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Kevin Kühnert bricht eine Lanze für Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten.

© Kay Nietfeld/dpa

Kühnert unterstützt Scholz: Schluss mit der Selbstzerfleischung

Die Parteilinken sind unzufrieden mit der Nominierung von Scholz als Kanzlerkandidaten. Ausgerechnet Juso-Chef Kühnert aber bricht jetzt eine Lanze für ihn.

Kevin Kühnert hat den Satz handschriftlich auf einen Zettel geschrieben. Es ist für ihn der zentrale Satz in der 107 Seiten langen Fehleranalyse zum historisch schlechten Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl, als die SPD auf 20,5 Prozent fiel – was im Vergleich zu den heutigen Umfragewerten von 15 Prozent wiederum noch viel ist.

Aus „Fehlern lernen“, heißt die Analyse. Und so liest Kühnert folgenden Satz als zentrale Lehre vor: Der Respekt im internen Umgang, auch in der Auseinandersetzung, muss sich von einer Leerformel zu einer gelebten Selbstverständlichkeit entwickeln.“

Nun waren es gerade die Jusos, die oft ohne genaue Auseinandersetzung mit der realen Politik von Olaf Scholz diesen angegriffen haben und für unwählbar als SPD-Vorsitzenden erklärten. Die Jusos trugen ganz wesentlich dazu bei, dass statt ihm und Klara Geywitz Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans SPD-Vorsitzende wurden.

24 Stunden hat Kevin Kühnert zur der Entscheidung der neuen Parteiführung öffentlich geschwiegen, nun ausgerechnet diesen lange als parteiinternen Gegner angesehenen Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen. Der stellvertretende Vorsitzende und Juso-Chef hat die Entscheidung im Präsidium mitgetragen. Über zwei Stunden hat er am Montagabend erstmal mit den Juso-Landeschefs die Lage beraten und innere Widersprüche auszuräumen versucht.

Kevin Kühnert: Zwei klare Botschaften für die Sozialdemokraten

Und nun steht er am Dienstagvormittag vor dem Willy-Brandt-Haus und geht ziemlich weit zurück in die Historie, um die Unterstützung stringent erscheinen zu lassen. Er hat zwei klare Botschaften: Die SPD habe anders als früher die zentralen Streitfragen bereits gelöst, etwa die Lockerungen bei Hartz IV, das neue Sozialstaatskonzept oder das Ja zur Vermögenssteuer – daher bestehe auch nicht die Gefahr, dass Scholz mit einem linken Programm eingemauert werden könnte.

Denn diese Gefahr sehen viele: Dass Scholz, der für die SPD auch wieder mehr Stimmen in der Mitte holen will, in einer Glaubwürdigkeitsfalle sitzen könnte: Mit einem Programm, dass nicht zur Person passt. Doch in der Tat stehen viele Kernpunkte bereits – und Scholz hat an den Konzepten selbst mitgearbeitet.

Und die zweite Kühnert‘sche Botschaft ist jene vom Zettel vorgelesene: Ende der Selbstzerfleischung, das stärke nur den Gegner. Dass Scholz keine Jubelstürme auslöst, war klar, aber Esken selbst macht fast parallel zum Kühnert-Auftritt in einer Botschaft bei Twitter deutlich, dass es harte Kritik gibt: „Ich verstehe die Emotionen“, schreibt Esken.

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Sie könne nur weiter um Vertrauen werben. Die Führung habe das Mandat, die SPD zu erneuern, zu führen, zu einen, zu stärken. „Das ist es, was wir tun. Gemeinsam mit Olaf Scholz und allen anderen, die dieses Mandat respektieren.“

Kühnert ist in diesem Bemühen eine Schlüsselfigur und für Scholz ist dessen Auftritt eine gute Nachricht. Kühnert fängt an bei seinem Parteieintritt 2005 und vier Bundestagswahlkämpfe. Er erinnert an Peer Steinbrück, der sich Beinfreiheit ausbedungen hatte, und damit ganz unverhohlen gesagt habe, dass er selbst das Programm zu bestimmen gedenke.

