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Sind gerade auf den Pendlerstrecken nach Berlin oft voll: Regionalzüge in Brandenburg.

©  Patrick Pleul / dpa

Weg vom Autoland: Wie die Verkehrswende in Brandenburg Fahrt aufnimmt

Als erstes Flächenland schafft Brandenburg ein Mobilitätsgesetz. Radwege und guter Nahverkehr sind auch auf dem Land beliebt. Doch Corona behindert den Ausbau.

Die Mobilitätswende gilt häufig als städtisches Thema. Die Volksinitiative „Verkehrswende Brandenburg jetzt!“ zeigt nun, dass das nicht unbedingt stimmt. Knapp 28 000 Unterschriften übergab das breite Bündnis Anfang des Jahres an den Landtag, um per Mobilitätsgesetz einen Vorrang für „grüne Verkehrsträger“ zu erreichen – für den Fußverkehr, das Rad und den öffentlichen Nahverkehr.

„Das Thema beschäftigt die Menschen überall im Land“, meint Mitinitiatorin Anja Hänel. „Die Unterschriften kamen auch aus kleinen Dörfern, deren Namen wir zuerst gar nicht kannten“, erklärt die Geschäftsführerin des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) in Brandenburg.

Nach langem Ringen entschied sich die brandenburgische Kenia-Koalition am 27. April, mit der Initiative zusammenzuarbeiten. Im Gegenzug verzichtete das Bündnis auf die Einleitung eines Volksbegehrens. In den nächsten anderthalb Jahren soll nun in einem „Dialogprozess“ festgelegt werden, wie die Verkehrswende per Gesetz vorangebracht wird.

Brandenburg ist damit das erste Flächenland, das sich an einem Mobilitätsgesetz versucht. Bisher ist nur Berlin diesen Schritt gegangen. Anja Hänel vom VCD sieht viel Handlungsbedarf: „Die Pendlerströme haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen.“ Richtung Berlin gebe es zwar attraktive Zugverbindungen, diese seien jedoch überlastet. Das von Berlin und Brandenburg bereits geplante Investitionsprogramm für den Bahnverkehr – i2030 – reiche deshalb nicht aus.

Auf dem Land oft nur noch Schülerverkehr

Jenseits der großen Magistralen sieht die Situation laut Hänel zudem ganz anders aus: „Auf dem Land ist sehr viel Nahverkehr abbestellt worden.“ Dort gebe es häufig nur Schülerverkehr – also nur morgens und nachmittags einen Bus. Die Busse führen zudem häufig nicht über Landkreisgrenzen hinweg – anders als die Menschen, die so ins Auto gedrängt würden.

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Auch beim Radwegebau hapere es bei der Zusammenarbeit zwischen den Kreisen. Probleme, die viele ländliche Regionen in Deutschland kennen. In der Mark haben die Umweltaktivist:innen nun aber die Möglichkeit, in einer paritätisch besetzen Steuergruppe mit der Landesregierung und den Regierungsfraktionen eine Wende einzuleiten. Dafür hat das Bündnis auch manche Kröte geschluckt.

Sind auf vielen Alleen viel zu selten unterwegs: Busse.
Sind auf vielen Alleen viel zu selten unterwegs: Busse.

© Patrick Pleul/dpa

„Das alte Bild vom Autoland Brandenburg ist noch nicht aus allen Köpfen“, sagt Franziska Sperfeld, die Landesvorsitzende des BUND Brandenburg. So wollten insbesondere die Sozialdemokrat:innen in den Vorgesprächen dem sogenannten Umweltverbund noch keine Priorität einräumen. Sie warnten vor negativen Konsequenzen für Autofahrerinnen. „Dabei wollen wir Autofahren ja nicht verbieten“, sagt Sperfeld.

SPD-Fraktionschef Erik Stohn zeigte sich am 27. April zudem zufrieden, dass die Forderung der Initiative, den Bus- und Bahnverkehr für die Kommunen zur Pflichtaufgabe zu machen, nicht in das Gesetz aufgenommen wird. Stohn hatte Milliardenkosten für das Land befürchtet, die er wegen der durch Corona angespannten Haushaltslage für nicht vertretbar hält.

„Wir fordern kein Geld, das nicht vorhanden ist“, entgegnet Sperfeld. Aber man habe in den Gesprächen darauf gedrängt, dass auch bei nicht benötigten neuen Straßen gespart wird und nicht nur bei Projekten für die Verkehrswende.

