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Wahlwerbung der SPD in der Samstagsausgabe der MAZ-Lokalausgabe in Neuruppin.

© privat

Verletzte Neutralitätsgebot und Koalitionsvertrag: Brandenburgs Regierungschef Woidke auf Abwegen

Dietmar Woidke warb bei der Bürgermeisterwahl in Neuruppin für den SPD-Kandidaten – aber in seiner Rolle als Ministerpräsident. Niemand glaubt an ein Versehen.

Die Bürgermeisterwahl in Neuruppin hat in Brandenburgs Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen zu Zerwürfnissen geführt. Grund ist ein unzulässiger Eingriff der SPD und von Ministerpräsident Dietmar Woidke kurz vor dem Wahlsonntag in der Kreisstadt von Ostprignitz-Ruppin im Norden des Landes.

Damit haben Woidke und die SPD in Brandenburg auch gegen den Koalitionsvertrag der Kenia-Regierung mit CDU und Grünen verstoßen. Zuerst hatte die B.Z. über die Vorgänge berichtet.

Zwar ist nicht belegt, dass sich SPD-Kandidat Nico Ruhle bei der Stichwahl nur Dank der Hilfe seines Genossen Woidke gegen den langjährigen Amtsinhaber Jens-Peter Golde (Pro Ruppin) mit 56,7 Prozent der Stimmen durchgesetzt hat.

Jedoch hatte der auch von CDU und Grünen unterstützte Golde im ersten Wahldurchgang noch deutlich geführt. Und auf Landesebene sprechen CDU und Grüne von einem Verstoß gegen den Kenia-Koalitionsvertrag durch die Sozialdemokraten.

Am Samstag erschienen die beiden Lokalzeitungen in Neuruppin und ein Anzeigenblatt jeweils mit einer Anzeige auf der Titelseite. Darauf zu sehen waren mit dem Parteilogo der SPD der Kandidat Ruhle und Dietmar Woidke. Letzterer aber nicht als Vorsitzender des SPD Brandenburg, sondern als Ministerpräsident – ein klarer Verstoß.

Dergleichen wurde auch in den sozialen Medien veröffentlicht. Auf den Anzeigen war zu lesen: „Ich schätze Nico Ruhle als ideenreichen und verlässlichen Partner mit Bürgermeisterqualitäten. Dr. Dietmar Woidke, Ministerpräsident des Landes Brandenburg“.

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Als Amtsträger darf sich der Ministerpräsident aber in Wahlkämpfen nicht auf die Seite eines Kandidaten schlagen und aktiv für ihn unter dem Signum der Sozialdemokraten werben. Aber es ist auch nicht das erste Mal, dass Woidke und seine SPD die Rollen als Landesparteichef und Ministerpräsident in Bürgermeisterwahlkämpfen nicht klar voneinander getrennt haben.

Zufall oder Versehen? Daran glaubt in Brandenburg niemand

SPD-Generalsekretär Erik Stohn sagte der Deutschen Presse-Agentur zu den Anzeigen in der Lokalpresse und in den sozialen Medien: „Das ist einfach übersehen worden. Es wurde nach Hinweisen umgehend aus dem Netz genommen.“ Der Fototermin sei erst in der vergangenen Woche zustande gekommen.

Die anderen Kenia-Koalitionäre glauben nach den jahrzehntelangen Erfahrungen mit der brandenburgischen Dauerregierungspartei SPD nicht an Zufälle. CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann sagte: „Wahlempfehlungen in amtlicher Funktion sind ein klarer Verstoß gegen das Neutralitätsgebot von Regierungsmitgliedern.“

Jan Redmann ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag Brandenburg.
Jan Redmann ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag Brandenburg.

© dpa

Die Grünen-Landesvorsitzende Julia Schmidt sagte: „Dass ausgerechnet Ministerpräsident Woidke die gebotene Neutralität von Amtsträgern verletzt, geht gar nicht! Das werden wir ihm in der Koalition klarmachen.“

Julia Schmidt, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg.
Julia Schmidt, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg.

© promo

CDU und Grüne hatten bereits im Koalitionsvertrag Vorsorge getroffen. Darin heißt es unter der Überschrift „Regierungshandeln und Wahlkampf“ auf der letzten Seite: „Die Landesregierung wird bei ihrer Arbeit konsequent zwischen regierungsamtlichem Handeln und wahlwerbender Öffentlichkeitsarbeit unterscheiden.“

Typisch Brandenburg? Wahlkampf im Regierungsamt:

Dem Koalitionsvertrag zufolge soll in der Geschäftsordnung der Landesregierung klar geregelt werden, in welchem Umfang Regierungsmitglieder in Wahlkampfzeiten öffentlich agieren dürfen und wo die Grenzen liegen.

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In früheren Legislaturen hatte sich die SPD gegen derlei Vorgaben gewehrt. Für CDU-Fraktionschef Redmann ist klar: Jetzt müsse mit Blick auf das Wahljahr 2021 und die Bundestagswahl im September die Geschäftsordnung der Landesregierung geändert werden.

Die Kenia-Koalition hatte nach der Landtagswahl 2019 zusammengefunden. Der Regierungsstart von SPD, CDU und Grünen ist jedoch durch die Corona-Pandemie überschattet worden. Offenbar auch deshalb ist die Geschäftsordnung der Landesregierung noch nicht wie im Koalitionsvertrag vorgesehen geändert worden.

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