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Der Saal des Verfassungsgerichtes Brandenburg.

© Ralf Hirschberger/dpa

Weil er Debatte zu Rechtsterror blockiert: Brandenburgs Verfassungsgericht entscheidet über AfD-Landtagsvize

Der Vizepräsident des Landtags, Andreas Galau von der AfD, verweigert eine Debatte zu Rechtsterror nach Hanau. Nun urteilt Brandenburgs höchstes Gericht.

Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg wollte noch am Dienstag im Laufe des Tages über das Verhalten des Vizepräsidenten des Landtags und AfD-Politikers Andreas Galau befinden. Grund ist dessen Weigerung, kurzfristig bei der Plenarsitzung am Donnerstag eine aktuelle Stunde über Rechtsterrorismus in Deutschland und Brandenburg nach den Hanau-Morden zuzulassen. Seine Entscheidung will das Gericht jedoch erst am Mittwoch mitteilen.

In dem Eilverfahren soll das höchste Landesgericht auf Antrag der CDU-Fraktion den AfD-Politiker per einstweiliger Anordnung dazu verpflichten, der Debatte zum Thema „Walter Lübcke, Halle, Hanau - wehrhafte Demokratie in der Pflicht“ zuzustimmen. Am Dienstagvormittag schickte der Anwalt der CDU-Fraktion, der renommierte Potsdamer Staats- und Verwaltungsrechtler und frühere Landesverfassungsrichter Matthias Dombert, den 16-seitigen Antrag an das Verfassungsgericht in Potsdam.

In der Landtagsdebatte soll es nach dem Willen der CDU-Fraktion um die Konsequenzen für den Rechtsstaat nach den rassistischen Morden von Hanau gehen - auch für Brandenburg. Galau lehnt das ab: Die Hanau-Morde würden damit instrumentalisiert, das dürfe aus Rücksicht auf die Opfer nicht zugelassen werden.

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Ganz ähnlich äußerte sich AfD-Fraktionschef und Flügel-Mann Andreas Kalbitz: Er sprach von einer „schändlichen“ und „parteipolitischen Instrumentalisierung“ des Anschlags durch die „Altparteien“.

Andreas Galau findet Rechtsextremismus nicht relevant.
Andreas Galau findet Rechtsextremismus nicht relevant.

© promo

In Bund und Ländern war die AfD parteiübergreifend wegen ihrer Hetze für das Attentat von Hanau mitverantwortlich gemacht worden. Deutschlandweit löste nun Galau mit seinem Verhalten Empörung aus - weil sich ausgerechnet ein Vizepräsident eines Landtags mit AfD-Parteibuch gegen die über Jahrzehnte im Parlamentarismus der Bundesrepublik eingeübte Praxis und Pflicht zur Neutralität und zu Konsensverhalten stellt.

Eine Vizepräsident, der obendrein - so der Vorwurf der anderen Landtagsfraktionen - seine Amtspflichten verletzt und statt neutral zu handeln, einfach der Linie seines AfD-Landespartei- und Fraktionschefs Kalbitz folgt.

AfD-Flügel-Mann Kalbitz war drei Monate vor Anschlag in Hanau

Es könnte noch einen anderen Grund für Galaus Verhalten geben. Brandenburgs AfD-Chef Kalbitz, der wie sein Partei-Flügel wegen extremistischer Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Visier des Verfassungsschutzes steht, war in Hanau. Und zwar drei Monate vor dem rechtsextremistischen Morden, drei Monate bevor der 43-jährige Tobias Rathjen neun Migranten, seine Mutter und sich erschossen hat.

Im November sprach Kalbitz in der Reinhardskirche. „Dieses Volk ist ja verwirrt, auch im identitären Sinne. Das wieder gerade zu rücken, ist ja viel mehr als zu sagen, ich will meine Regierungsbeteiligung, damit ein paar Gesetze geändert werden“, sagte er. Es gehe um einen Paradigmenwechsel.

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Aus Sicht der CDU-Fraktion und ihres Anwalts darf Galau eine Landtagsdebatte über Rechtsterrorismus von Amts wegen gar nicht verhindern. Das nötige Einvernehmen des Vizepräsidenten das Landtags mit der Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) bei einem Themenwechsel der aktuellen Stunde sei lediglich darauf ausgerichtet, dass der Landtag ordnungsgemäß arbeiten kann.  

Dem Vizepräsidenten stehe aber kein politisches oder verfassungsrechtliches Prüfungsrecht zu. Er sei auch nicht befugt, den Antrag überhaupt inhaltlich zu bewerten. Alles andere wäre ein schwerer Eingriff in die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments. Allein das Plenum könne debattieren, ob es eine Instrumentalisierung gibt und den Antrag zu bewerten.

Galau aus Zensor und Gegner der freien Rede

Wenn der Vizepräsident die Zustimmung aus politischen Gründen verweigere, bestehe die Gefahr, dass er sich als Zensor und Gegner der freien Rede auftritt. Aktuelle Stunden im Landtag seien allein durch eine besondere, nicht vorhersehbare Aktualität zu begründen.