Bisher keine Mindeststandards für öffentlichen Nahverkehr

Ein Finanzierungsvorbehalt wurde schließlich für alle brandenburgischenVerkehrsprojekte beschlossen. Im Straßenbau soll nun das bereits im Koalitionsvertrag verankerte Prinzip „Erhalt vor Neubau“ konkretisiert werden.

Der gesamte Verkehr in Brandenburg soll bis 2050 klimaneutral sein. 2030 sollen die Brandenburger:innen 60 Prozent aller Wege zu Fuß, mit dem Rad oder mit Bus und Bahn absolvieren, aktuell sind es 43 Prozent. Außerdem wurden ein landesweiter Radverkehrsplan und mehr kreisübergreifende Busverbindungen vereinbart.

Die Entwidmung stillgelegter Bahnlinien möchte man verhindern. Wenn es zwischen Mittelzentren keine Bahnverbindung gibt, sollen Expressbusse – sogenannte Plus-Busse – fahren. Ein Mindeststandard bei den öffentlichen Verkehrsmitteln – etwa eine stündliche Anbindung für alle größeren Orte – wurde jedoch nicht festgelegt. „Das wird eine harte Debatte werden“, meint Franziska Sperfeld.

Dichtere Takte seien für die Volksinitiative eine klare Priorität, da sie den Umstieg auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel erleichterten. Wenn 2022 das Gesetz für den öffentlichen Nahverkehr neu verhandelt und ein neuer Landesnahverkehrsplan ausgearbeitet wird, will das Bündnis ein besseres Angebot durchsetzen. „Da sitzen wir jetzt prominent mit am Tisch“, sagt Sperfeld.

Den Erfolg der Volksinitiative führt Anja Hänel auf das breite Bündnis zurück, das von den Umwelt- und Verkehrsverbänden über Kirchen und Gewerkschaften bis zu Fridays for Future reicht. Das Brandenburger Mobilitätsgesetz kann deshalb Signalwirkung auch für andere Länder entfalten, glaubt Hänel. Die Verkehrswende sei auch auf dem Land möglich – auch wenn die Herausforderungen dort andere seien als in Städten wie Berlin.

Doppelt so viele Fahrgäste im Nahverkehr bis 2030

Tatsächlich mühen sich immer mehr Länder, bessere Alternativen zum Auto zu schaffen. So hat Hessen bereits eine umfassende Mobilitätsstrategie vorgelegt. Bis 2035 will die Landesregierung damit die Verkehrswende umsetzen.

Die Bundesregierung möchte die Fahrgastzahlen im Nahverkehr bis 2030 bundesweit verdoppeln. Die Verkehrsminister:innen der Länder tragen das Ziel mit, fordern dafür aber auch mehr Geld. Der Bund solle die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr deutlich erhöhen, beschlossen sie auf ihrer jüngsten Konferenz Mitte April.

„Wenn wir bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste in den Nahverkehrszügen haben wollen, dann müssen die Regionalisierungsmittel um 50 Prozent erhöht werden“, sagte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Tagesspiegel Background. Aber auch von einer Verdoppelung ist hier und da bereits die Rede.

Die Älteren kennen guten Nahverkehr noch aus der DDR

Der Bundesregierung dürfte das kaum gefallen. Schließlich wurden erst 2020 die Regionalisierungsmittel erhöht. Sie steigen schrittweise an, auf bis zu 8,9 Milliarden Euro – fünf Milliarden Euro mehr als zuvor. Wie die Verkehrswende trotz Coronakrise gelingen kann, dürfte zu den großen Streitfragen der kommenden Jahre gehören.

Der Druck der Bevölkerung für eine andere Verkehrspolitik dürfte trotz mehr Homeoffice allerdings kaum nachlassen. „Auf dem Land hat zwar fast jeder ein Auto“, meint Anja Hänel, aber die Menschen verlangten dennoch eine gute Anbindung und ordentliche Radwege. In Brandenburg komme hinzu, dass die Älteren in der DDR noch einen gut funktionierenden Nahverkehr erlebt hätten.

Junge Eltern, die von Berlin nach Brandenburg ziehen, hätten keine Lust, die Kinder „ständig im Mama- oder Papa-Taxi zu transportieren“, ergänzt Franziska Sperfeld. Sie glaubt, dass ein bundesweites Mobilitätsgesetz zu einem wichtigen Thema im Wahlkampf wird. Es brauche eine umweltverträgliche Mobilität für alle, betont Sperfeld. „E-Autos sind bisher nicht für alle bezahlbar.“

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