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RKI-Chef Lothar Wieler (l.) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© Kay Nietfeld/dpa

„Lage in Krankenhäusern teils dramatisch“: Wieler warnt vor „naivem Wegtesten“

Der RKI-Chef warnt vor einer trügerischen Sicherheit – vor allem in den Schulen. Jens Spahn hält die bundesweite Notbremse für unzureichend.

Die Zahlen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus schießen in Deutschland in die Höhe. „Die Infektionszahlen sind zu hoch und sie steigen weiter", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Donnerstag auf der wöchentlichen Pressekonferenz mit dem Chef des Robert Koch-Institut (RKI). Lothar Wieler. Beide mahnten eindringlich, die dramatischen Hilferufe der Intensivmediziner ernst zu nehmen, die seit geraumer Zeit vor einem Kollaps des Gesundheitssystems warnen.

Spahn appellierte daher an die Bundesländer, man solle nicht warten, bis der Bundestag die Bundesnotbremse nächste Woche beschließen werde. „Man muss nicht auf dieses Bundesgesetz warten“, sagte Spahn. Es brauche weitere Einschränkungen. „Die Zeit drängt und bereits jetzt haben alle auch schon die Möglichkeit zu handeln.“ Das Gesetz „alleine und das auch erst Ende nächster Woche inkrafttretend, löst unser akutes Problem nicht“, sagte er.

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Über die Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird voraussichtlich am Mittwoch kommender Woche im Bundestag abgestimmt. Auch den Bundesrat muss das Gesetz dann noch passieren. Erstmals bekäme damit der Bund die Kompetenz, über pandemiebedingte Einschränkungen im privaten und öffentlichen Bereich zu entscheiden, für die grundsätzlich die Länder zuständig sind. Das Gesetz erlaubt das Einschreiten des Bundes, wenn die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen den Wert von 100 übersteigt. Aktuell liegt sie im bundesweiten Schnitt bei 160.

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Das RKI hatte am Morgen binnen 24 Stunden 29.426 Neuinfektionen gemeldet. Am vergangenen Donnerstag waren noch 9019 Fälle weniger registriert worden. 293 weitere Menschen sind binnen 24 Stunden in Verbindung mit dem Virus gestorben. Um Details der „Notbremse“ wird noch gerungen, etwa um die im Gesetzentwurf vorgesehenen nächtlichen Ausgangssperren.

Spahn verteidigte die Maßnahme. Es gehe nicht darum, um 22 Uhr draußen allein unterwegs zu sein, sondern die Frage, von wo nach wo das der Fall sei. Es seien in aller Regel private Treffen, wo es zu Ansteckungen kommen könne. Studien und Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, dass Ausgangsbeschränkungen ein wirksames Mittel seien, um solche Kontakte einzuschränken.

Spahn sagte weiter: „Wir wissen aus dem Herbst, was passiert, wenn wir nicht rasch genug handeln.“ Was man jetzt möglicherweise versäume, räche sich in zwei, drei Wochen. „Jeder Tag zählt gerade in dieser schwierigen Lage“, sagte Spahn. „Die Lage wird täglich kritischer.“ Gegen ein exponentielles Wachstum der Infektionen könne man nicht animpfen. Man müsse die dritte Coronavirus-Welle mit weiteren Einschränkungen brechen. Zuerst müsse man das Infektionsgeschehen in den Griff bekommen und die Zahlen senken. Erst dann könne man testgestützt öffnen.

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RKI-Chef Wieler stimmte Spahn in der Bundespressekonferenz zu: „Klar ist, wir müssen jetzt handeln.“ Die steigende Zahl der registrierten Neuinfektionen liege nicht an vermehrten Tests. Auch der Anteil der positiven PCR-Testergebnisse habe in der vergangenen Woche bei etwa zwölf Prozent gelegen. Der Anteil der in Großbritannien entdeckten Mutante B.1.1.7 liege bei 90 Prozent, sagte Wieler. Er zitierte Studien, nach denen die britische Variante um 30 bis 70 Prozent ansteckender sei. „Die Übertragung ist so rasch und intensiv“, man bekomme das Virus nicht weggetestet.

