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Anstehen für die Registrierung: Flüchtlingskinder im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

© Elias Marcou/Reuters

Update

Keine Genehmigung für Evakuierungsflug aus Lesbos: Flüchtlingscamp Moria könnte zur Todesfalle werden

In Lagern wie auf Lesbos wäre ein Coronavirus-Ausbruch verheerend. Seehofer verspricht Hilfe - aber konkret hat sich bisher nichts getan.

Von Matthias Meisner

Den Worten nach ist die Sache auf gutem Weg. Bundesinnenminister Horst Seehofer hält trotz der wegen der Corona-Krise verhängten Einreisebeschränkungen an seinem Versprechen fest, Minderjährige aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen. „Wir haben zugesagt, dass wir uns bei der Aufnahme beteiligen“, sagte Seehofer dem „Spiegel“: „Dazu stehen wir.“ Zugleich verwies er mit Blick auf die Umsetzung auf die EU-Kommission: „Das Heft des Handelns liegt jetzt bei der Kommission.“

Doch wird das auch praktisch klappen? Seit Tagen bemüht sich die in Dresden gegründete Hilfsorganisation Mission Lifeline darum, die Genehmigung für einen Evakuierungsflug von der griechischen Insel Lesbos zu bekommen. Mehr als 20.000 Menschen hausen dort in und um das Lager Moria unter armseligsten Bedingungen - noch hat die Corona-Pandemie zum Glück das Camp nicht erreicht.

Gedacht war das Camp ursprünglich nur für 3000 Asylsuchende. Der Ausbruch von Corona im Lager könnte in eine Katastrophe mit tausenden Toten münden, wie Experten schätzen.

„Von Ankündigungen ändert sich nichts“, erklärt Mission Lifeline

Mission Lifeline hat 55.000 Euro für das Chartern eines Flugzeugs gesammelt. Bis zu 100 Flüchtlinge könnten auf diesem Weg nach Deutschland gebracht werden, gedacht ist vor allem an unbegleitete Kinder und Jugendliche. Axel Steier, Sprecher von Mission Lifeline, sagte am Samstag dem Tagesspiegel: „Wir verstehen, dass die Situation im Moment alles andere als einfach ist. Genau deshalb bieten wir auch unsere Hilfe an.“

Von der Abholung in Griechenland durch seine Organisation bis hin zur Unterbringung und Betreuung in Deutschland gebe es feste Zusagen von renommierten Institutionen - etwa von der Diakonie Sachsen, der Stadtmission Berlin oder dem Kinderschutzbund Dresden. Sie hätten fest zugesagt, dass sie Kapazitäten für Geflüchtete aus dem Elendslager hätten – trotz Corona, sagte Steier. „Von den Ankündigungen der Politik ändert sich in den Lagern überhaupt nichts“, erklärt der Flüchtlingshelfer.

Völlig überfüllt: Ursprünglich war das Camp Moria auf Lesbos für 3000 Flüchtlinge ausgelegt, inzwischen hausen hier mehr als 20.000 Menschen.
Völlig überfüllt: Ursprünglich war das Camp Moria auf Lesbos für 3000 Flüchtlinge ausgelegt, inzwischen hausen hier mehr als 20.000 Menschen.

© Elias Marcou/Reuters

Dass Steier skeptisch ist, was die Ankündigungen von Seehofer angeht, hat auch damit zu tun, dass Anfragen von Mission Lifeline beim Bundesinnenministerium ohne Antwort blieben. Er sagt: „Diejenigen, die bislang darauf hoffen konnten, im Rahmen eines humanitären Programms in ein sicheres Land zu gelangen, sollen nun buchstäblich bleiben, wo der Pfeffer wächst, sie werden komplett im Stich gelassen.“

Sachsen konnte bisher nicht helfen

Auch die Hoffnung von Mission Lifeline, Sachsen könne die Initiative des in Dresden gegründeten Vereins für einen Evakuierungsflug unterstützen, hat sich bisher nicht erfüllt. Zwar hat die Staatsregierung vor knapp zwei Wochen zugesagt, bis zu 20 Kinder aus den Lagern aufzunehmen - die Integrationsministerin des Freistaats, Petra Köpping (SPD) sprach damals von einer „Herzensangelegenheit“.

Jetzt erklärt Sachsens Regierungssprecher Ralph Schreiber auf Tagesspiegel-Anfrage, der Freistaat könne über einen Evakuierungsflug von Mission Lifeline nicht mitbestimmen. „Über die Verteilung innerhalb der Europäischen Union entscheidet nicht Sachsen.“ Dies müsse über den Bund laufen - eine Position, die, wie Schreiber erläutert, mit Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) abgestimmt ist.