Galau nehme dem Landtag die Möglichkeit, ein die gesamte Gesellschaft bewegendes Thema, das auch Brandenburg angeht, öffentlich in einer Parlamentssitzung zu debattieren. Der CDU-Fraktion als eigenständige Gliederungen des Landtags werde darin eingeschränkt, an der politischen Willensbildung beizutragen.

Der Bezug zum Land Brandenburg ergebe sich allein dadurch, dass nach dem Hanau-Anschlag über eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, also auch Brandenburg, angekündigt worden ist.

Der Brandenburger Landtag in Potsdam.
Der Brandenburger Landtag in Potsdam.

© Andreas Klaer

„Die größte Bedrohung in Brandenburg geht vom Rechtsextremismus aus“, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann am Dienstag nach einem Besuch des neuen Brandenburger Verfassungsschutzchefs Jörg Müller. „Der Anschlag von Hanau zeigt, dass die Gefahr nicht nur abstrakt hoch ist.“

Die CDU-Fraktion sehe sich deshalb darin bestätigt, dass sich auch der Landtag mit diesem Thema befassen müsse. Aus seiner Sicht sei ein Wechsel des Themas der aktuellen Stunde aus aktuellen Gründen angezeigt. Zu einer möglichen Abwahlantrag gegen Galau wollte sich Redmann zunächst nicht äußern. „Wir warten zuerst die Entscheidung des Verfassungsgerichts ab.“

Mit dem Ausgang und dem Umgang Galaus damit hänge dann ab, ob Galau im Amt bleiben könne oder nicht. „Mein Eindruck ist, dass der AfD eine Debatte über Rechtextremismus nicht gelegen kommt“, sagte Redmann. Nach dem Anschlag von Hanau und der Debatte über die Rolle von AfD-Mitgliedern als „geistige Brandstifter“ gingen die Umfragewerte für die AfD nach unten. Insofern habe die AfD befürchtet, die Debatte im Landtag würde ihr schaden.

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Der Landtagsabgeordnete von BFB/Freie Wähler, Matthias Stefke sagte zu Galaus Vorgehen: „Das ist ein klarer Missbrauch des Amtes, Herr Galau agiert ganz klar parteipolitisch.“ Er hoffe sehr, dass das Gericht dem Antrag der CDU-Fraktion stattgebe, ansonsten wäre das „Triumphgeheul“ der AfD riesig. Das Thema Rechtsextremismus und Hanau dürfe nicht formal betrachtet werden, sondern habe eine große Bedeutung. Er schließe nicht aus, einem Abwahlantrag gegen Galau zuzustimmen.

SPD-Fraktionschef Erik Stohn sagte: „Wir haben in Hanau ein unfassbares Ereignis, wo jemand von Hass getrieben mehrere Menschen ermordet hat.“ Eine Debatte darüber, wie aus Worten Taten werden, sei Anlass genug, darüber auch in Brandenburg zu sprechen. „Hier geht es um eine Frage, die ganz Deutschland betrifft. Die CDU hat da unsere volle Unterstützung.“

Die SPD-Fraktion sei sehr irritiert darüber, dass Galau das Einvernehmen zur aktuellen Stunden nicht herstellen wollte. Die Argumentation der AfD, man sorge sich vor einer parteipolitischen Instrumentalisierung der Debatte, sei angesichts dessen, was die AfD sonst loslasse, reiner „Hohn“. Es sei ganz klar, dass der AfD diese Debatte nicht passe. „Fakt ist, dass wir es nicht zulassen können, dass uns als Landtag eine Debatte unterdrückt wird.“

Die neutrale Amtsausübung sei sehr wichtig, das Gespräch mit Galau darüber müsse geführt werden, er müsse erklären, ob er „nur eine Marionette von Kalbitz und Co. ist“ oder zusichern könne, das Amt neutral auszuüben.

Die oppositionelle Linksfraktion im Landtag fordert Galaus Rücktritt. „Ziel von Herrn Galau ist es, diese Demokratie zu unterwandern und zu zerstören“, sagte Linksfraktionschef Sebastian Walter. Nach dem Entscheid des Verfassungsgerichts werde die Linksfraktion einen Abwahlantrag stellen. Dafür seien ein Fünftel der 88 Abgeordneten nötig, sprich 18 Abgeordnete. Die Linksfraktion hat zehn Abgeordnete.

Ursprünglich hatte die CDU am Mittwoch vergangener Woche turnusgemäß und fristgerecht ein anderes Thema angemeldet: hundert Tage Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen. Doch nach dem Hanau-Anschlag beantragte die CDU am vergangenen Freitag, das Thema zu ändern.