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Bei Inzidenzen von 100 oder 200 würden dann einfach viele Menschen positiv getestet werden. „Jetzt erwarte ich, dass die Entscheidungsträger uns alle unterstützen, die dritte Welle zu brechen.“ Es sei „naiv zu glauben, bei hohen Zahlen das Virus wegtesten zu können“, sagte der RKI-Präsident. „Wir müssen die Zahlen runterbringen.“

Der RKI-Chef beschrieb die Pandemie-Lage aus seiner Sicht: „Stellen Sie sich vor, Sie fahren über enge Straßen in den Dolomiten. Es ist kurvenreich und an einer Seite ist ein steiler Abhang. Jeder weiß, in diese Kurve kann ich nur mit 30 fahren. Wenn ich hier mit einer Geschwindigkeit von 100 reinfahre, dann ist das lebensgefährlich. Man kommt nämlich von der Straße ab. Und ehrlich gesagt hilft dann auch keine Notbremse mehr“, sagte Wieler.

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Spahn und Wieler machten zudem deutlich, dass es für unzureichend halten, den Präsenzunterricht an den Schulen erst ab einer Inzidenz von 200 zu stoppen. „Aus meiner Sicht ist die 200er-Grenze zu hoch“, sagte Wieler. Je höher man die Schwelle setze, desto mehr Kinder werde man wegen Infektionen aus den Klassen nehmen und desto mehr ganze Klassen werde man zuhause lassen müssen. Spahn sagte mit Blick auf die vorherrschende, als britische Mutation bekannte Virusvariante: „Gerade bei den Schulen, gerade mit den Erfahrungen, die wir mit dieser Mutation haben, kann ich mir auch deutlich früher als bei 200 diese Maßnahmen vorstellen - unbedingt.“

Bund und Länder wollen mit der geplanten Bundes-Notbremse in den Schulen ab 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen vorschreiben, dass bei Präsenzunterricht zwei Tests pro Woche gemacht werden. Ab 200 soll auf Homeschooling umgestellt werden. In einigen Ländern gibt es bereits geltende Regeln, wonach Schulen ab einer Inzidenz von 100 zu Distanzunterricht wechseln. Gar keine Inzidenzgrenze gibt es derzeit in Sachsen.

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Der RKI-Chef sagte weiter: „Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich teilweise dramatisch zu und wird uns auch noch härter treffen als in der zweiten Welle.“ Er riet allen Kliniken, ihren Regelbetrieb einzuschränken, um Kapazitäten zur Behandlung von schwer kranken Patienten zu schonen. Es gebe jetzt schon in einigen Städten und Ballungsgebieten auf den Intensivstationen keine freien Betten mehr. „Und das ist eine Situation, in der wir mit mehr Patienten rechnen müssen.“ Stabile Kranke sollten deshalb aus Regionen mit akutem Bettenmangel rechtzeitig in weniger betroffene Regionen verlegt werden.

Wegen der Schwere der Erkrankungen würden auf den Intensivstationen immer mehr künstliche Lungen benötigt, sagte der RKI-Präsident. Acht von zehn Geräten seien mit Covid-Patienten belegt. Darunter seien inzwischen auch viele jüngere Erwachsene.

Ein Intensivmediziner der Berliner Charité warnte bei der Pressekonferenz ebenfalls vor einer Überlastung des Gesundheitssystems – was auch zu Lasten von Patienten mit anderen Krankheiten gehe. In einigen Regionen gebe es nur noch zehn Prozent freie Kapazitäten, sagte Steffen Weber-Carstens.

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„Was bedeuten zehn Prozent? Die durchschnittliche Größe der Intensivstationen ist zehn bis zwölf Betten. Das bedeutet: pro Intensivstation genau ein Bett“. Dies werde auch vorgehalten für Patienten zum Beispiel mit Schlaganfall oder Unfällen – und für Covid-19-Patienten. „Das ist die Situation, wie sie im Moment ist.“

[T+-Abonnenten lesen hier: „Wir sind den Tod gewohnt, aber so etwas gab es noch nie“]

Weber-Carstens forderte: „Wir brauchen jetzt an dieser Stelle eine Kontrolle der Infektionsdynamik. Sonst werden wir das in Zukunft auf den Intensivstationen nicht mehr adäquat leisten können“, sagte der Mediziner. Im Moment laufe man „sehenden Auges in eine Spitzenbelastung“ wie es sie zum Jahreswechsel gegeben habe oder noch darüber hinaus. Es gelte jetzt, das Erreichte nicht zu verspielen: Bislang sei das „Absaufen“ des Gesundheitssystems vermieden worden.

Patienten würden bereits aus stark belasteten Regionen in andere umverteilt, Thüringen etwa habe strategische Patientenverlegungen angefragt, schilderte Weber-Carstens, der zur wissenschaftlichen Leitung des Divi-Intensivregisters gehört. Dass viele Kliniken bereits wieder planbare Eingriffe verschöben, bedeute auch für Nicht-Covid-19-Patienten eine erhebliche Einschränkung der Versorgung.

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