3G die Wende? Oder wird sogar 2G Standard?

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Seit Anfang der Woche gilt bundesweit 3G. Dies bedeutet, nur Geimpfte, Genesene oder Getestete erhalten Zutritt zu vielen öffentlichen Räumen. Bei Verstößen drohen saftige Geldbußen. Hamburg geht noch einen Schritt weiter, hier gibt es seit diesem Wochenende ein Optionsmodell: Veranstalter und Gastronomen können sich für 3G oder für 2G entscheiden.

Der Sonderweg 2G des rot-grünen Senats der Hansestadt setzt dann fast alle Corona-Auflagen außer Kraft – wenn eben nur Geimpfte oder Genesene anwesend sind. Für die Gastronomie, für Kinos, Theater, Museen, Zoos und auch Religionsgemeinschaften bedeutet dies, dass es keine Kapazitätseinschränkungen mehr gibt. Auch das Abstandsgebot und die Testpflicht in geschlossenen Räumen sind aufgehoben, sogar die Sperrstunde fällt.

Wer etwa als Gastronom mitmachen möchte beim Modell 2G, muss sich über eine Webseite anmelden. Wie viele sich dafür entscheiden werden, ist nicht abzusehen. Der Fernsehkoch Steffen Henssler beispielsweise sagte am Freitag, dass für seine Restaurants in Hamburg weiter 3G gelten werde. Zu berücksichtigen ist bei dem 3G-Modell, dass die Schnelltests ab dem 11. Oktober kostenpflichtig werden.

Erster Bürgermeister Hamburgs: Peter Tschentscher (SPD).
Erster Bürgermeister Hamburgs: Peter Tschentscher (SPD).

© Markus Scholz/dpa

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) begründete die Entscheidung des Senats für 2G damit, dass Geimpfte und Genesene im Vergleich zu den Ungeimpften keinen wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen hätten. Er verwies darauf, dass die Inzidenz in der Gruppe der Ungeimpften deutlich höher sei.

„Für diejenigen, für die die Pandemie selbst keine Rolle mehr spielt und die aber auch keinen wesentlichen Beitrag zur Pandemie leisten, ist es auch rechtlich nicht mehr geboten, sie mit derselben Beschränkung zu belegen wie alle anderen“, sagte Tschentscher – und fügte an: „Das werden wir in ganz Deutschland erleben.“

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Aus Sicht von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist das Hamburger 2G-Modell unproblematisch. Indem etwa Gastronomen künftig ausschließlich Geimpfte und Genesene in ihren Lokalen zuließen, werde das Hausrecht ausgeübt, sagte die Ministerin im ZDF. In der Pandemie seien Gastronomen bisher stark von Einschränkungen betroffen gewesen. Bei der Anwendung der 2G-Regelung bestehe die Chance auf weniger Ansteckungsgefahr in Lokalen.

Dass der Staat 2G vorschreibt, hatte die Ministerin am vergangenen Wochenende ausgeschlossen. „Jeder Eingriff in Freiheitsrechte muss gut begründet und verhältnismäßig sein“, sagte sie der „Welt am Sonntag“. Sie sehe nicht, wie man eine derart schwerwiegende Beschränkung für Ungeimpfte mit dem Infektionsschutz rechtfertigen könnte. „Es macht einen Unterschied, ob ein Gastronom im Rahmen seiner Vertragsfreiheit sagt, ,bei mir werden nur Geimpfte und Genesene bedient', oder ob der Staat so etwas vorgibt.“

Außerdem dürfe ein Arbeitgeber keinen Mitarbeiter entlassen, sollte er sich einer Impfung verweigern. „Aber es ist durchaus vorstellbar, dass der Arbeitgeber diesen ungeimpften Beschäftigten andere Aufgaben zuweisen kann“, sagte Lambrecht.

Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Christine Lambrecht (SPD).
Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Christine Lambrecht (SPD).

© Britta Pedersen/dpa

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte schon nach dem letzten Corona-Gipfel von Bund und Ländern am 9. August gesagt, dass bald eine Debatte über 2G folgen werde. „2G wird so oder so ab einem bestimmten Zeitpunkt kommen, und mir wäre es lieber, wir würden jetzt ehrlich drüber reden als es zu vertagen bis nach der Bundestagswahl“, so Söder.