Es geht um Verfassungsrechte der Fraktionen

Dazu muss Landtagspräsidentin Liedtke SPD mit ihrem ersten Vize Galau Einvernehmen herstellen. Doch der AfD-Politiker, der als gemäßigt galt, verweigerte seine Zustimmung. Galau sieht bei dem Thema keinen landespolitischen Bezug, aber eine politische Instrumentalisierung. Liedtke forderte am Montag von ihrem Vize eine schriftliche Begründung. Denn, so Liedtke, es gehe um das verfassungsrechtlich garantierte Antragsrecht der Abgeordneten und Fraktionen. Die kurzfristige Änderung der aktuellen Stunde könne nur bei wichtigen und zutreffenden Gründen abgelehnt werden.

Galaus Antwort: „Dann haben wir an dieser Stelle leider einen Dissens.“ Die Berichterstattung über Hanau sei sehr emotional gewesen, von Hass und Wut geprägt. Derlei sei auch schon in vergangenen Plenardebatten „in ähnlichen Fällen“ durchgeschlagen. Eine solche Instrumentalisierung der Hanau-Morde dürfe aus Rücksicht auf die Opfer nicht zugelassen werden. Die CDU könne das Thema fristgerecht auf die Tagesordnung der Landtagssitzung im April setzen.

Wörtlich heißt es im CDU-Antrag zu der Hanau-Debatte: „Der erschütternde Anschlag in Hanau war nicht nur ein grausamer Mord an zehn unschuldigen Menschen. Er ist ein weiterer Beleg für eine beängstigende und gefährliche Entwicklung in unserem Land: Hass, Radikalisierung und menschenverachtende Ideologien führen immer häufiger zu brutaler Gewalt und tödlichen Attacken, meist mit Schusswaffen.“

Dabei seien in jüngster Vergangenheit vermehrt rechtsradikale und fremdenfeindliche Motive als Hintergrund oder Auslöser auszumachen. „Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Angriff in Halle und nun der Anschlag in Hanau stehen der besorgniserregenden Linie des Rechtsexterrorismus“, erklärte die CDU-Fraktion.

CDU warnt vor Rechtsterrorismus

Deshalb soll in der aktuellen Stunde darüber beraten werden, „welche politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Schritte und Entscheidungen notwendig sind, um diese Entwicklung zu stoppen“. Ebenso solle es um die Ursachen und zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten, aber auch um „die Instrumente einer wehrhaften Demokratie und eines starken Rechtsstaates“ gehen.

Der Landtag stehe in der Pflicht, „sich zu diesen entscheidenden Fragen klar und unmissverständlich zu positionieren und die schrecklichen Ereignisse von Hanau in aller Deutlichkeit zu reflektieren“.

CDU-Fraktionschef Jan Redmann sagte: „Wir lassen uns die Behandlung des Themas Rechtsterrorismus durch die AfD nicht verbieten.“ Der Vizepräsident sei zur politischen Neutralität verpflichtet und dürfe keine Parteipolitik betreiben. Selbstverständlich sei Rechtsextremismus auch in Brandenburg ein Thema.

Redmann warf Galau vor, das Amt des Vizepräsidenten zu beschädigen. Das Vorgehen ist in der Koalition mit SPD und Grünen abgestimmt. SPD-Fraktionschef Erik Stohn forderte, Galau müsse seinen Posten als Vizepräsident „zur Verfügung stellen“. Das Führungsduo der Linksfraktion, Kathrin Dannenberg und Sebastian Walter, sagte, Galau sei als Vizepräsident ungeeignet. Er trage „Partikularinteressen der AfD in das überparteiliche Amt“ - aus Furcht, dass beim rechten Terror „auch die rassistische Hetze aus weiten Teilen seiner Partei zum Thema wird“. Es sei richtig gewesen, dass die Linke Galau nicht mitgewählt habe.

Bei der Vizewahl im September 2019 stimmten von 88 Abgeordneten 36 - auch aus der CDU - für Galau, gegen ihn 20, bei 31 Enthaltungen. Die AfD-Fraktion hat 23 Sitze. Eine einfache Mehrheit reichte. Nach einer Änderung der Landesverfassung in der vergangenen Wahlperiode stand der AfD als zweitstärkster Fraktion der Posten zu, eine Nicht-Wahl hätte das Parlament blockiert. Wegen der Fristen für die Ministerpräsidentenwahl hätte das eine Neuwahl nach sich ziehen können.

Die Wahl Galaus zum Landtagsvizepräsidenten, mutmaßlich auch mit Stimmen der CDU, stellte Redmann am Dienstag aber nicht in Frage. „Verfassungsmäßig steht uns nicht der Weg offen, jeden Kandidaten der AfD per se abzulehnen", sagte der CDU-Fraktionschef. Redmann stellte klar: „Die CDU wird niemals vor der AfD kuschen.“ Auch SPD-Fraktionschef Stohn sagte: Die SPD habe sich mit der gesamten Personalie Galau schwer getan, aber der AfD stehe der Vize-Präsidentenposten zu.

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