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Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach setzt alles an eine funktionierende Booster-Kampagne.

© REUTERS/ Annegret Hilse

Lauterbach warnt vor Rationierung: Schon im Januar könnten Millionen Impfdosen fehlen

Der Bundesgesundheitsminister sorgt mit seiner Impfstoff-Inventur für Verwirrung. Nun legt er das Ergebnis offen. Es wird eng, aber er will ganz groß einkaufen.

Karl Lauterbach richtet sich nochmal den Scheitel, dann setzt er die Maske ab und versucht die Dinge mal zu ordnen. Was ihm besonders wichtig ist, es gehe hier „ganz ausdrücklich“ nicht um eine Kritik an seinem Vorgänger Jens Spahn.

Er hat mit ihm persönlich deswegen auch nochmal gesprochen. Warum der Impfstoff knapp werden könnte, hängt schlicht mit der neuen Omikron-Lage – und einer veränderten Strategie zusammen. So schnell es geht, so viele Bürgerinnen und Bürger wie möglich mit Booster-Auffrischungsimpfungen versorgen.

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Vor seinem ersten Auftritt als Bundesgesundheitsminister in der Bundespressekonferenz hat er noch mit seinem britischen Amtskollegen telefoniert und ein sehr beunruhigendes Lagebild bekommen. Die Verdopplungszahl der Fälle betrage dort nur zwei bis drei Tage, berichtet Lauterbach. Wegen Omikron.

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„Und das bei einer durchgeimpften Bevölkerung.“ Über 85 Prozent der über 12-Jährigen seien geimpft, viele bereits geboostert. Bei zwei Impfungen betrage die Schutzwirkung lediglich 40 bis 45 Prozent, mit Auffrischungsimpfung 70 bis 75 Prozent, trägt Lauterbach vor.

Bis zu 1,5 Millionen Impfungen aktuell pro Tag - im Januar droht ein Einbruch

Daher sei es der zentrale Schlüssel seiner Corona-Strategie, mit einer sehr offensiven, schnellen Boosterkampagne zu versuchen, „die Omikron-Welle so klein wie möglich zu halten.“ Vor diesem Hintergrund habe er vergangenen Freitag eine Inventur gemacht. „Ich war mit diesen Ergebnissen nicht einverstanden.“

Zuletzt gab es rund eine Million Impfungen am Tag, am Mittwoch wurde mit knapp 1,5 Millionen ein neuer Rekord in Deutschland geschafft. In den ersten Januarwochen könnte aber nach der Inventurauflistung seines Ministeriums zum Teil nur Impfstoff für 3,5 Millionen Impfungen pro Woche zur Verfügung stehen, das würde aber nur für eine halbe Million am Tag reichen.

Lauterbach berechnet den Boosterbedarf auf insgesamt 73 Millionen, 23 Millionen in diesem Jahr und 50 weitere Millionen bis zum Ende des ersten Quartals. Dazu plant Lauterbach mit 20 Millionen Erst- und Zweitimpfungen.

Die Impfstoffliste nach Lauterbachs Inventur.
Die Impfstoffliste nach Lauterbachs Inventur.

© Georg Ismar

Da aber bisher nur 50 Millionen für das erste Quartal bis März gesichert sind, fehlen mindestens 20 Millionen an Impfdosen. „Somit ist der Bedarf nicht gedeckt“, konstatiert Lauterbach trocken, an manchen Stellen wirkt er ob der Zahlen aber auch etwas zerstreut. Und er sorgt für Verwirrung.

BIs zu 115 Millionen Dosen zusätzlich - und wann?

Ausgerechnet bei der positiven Neuigkeit des Tages. Die Bundesregierung hat kurzfristig mit Moderna verhandelt, um die Lieferung von 35 Millionen Dosen vorzuziehen, das bedarf der Zustimmung der EU-Kommission, die dafür am Donnerstag grünes Licht gegeben hat. Kanzler Olaf Scholz habe da aktiv geholfen, betont Lauterbach. Zudem habe Finanzminister Christian Lindner (FDP) es sehr unterstützt, dass für 2,2 Milliarden Euro unter anderem 80 Millionen zusätzliche Dosen Biontech-Impfstoff beschafft werden können.

Somit kauft Lauterbach groß ein - und kann mit mindestens 115 Millionen zusätzlichen Dosen im nächsten Halbjahr rechnen.

Lauterbach macht falsche Angaben

Die Gretchenfrage ist nur, wann genau. Bisher werden aus einer Dose Moderna zwei Booster-Impfungen gezogen, wegen der hartnäckigen Omikron-Variante könnte aber demnächst jeweils eine ganze Dose je Boosterimpfung genommen werden, dann wären es nur 17,5 Millionen Impfungen, rechnet Lauterbach vor, was aber schlicht falsch ist. Es wären auch dann mindestens 35 Millionen Booster-Impfungen, Stand heute wären es sogar 70 Millionen. Damit könnte der Mangel im ersten Quartal schon behoben sein.

Mithin ist Lauterbach zunächst gar nicht im Bilde, dass er vielleicht schon seine 20-Millionen-Lücke damit geschlossen hat.

Warum der Januar zum entscheidenden Monat wird

Aber für ihn steht auch fest: Ohnehin sei ein Boostern bis Ende März zu spät, im Prinzip will er, dass es viel schneller klappt, am besten schon im Januar weitgehend, um die Welle in Schach zu halten. Aber dafür braucht es eben mehr Impfstoff – denn da gibt es laut der neuesten Auflistung seines Ministeriums die größten Knappheiten. Und er kann nicht sagen, bis wann genau der zusätzliche Moderna-Impfstoff kommt.

