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Der Impfstoff Astrazeneca ist sehr wirksam, gerade auch bei Älteren.

© Raneen Sawafta/REUTERS

Keine Impfungen für Menschen unter 60 Jahren: Sechs wichtige Fragen nach dem Astrazeneca-Stopp

Der Impfstoff von Astrazeneca wird vorerst nicht an Menschen unter 60 Jahren verabreicht. Wie kam es dazu? Und was wird aus den Zweitimpfungen? Ein Überblick.

Begonnen hatte es in Nordrhein-Westfalen: Dort sprachen sich die Leiter von fünf der sechs Universitätskliniken am Dienstag für einen vorläufigen Stopp der Astrazeneca-Impfungen für Menschen unter 60 Jahren aus. Das Risiko weiterer Todesfälle sei ihnen zu groß. Kurz darauf zogen Berlin und Brandenburg nach.

Am Dienstagabend einigten sich dann Bund und Länder darauf, die Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin ab Mittwoch bundesweit auszusetzen. Doch was folgt nun daraus? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

1. Was hat zum Impfstopp für Menschen unter 60 Jahren geführt?

Hintergrund ist die zunehmende Anzahl an Fällen von Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen. In Deutschland sind bisher 31 Fälle solcher Blutgerinnsel nach Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin bekannt, wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) berichtete.

Grundlage für die Entscheidung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern war eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Die Stiko wies ebenfalls darauf hin, dass die Entscheidung, die auf derzeit verfügbaren Daten zum Auftreten „seltener, aber sehr schwerer thromboembolischer Nebenwirkungen“ basiere. Diese seien 4 bis 16 Tage nach der Impfung ganz überwiegend bei Personen im Alter unter 60 Jahren aufgetreten.

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2. Bis wann sind die Impfungen für diese Altersgruppe ausgesetzt?

Die Änderungen bei den Impfplanungen und Auswirkungen auf das Impftempo wollen Bund, Länder und Kommunen nun gemeinsam klären. Die Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin waren Mitte März bereits schon mal für wenige Tage vorsorglich ausgesetzt – allerdings hatte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) nach einer Abwägung zwischen Gefahr und Nutzen den Impfstoff weiterhin als „sicher und wirksam“ empfohlen.

In der kommenden Woche wird die EMA erneut über die Sicherheit des Astrazeneca-Impfstoffes beraten. Eine Expertengruppe sei am Montag bereits zusammenkommen. Ihr Bericht und weitere Analysen sollten beim Treffen des Sicherheitsausschusses der EMA vom 6. bis 9. April beraten werden. Dann werde auch eine Aktualisierung der EMA-Empfehlung erwartet. 

Dass der Impfstopp auch diesmal nur wenige Tage andauern wird, ist unwahrscheinlich. Das liegt zum einen daran, dass es diesmal kein kompletter Impfstopp ist, sondern nur für Menschen unter 60 Jahren. Zum anderen müssen auch diese nicht alle warten, wenn sie das Risiko eingehen wollen.

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3. Was wird aus den Zweitimpfungen?

Der Vorteil des Astrazeneca-Impfstoffs ist, dass der Zeitraum zwischen Erst- und Zweitimpfung auf bis zu zwölf Wochen gestreckt werden kann. Da Anfang Februar mit den Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff begonnen wurde, sind bei diesem empfohlenen Impfabstand die ersten Zweitimpfungen erst Anfang Mai vorgesehen.

Aus diesem Grund lässt sich die Stiko bis Ende April Zeit, um eine Empfehlung abzugeben, ob auch eine Zweitimpfung mit einem anderen Impfstoff beispielsweise möglich ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Dienstagabend, dann werde klar sein, mit welchem der zugelassenen Impfstoffe auch für diese Menschen der volle Impfschutz erreicht werde.

Menschen unter 60, die schon die erste Dosis Astrazeneca erhielten, haben laut dem Beschluss von Bund und Ländern aber noch eine zweite Möglichkeit und müssen nicht zwangsläufig auf die Empfehlung warten. Sie können auch die Zweitimpfung von Astrazeneca bekommen – nach Rücksprache mit dem Arzt, „sorgfältiger Aufklärung“ und „individueller Risikoanalyse“. Allerdings grundsätzlich nur in den Praxen der niedergelassenen Ärzte.

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4. Welche Auswirkungen hat das auf die Impfkampagne?

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigen noch einmal das Ziel, bis Ende des Sommers im September allen Bürgern ein Impfangebot zu machen.