Am Dienstag verwies er darauf, dass weitere Entscheidungen abhängig von der Lage in den Kliniken seien. „Erst dann, wenn es sehr ernst wird, eine Überlastung des Gesundheitssystems droht, wäre ein Wechsel zu 2G verhältnismäßig“, sagte der CSU-Chef dem Sender münchen.tv. Zunächst gehe es im Sinne der Impfstrategie darum, die Menschen zu motivieren, nicht darum, sie auszuschließen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Einer in der Nacht zu Samstag veröffentlichten britischen Studie zufolge ist das Risiko, bei einer Infektion mit der Delta-Variante in eine Klinik eingewiesen zu werden, vor allem für Ungeimpfte doppelt so hoch wie bei der ursprünglichen Alpha-Variante des Coronavirus. Unter den mehr als 40.000 untersuchten Fällen in der Studie waren nur 1,8 Prozent vollständig Geimpfte, was die Forscher als erneute Bestätigung für einen sehr wirksamen Schutz der Impfstoffe interpretieren.

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Angesichts der noch niedrigen Impfquote – am Samstag waren mehr als 60 Prozent der deutschen Bevölkerung vollständig geimpft, fast 65 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten – hat die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, Kritik zurückgewiesen, das Hamburger 2G-Optionsmeodell sei eine Impfpflicht durch die Hintertür. „Eine Pflicht ist etwas, dem man sich nicht entziehen kann“, sagte sie dem Hörfunksender NDR Info.

Das sei hier nicht der Fall. Stattdessen werde „Druck aufgebaut, um es attraktiver zu machen, sich und andere zu schützen“. Über die 2G-Frage hat sich der Ethikrat als Gesamtgremium einer Sprecherin zufolge noch nicht geäußert.

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Buyx sagte, aus ethischer Sicht sei das 3G-Modell besser, weil es mehr Teilhabe biete. Wenn sich die Situation aber weiter verschlechtern würde, sei 2G ethisch vertretbar, wenn damit maßvoll umgegangen werde. „Man sollte vorher alles andere ausgeschöpft haben.“ Wichtig sei zudem, vorab zu überdenken, welche Bereiche betroffen seien. „Die Disco ist nicht der Sportverein und auch nicht der Behördenbesuch“, so Buyx.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hält die optionale Sonderregelung für Geimpfte und Genesene in Hamburg derzeit nicht für flächendeckend umsetzbar. „So weit sind wir noch nicht in Berlin, ich sehe es auch nicht für die ganze Bundesebene“, sagte der Vorsitzende der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten im ZDF.

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Für den öffentlichen Raum lasse sich die Regelung allein deswegen nicht umsetzen, weil dann Kinder und Jugendliche benachteiligt würden. Gerade Familien mit kleinen Kindern, die sich noch gar nicht gegen das Coronavirus geimpft werden könnten, würden etwa von Veranstaltungen ausgeschlossen. „Ich glaube, dafür muss auch eine Regelung gefunden werden, wenn das in Hamburg oder anderen Regionen umgesetzt werden soll“, sagte Müller.

Anders stelle sich die Situation bei Jugendlichen und Erwachsenen dar, die bereits ein Impfangebot bekommen, dieses aber bisher nicht angenommen hätten. In diesem Fall sei die 2G-Regelung denkbar.

[Bei T+ lesen Sie: Die (vermeidbare) Zukunft der Pandemie – Ende Oktober könnte es 128.000 Neuinfektionen pro Tag geben]

Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält sogar schon die geltende 3G-Regel für die Einführung einer Impfpflicht durch die Hintertür. „Wenn die Impfung weiterhin freiwillig sein soll, dürfen Impfunwilligen keine Nachteile entstehen, wenn sie sich nicht impfen lassen wollen“, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg dem Evangelischen Pressedienst.

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„Entstehen für sie Nachteile, werden sie diskriminiert, und das lässt unsere Verfassung nicht zu.“ Sowohl für eine direkte Impfpflicht per Gesetz als auch für eine indirekte Impfpflicht, die durch öffentlichen Druck erzeugt wird, seien die gleichen Voraussetzungen gültig, sagte Boehme-Neßler.

„Eine Impfpflicht greift in viele Grundrechte ein. Da geht es um die Grundrechte auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf körperliche Selbstbestimmung, auf Kindeserziehung und sogar um die Religionsfreiheit.“ Darum könne ein so gravierender Eingriff in die Verfassung nicht durch einen ministeriellen Erlass erfolgen: „Das darf nur der Bundestag per Gesetz regeln. Da müssen die Parlamentarier Stellung beziehen.“

Das bedeute: „Bisher gibt es keine hinreichende gesetzliche Grundlage für eine Impfpflicht.“ Boehme-Neßler weiter: „Eine Impfung zum Schutz der eigenen individuellen Gesundheit darf der Staat seinen Bürgern nicht verpflichtend auferlegen.“

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