Der Generalsekretär der in Sachsen mitregierenden SPD, Henning Homann, setzt sich für die Flüchtlingshelfer von Mission Lifeline ein. „Die Kinder in Lesbos können weder etwas für den Krieg noch für Corona. Es ist richtig, ihnen zu helfen“, sagte Homann dem Tagesspiegel. Für Sachsen gehe es um 20 Minderjährige. „Selbstverständlich sollten für sie, wie für Deutsche, die aus dem Ausland zurückkehren, strenge Quarantäneregeln gelten. Mission Lifeline besitzt die Erfahrung und die Kompetenz, das ordentlich zu organisieren.“

EU-Länder wollen 1600 Minderjährige aufnehmen

Seehofer hatte wegen der Corona-Pandemie angeordnet, dass Ausländer in der Regel nicht mehr nach Deutschland einreisen dürfen. Immer versichert wurde allerdings, dass die Aufnahme jener besonders schutzbedürftigen Kinder ausgenommen ist, auf die sich Deutschland mit anderen EU-Staaten wie Frankreich, Irland, Portugal und Finnland Mitte März geeinigt hatte.

Nach den Plänen sollen 1600 Flüchtlinge aus den griechischen Lagern geholt werden. Deutschland will vor allem kranke Kinder und ihre Familien aufnehmen, Mädchen unter 14 Jahren sollen besonders berücksichtigt werden. Auf die Bundesrepublik könnten dann etwa 300 Geflüchtete entfallen.

Für eine Auflösung des total überfüllten Lagers auf der Insel Lesbos, die von Flüchtlingsinitiativen gefordert wird, würde das bei weitem nicht reichen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) wegen der extrem schwierigen Bedingungen teilweise aus dem Lager Moria zurückgezogen haben, wie Helfer dem Tagesspiegel berichten.

Grünen-Politiker Marquardt warnt vor Katastrophe in den Camps

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt will zur Lösung der Krise die Staaten und Regierungen nicht aus der Verantwortung entlassen. Er warnte am Samstag in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP vor einer Katastrophe in den griechischen Flüchtlingslagern. Mit Blick auf das überfüllte Camp Moria nannte es Marquardt „absurd, dass es auf der einen Seite in Griechenland eine Straftat ist, sich mit mehr als zehn Leuten auf der Straße zu treffen, wenn wir andererseits Orte in Europa haben, an denen 20.000 Menschen eng zusammengepfercht“ leben müssten.

Gemeinsam mit verschiedenen Initiativen hat Marquardt deshalb auch eine Kampagne mit initiiert, für die im Internet mit dem Hashtag #LeaveNoOneBehind geworben wird.

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„Wenn die Menschen nicht von der Insel evakuiert werden, wird es in absehbarer Zeit zu einer Katastrophe kommen“, sagte Marquardt. Die hygienische Situation in Moria nennt der Grünen-Politiker, der sich seit rund drei Wochen auf Lesbos aufhält, „grausam“. In weiten Teilen des Lagers gebe es keine Toiletten, die Bewohner seien teilweise gezwungen, Windeln zu tragen. Allein deshalb seien viele Bewohner gesundheitlich geschwächt. „Unabhängig von der Altersstruktur gehören viele Menschen zur Risikogruppe, weil man sie in einer humanitären Notlage jahrelang zurückgelassen hat“, kritisierte Marquardt.

Die Informationskampagnen zum Coronavirus von Hilfsorganisationen in den Flüchtlingslagern zeugten deshalb auch von einer „gewissen Hilflosigkeit“, sagte Marquardt. „Es bringt nicht viel, nur Flyer zu verteilen, auf denen man Menschen Hygiene-Tipps gibt oder sie zur Quarantäne auffordert, wenn die Menschen überhaupt keinen Abstand voneinander halten können, weil sie eng aufeinandergedrängt in Zelten schlafen müssen.“ Das Krankenhaus auf der Insel sei bereits jetzt völlig überbelegt und auf eine größere Zahl von Corona-Erkrankten nicht vorbereitet.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Michel Brandt sagte: „Wegen der miserablen hygienischen Zustände und der lückenhaften Versorgung mit Wasser in den griechischen Hotspot könnte ein Ausbruch von Covid-19 zu einer der tödlichsten und schändlichsten humanitären Katastrophen dieses Jahrhunderts führen.“ Deutschland und die EU müssten jetzt handeln, um den „Massentod tausender hilfsbedürftiger Menschen“ zu verhindern.

Auch Pro Asyl forderte am Samstag die Evakuierung der Hotspots, etwa in Moria: „Die Rückholaktion der EU-Bürger im Ausland zeigt: Wo ein Wille ist, ist ein Weg“, sagte der Geschäftsführer der Organisation, Günter Burkhardt. „Moria und andere Hotspots dürfen nicht zur Todesfalle werden.“

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