Kevin Kühnert: Eine Ende der destruktiven Kritik

Kühnert und die SPD-Spitze machen deutlich, dass sie ihr ihren Stempel mit aufdrücken wollen, was noch Konfliktpotential birgt. Und Kühnert erinnert an die Glaubwürdigkeitsverluste, die man heute zu heilen versuche. Es habe Wahlkämpfe gegeben, wo man sich gegen eine Mehrwertsteuererhöhung gewehrt habe und am Ende in der Koalition mit der Union eine Erhöhung um drei Punkte mitgetragen habe. Heute dagegen werde von der SPD als Teil der - von Kühnert lange bekämpften - großen Koalition in der Corona-Krise die Mehrwertsteuer gesenkt. Dass dies eine Idee der Union war, verschweigt er einfach.

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Und er hat eben jene Botschaft an das linke Lager, aber auch an die eigenen Mitglieder für die nächsten Wochen und Monate: „Es ist zwingend notwendig, sich von einer teilweise verbreiteten destruktiven Kritik abzugrenzen“. Es gebe eine Kritik im Umgang mit der Sozialdemokratie, „die ist zerstörerisch, weil sie davon ausgehe, dass die Sozialdemokratie nicht veränderlich ist".

Es gebe Menschen, die hätten sich in einem Weltbild eingerichtet, in dem die SPD immer falsch liegen müsse, „muss sie der Trottel sein, weil sonst das eigene Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert ist.“ Er muss einräumen, dass auch die Jusos nicht immer konstruktiv unterwegs gewesen seien.

Olaf Scholz als Macher und Verhandler

Scholz werde sich in diesem Leben nicht mehr Ehrenvorsitzender der Jusos, aber Kühnert macht deutlich: er hat seine Unterstützung, auch weil Scholz heute schon vieles umsetze, was die Jusos gefordert haben. Er erinnert sogar eigens an einen langen Diskussionsabend der Jusos mit Scholz, danach habe er zum Beispiel die Senkung der Mehrwertsteuer für Tampons und Binden auf den Weg gebracht.

Olaf Scholz sei der richtige Kanzlerkandidat, findet Kühnert.
Olaf Scholz sei der richtige Kanzlerkandidat, findet Kühnert.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Es gebe nicht wie früher leere Schecks auf die Zukunft, sondern selbst unter den Bedingungen einer großen Koalition werde bis zur Grundrente einiges durchgesetzt, zudem habe man sich wie schon lange gefordert in der Krise vom Dogma der schwarzen Null verabschiedet. „Wir beten nicht für politische Ergebnisse, sondern arbeiten daran, dass sie möglich werden“, sagt Kühnert, der sich im nächsten Bundestagswahlkampf um ein Bundestagsmandat bewerben will.

Er arbeitet für eine von der SPD geführte rot-rot-grüne Koalition, für die aber die SPD erst einmal vor den Grünen landen und die Grünen der Union einen Korb für Schwarz-Grün geben müsste. Er sagt, gerade ein Olaf Scholz sei vielleicht der Richtige, um so ein Bündnis zu schmieden. Er gilt in der SPD mit Abstand als der beste Verhandler, der immer irgendwo eine Kompromisslinie findet.

Und der nicht erst neuerdings immer wieder Akzente setzt, die dem linken Lager gefallen, sei es die Forderung nach 12 Euro Mindestlohn, die europäische Investitionsoffensive oder eine keynesianische Ausgabenpolitik, um mit Zukunftsinvestitionen aus der Krise herauszukommen.

Aber Scholz hat das Problem, dass er auch nicht als schwacher Kandidat, als Kandidat von Kühnerts Gnaden erscheinen darf. Ein bisschen Beinfreiheit wird auch er brauchen. Es gab keine Alternative zu ihm, ob dieses mit Widersprüchen und internen Widerständen behaftete Experiment gelingt, wird die spannende Frage. Schon oft gab es in der SPD Burgfrieden, die nicht lange hielten. Man müsse Politikern schon zugestehen, dass sie sich auch ändern können, sagt Kühnert. Er meint damit Scholz. Aber es trifft auch auf ihn und seine neue Milde gegenüber Scholz zu.

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