„Wir haben das schnellste Booster-Tempo in Europa, was im Übrigen mein Vorgänger mit angestoßen hat“, betont Lauterbach – er hat übrigens, was ungewöhnlich ist, auch einfach erst einmal den Sprecher von Minister Jens Spahn, den früheren Journalisten Hanno Kautz, übernommen.

Er wolle nicht, dass dieses Tempo ausgebremst wird, „weil ich Impfstoff rationieren muss“, sagt Lauterbach. Und so wird fieberhaft an Lösungen gearbeitet.

Hilferuf an Polen, Rumänien, Bulgarien, Portugal

Lauterbach hält seit Monaten auch einen engen Draht zum Biontech-Gründer Ugur Sahin, auch von ihm braucht er nun schneller mehr Stoff.

Zudem ist man mit Rumänien, Polen, Bulgarien und Portugal im Gespräch, um von dort überschüssige Dosen zu bekommen – damit nicht im Januar viele Bürger wieder ohne Piks nach Hause geschickt werden müssen.

Wo sie in der SPD daran zweifelten, ob der Epidemiologe Lauterbach auch ein guter Manager sei, ist genau das jetzt gefragt. Er will notfalls von der Bundeswehr Impfstoffe direkt bei den Werken abholen lassen.

Lauterbach hat seine Meinung zum Boosterabstand angepasst

Wie schwierig die Entwicklungen auch für ihn selbst abzuschätzen waren, zeigt ein Beispiel aus dem Wahlkampf. Am 18. September, eine Woche vor der Bundestagswahl, ist er in Opladen unterwegs. Ein großes Hallo, Lauterbach geht durch die Fußgängerzone, Leute, setzen ihre Kaffeetassen ab, hören auf ihr Spaghettieis zu essen, um ihrem Bundestagsabgeordneten zuzuwinken.

Da schon ist er immer in Begleitung von zwei Personenschützern, überall in seinem rheinischen Wahlkreis, den er seit 2005 stets direkt gewann, sind zerstörte Wahlplakate mit einem zerschnittenen Gesicht Lauterbachs zu sehen.

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Als er sich zum Gespräch mit dem Tagesspiegel in ein Café setzt, kommt eine ältere Dame zu ihm, das Thema Boosterimpfungen wird da erst ganz dezent diskutiert. Lauterbach ärgert vor allem, dass die bisherige Impfkampagne nicht kommunikativ besser begleitet wird, die Impfquote sei viel zu niedrig, um sicher durch Herbst und Winter zu kommen.

[Lesen Sie auch: Für Grundimmunisierung oder Booster – hier gibt es Impfungen ohne Termin in Berlin (T+)]

„Herr Professor Lauterbach, wie stehen Sie zur dritten Impfung“, fragt die Rentnerin. „Ohne 3. Impfung wird es nicht gehen“, sagt Lauterbach schon damals. Aber der Dialog zeigt, dass auch für einen Mann vom Fach wie ihn vieles in dieser Pandemie unberechenbar ist.

Er will wissen, wann denn die letzte Zeitimpfung war. Das war im April. „Dann haben Sie ja noch 2,3 Monate Zeit.“ Solche Abstände empfiehlt er heute in Zeiten von Omikron und nach den nun bekannten Studien zum Nachlassen der Impfwirkung nicht mehr.

Die Boosterimpfung erhöhe den Schutz um den Faktor 15, sagt er zu der Dame. Aber damals will er das öffentlich nicht zu laut sagen, denn sonst will jeder die 3. Impfung haben. „Dann haben wir zu wenig Impfstoff für Länder in Afrika.“

Passgenau bestellen, auch für unvorhergesehene Fälle

Das ist und bleibt bis heute das Problem. Die Pandemie ist letztlich nur zu besiegen, wenn überall genug geimpft wird, sonst entstehen immer wieder neue Virusformen wie die hochansteckende Omikron-Variante, die zuerst in Südafrika festgestellt worden ist.

Deutschland hat über die Impfstoffallianz Covax zugesagt, bis Jahresende 100 Millionen Dosen anderen Ländern zur Verfügung zu stellen. Das führte im November auch zu Biontech-„Rationierung“.

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Lauterbach hat nun mit einem Problem zu kämpfen, das schon seinem CDU-Vorgänger Jens Spahn schwer zu schaffen machte. Was kaum möglich ist: Passgenau zu bestellen, auch für unvorhergesehene Fälle wie ein notwendiges, viel schnelleres „Boostern“. Daher will Lauterbach nun, dass einfach so viel Impfstoff geordert wird, dass es notfalls auch viel zu viel gibt, und der dann abgegeben wird. Denn er schließt nicht aus, dass im kommenden Jahr bereits die Offensive für Viertimpfungen starten muss. Er lässt jetzt auf jeden Fall richtig groß einkaufen - damit solche Debatten gar nicht erst wieder entstehen.

Neben Lauterbach sitzt auf dem Podium der Bundespressekonferenz so wie früher neben Spahn, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Er mahnt nachdrücklich, trotz der Impfungen, Weihnachten die Kontakte auf das Nötigste zu reduzieren. „Wir müssen verhindern, dass die Weihnachtstage zu einem Kickstart für Omikron werden“, sagt Wieler. Und da stimmt auch Lauterbach zu, Wieler hat im Namen aller Krisenkämpfer einfach nur einen Wunsch: „Wir müssen aus dieser Achterbahn aussteigen, in der wir seit zwei Jahren fahren.“

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