Im Beschluss der Gesundheitsminister steht, dass die Länder nun auch schon 60- bis 69-Jährige für das Mittel von Astrazeneca mit in ihre Impfkampagnen einbeziehen können. „Dies gibt die Möglichkeit, diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große Altersgruppe angesichts der wachsenden dritten Welle nun schneller zu impfen“, heißt es. Derzeit laufen generell Impfungen in den ersten beiden Prioritätsgruppen, zu denen Menschen ab 70 Jahren gehören.

Wichtig sei allerdings, dass alle 60-Jährigen das Impfangebot auch wahrnehmen, so Spahn. Der Impfstoff sei sehr wirksam, gerade auch bei Älteren. Auch dass verschiedene Impfstoffe zur Verfügung stünden, sei ein großes Glück, sagte Merkel.

Der Vorsitzende der Stiko, Thomas Mertens, kann sich vorstellen, dass durch die Entscheidung „das Vertrauen schwindet“. Es könne aber auch das Gegenteil bewirken, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. In jedem Fall habe die Kontrollfunktion des Paul-Ehrlich-Instituts gut funktioniert. Das hätte besorgniserregende Fälle registriert, intensiv geprüft und Alarm geschlagen. „Das sollte eigentlich vertrauensbildend sein“, so Mertens.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärten den Astrazeneca-Stopp am Dienstag.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärten den Astrazeneca-Stopp am Dienstag.

© Markus Schreiber/AFP

5. Wie reagiert Astrazeneca auf die Entscheidung?

Nach der erneuten Einschränkung betonte Astrazeneca am Mittwoch nochmals den Nutzen des Präparats. Die Zulassungsbehörden in Großbritannien und der Europäischen Union sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Mittels die Risiken in allen Altersgruppen deutlich überwiege, teilte das Unternehmen mit.

Man respektiere die Stiko-Entscheidung, hieß es in der Mitteilung von Astrazeneca. „Die Patientensicherheit hat für das Unternehmen höchste Priorität. Wir werden weiterhin mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten, um mögliche offene Fragen zu klären.“

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) habe zwar keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Gerinnungsereignissen feststellen können, doch sei sie zu dem Schluss gekommen, „dass für sehr seltene Fälle von schweren zerebralen thromboembolischen Ereignissen mit Thrombozytopenie ein kausaler Zusammenhang mit dem Impfstoff nicht bewiesen, aber möglich ist und weiter untersucht werden sollte“.

6. Wie reagieren Experten und Politiker auf die Entscheidung?

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zeigte sich optimistisch, dass die die Entscheidung keine großen Auswirkungen auf die Impfkampagne in Deutschland haben wird. „Wir werden eine kleine Delle haben von ein paar Tagen, wo es Verwirrung gibt, aber dann wird das Impftempo wieder voll anziehen“, sagte Lauterbach in den ARD-„Tagesthemen“ am Dienstagabend.

[„Wir müssen deutlich unter 100.000 Toten bleiben“: Abonnenten von T+ lesen hier das komplette Interview mit SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.]

Generell überwiege bei über 60-Jährigen der Nutzen über möglichen Risiken. „Es ist ein sehr guter Impfstoff, den ich weiter empfehlen kann“, sagte Lauterbach. Die Entscheidung der Bundesregierung sei aber richtig gewesen. Man müsse auf die neuen Daten reagieren, denn „das ist keine Kleinigkeit, über die wir hier reden.“

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, er bedauere sehr, dass jetzt viel Verunsicherung aufkommen wird. „Astrazeneca bleibt dennoch ein wichtiger Impfstoff zur Eindämmung der Corona-Infektionen.“ Er bitte vor allem die über 60-Jährigen herzlich, sich Astrazeneca gegenüber aufgeschlossen zu zeigen. „Ich jedenfalls werde mich mit Astrazeneca impfen lassen, sobald ich an der Reihe bin“, sagte Weil.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing kritisierte derweil das Krisenmanagement der Regierung: „Dieses sprunghafte, dass die Bundesregierung an den Tag legt, führt zu Vertrauensverlust. Wir verlieren Zeit, wir zerstören das Vertrauen in die Impfung, sagte Wissing bei „Bild live“ am Dienstagabend. Es sei „mehr als erklärungsbedürftig“, dass der Impfstoff „erst für Jüngere, dann für Ältere, dann wieder mit Risiko und plötzlich nur für Ältere“ sicher sei. Die Verunsicherung nehme von Tag zu Tag zu. (dpa, Tsp)

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