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Kretschmer und Woidke: Der Kampf zweier Landesfürsten um ihre Macht

Woidke regiert für die SPD, Kretschmer für die CDU – für beide geht es um alles: Die Regierungschefs von Brandenburg und Sachsen ringen mit vielen Widrigkeiten.

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Dass es für einen Politiker bei einer Wahl „um alles“ gehe, ist eine inflationär gebrauchte Formulierung. Im Fall von Dietmar Woidke aber trifft es die Lage genau: Der Ministerpräsident kämpft mit allem Einsatz darum, seine SPD auch nach 30 Jahren Regierung in Potsdam an der Macht zu halten. Wenn das nicht gelingt, dürfte die politische Karriere des Diplomagraringenieurs am Sonntag schnell zu Ende gehen.

Lange sah es düster aus für den Machtanspruch des 58-Jährigen, weil die Sozialdemokraten in Umfragen auf 17 Prozent fielen und nach AfD, CDU und Grünen nur noch viertstärkste Kraft im Land zu sein schienen. Doch Woidke hat auch dank eines persönlichen Wahlkampf-Marathons seiner SPD die zweite Luft verschafft. Sein Ziel, „deutlich stärkste Kraft“ zu werden, scheint realistisch.

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Wenn kein Wunder geschieht, dürften die Sozialdemokraten am Sonntag aber rund zehn Prozentpunkte einbüßen im Vergleich zu ihrem Ergebnis von 2014. Wegen solcher Verluste sind andere Landespolitiker schon zurückgetreten. Sofern Woidke der SPD die Chance auf Führung der Regierung wahrt, dürfte er trotzdem weitermachen können. Seine Partei würde ihn dann wohl nicht am Ergebnis der zurückliegenden Landtagswahl messen, sondern dankbar sein, dass sie nicht aus der Regierung fliegt.

In Umfragen sprechen sich die Hälfte der Brandenburger für ihn als Ministerpräsidenten aus, seine Partei dürfte er mit diesem Vertrauensvorschuss hochziehen.

Allerdings gibt es laut den Umfragen kaum eine Chance, das Zweierbündnis von SPD und Linke fortzuführen. Zur Mehrheit wäre ein dritter Partner notwendig. Die Grünen im Land tun sich schwer mit der SPD, würden aber verhandeln, wenn die Zahlen stimmen.

Eine Partei, die mit sich selbst beschäftigt ist

Die Schwierigkeiten seiner Partei im Landtagswahlkampf führt Woidke auch auf das Erscheinungsbild der SPD im Bund zurück. „Natürlich ist der Zustand auf Bundesebene eine große Bürde für uns“, sagte er kürzlich. Dabei dachte er auch an den zähen Prozess zur Wahl eines oder zweier neuer Parteichefs, in dem zunächst kaum ein Sozialdemokrat mit politischem Gewicht antreten wollte.

Für noch schlimmer als die Selbstbeschäftigung seiner Partei mit 23 Regionalkonferenzen zur Vorstellung der Parteichef-Kandidaten hält der Ministerpräsident allerdings das in der SPD weit verbreitete Schlechtreden der sozialdemokratischen Leistungen in der großen Koalition in Berlin. Das, so glaubt er, schrecke Wähler ab. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er mit seiner manchmal direkten Art den eigenen Genossen wohl am liebsten zugerufen: Einfach mal die Klappe halten.

Woidke geht es auch um die große Koalition im Bund

Wenn Woidke am Sonntag durch ein respektables Ergebnis die Voraussetzung dafür liefert, dass die SPD weiter eine Regierung in Potsdam führen kann, wird er damit zumindest kurzfristig auch einen Beitrag leisten, damit die von ihm hoch geschätzte große Koalition in Berlin nicht noch näher an den Abgrund rückt.

Besonders schmerzhaft wäre es für den überzeugten Verteidiger des Regierungsbündnisses mit der Union aber, wenn sein eigenes Scheitern in Brandenburg entscheidend zum vorzeitigen Ausstieg der SPD aus der Bundesregierung beitragen würde. Dann hätte er am Sonntag nicht nur eine, sondern gleich zwei große Schlachten verloren.

Demokratie in Sachsen ist sehr anstrengend geworden

Michael Kretschmer hat zumindest alles gegeben, Demokratie in Sachsen ist sehr anstrengend geworden. Er hat das Ministerpräsidentenamt von Stanislaw Tillich „geerbt“, jetzt muss er zeigen, dass er auch Wahlen gewinnen und Kompromisse für eine womöglich in der CDU sehr unpopuläre Koalition schmieden kann. In der jüngsten Umfrage kommt die CDU auf 32 Prozent, die AfD auf 24,5 Prozent. Doch da der bisherige Koalitionspartner SPD nur bei 8,5 Prozent liegt, bräuchte Kretschmer wohl die Grünen.

Rund 90 Prozent der Mitglieder in seinem Landesverband wollen aber ein Kenia-Bündnis mit den Grünen „partout nicht“, sagt Kretschmer. „Ich bin der prominenteste Vertreter.“ Aber wie soll eine Minderheitsregierung funktionieren, zumal die FDP den Einzug in den Landtag verfehlen könnte. Tolerierung durch die Grünen? Nicht alle in Sachsens CDU sind so klar in der Absage an jegliche Form der Kooperation mit der AfD, wie der „MP“

In Zwickau geht es um die Tagesschau

Kretschmer hat einen eigenen Politikstil geprägt, erhält viel Lob. Vor Ort sein, zuhören, auf Menschen zugehen, ernst nehmen, Vorschläge umsetzen. Da sind zum Beispiel die Landkreistage: morgens Treffen mit Bürgermeistern, mitnehmen, wo der Internet-Ausbau stockt, wo Landärzte fehlen. Dann Projekte und Unternehmen besuchen, abends beim Sachsengespräch setzen sich Kretschmer und die Minister seines Kabinetts mit Bürgern an die Tische.

Und er bleibt ruhig. „Mit Demokratie hat das hier nichts mehr zu tun. Wir haben jetzt eine Tagesschau, die ist genau dasselbe wie die Aktuelle Kamera“, schleudert ihm ein Bürger etwa in Zwickau entgegen. „Sie können mich anschreien“, antwortet Kretschmer. „Das ist ein absolut freies Land. Aber zu dieser Freiheit gehört auch, dass ich Ihnen sage, ich mache mit dieser AfD nichts gemeinsam.“

Dann meint der Mann, 2015 sei für Schulen kein Geld dagewesen, aber für die Flüchtlinge. Gegenfrage Kretschmer: Wie viele unsanierte Schulen gibt’s denn hier noch? Es ist demokratische Kärrnerarbeit. Und Kretschmer ist ganz froh, dass ihm ein Mobilisierungsfaktor der Anderen im Wahlkampf weitgehend erspart geblieben ist: Angela Merkel.

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