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Carsten Stahl, Coach und Anti-Gewalttrainer; fotografiert beim Kurs mit Schülern in der Hedwig-Dohm-Oberschule.

© Thilo Rückeis

Update

„Verbale und psychische Erniedrigungen“: Streit über Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl eskaliert

Neukölln will stärker gegen Mobbing vorgehen, aber anders als die CDU will die SPD keine Kooperation mit Stahl. Der Trainer reagiert aggressiv auf Kritik.

Es geht los mit einem dummen Spruch in der Pause. Schüler stellen beleidigende Videos ins Netz, es hagelt Beschimpfungen, Schläge. Mobbing. Der Berliner Landesschülerausschuss forderte kürzlich „eine deutlich engagiertere Unterstützung“ von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei dem Thema. In Neukölln ist jetzt ein heftiger politischer Streit entbrannt, wie damit umzugehen ist.

Im Zentrum des Konflikts steht der bundesweit bekannte Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl, selbst Neuköllner. Dessen Methoden sind umstritten: Stahl ruft mit scharfen Worten zum Kampf gegen Mobbing auf, macht Anti-Gewalt-Trainings mit Schülern. Sein Vorgehen ist brachial – und doch erfolgreich, sagen seine Unterstützer.

Neuköllns Jugend-Stadtrat Falko Liecke (CDU) wollte deshalb auch zusammen mit Stahl das Problem an den Schulen im Bezirk angehen. Die SPD aber wehrt sich gegen die Zusammenarbeit, und auch der Neuköllner Jugendhilfe-Ausschuss entschied im März mehrheitlich, nicht mit Stahls Anti-Mobbing-Projekt zusammenzuarbeiten.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Mirjam Blumenthal, hatte auf Facebook erklärt, Stahl wende „verbale und psychische Erniedrigungen an“, das gehe so weit, dass er „Schüler*innen Waffen an den Hals hält“. Sie brachte deshalb gemeinsam mit den Grünen einen Antrag in der BVV ein, keine Zusammenarbeit mit Stahl zu fördern oder zu unterstützen.

Anti-Mobbing-Coach bestreitet die Vorwürfe

Stahl erstattete jetzt Strafanzeige gegen Blumenthal. Er wirft ihr Verleumdung, „Rufmord“ und „DDR-Methoden“ vor. Dem Tagesspiegel sagte Stahl, er habe niemals ein Kind mit einer Waffe bedroht. Er habe während eines „Eskalationstrainings“ lediglich eine Spielzeugpistole gezogen. Videoaufnahmen belegen seine Sichtweise. Stahl sagt: „Niemand muss meine Methoden mögen. Aber Politiker dürfen keine Lügen über mich verbreiten.“ Blumenthal sei nie bei einem seiner Workshops gewesen.

Zum Thema Mobbing unter Jugendlichen: ein gelber Post-It Zettel mit der Aufschrift: Du Opfer!
Zum Thema Mobbing unter Jugendlichen: ein gelber Post-It Zettel mit der Aufschrift: Du Opfer!

© kai-uwe heinrich / Tsp

In einem Video, dass er über seine Facebook-Seite teilte, rief Stahl in die Kamera: „Ziehen Sie sich schon mal warm an, das wird sehr teuer.“ Blumenthal werde dafür „bezahlen“, über ihn zu richten. Daraufhin wurde Blumenthal im Internet von Unterstützern von Stahl teils beleidigt und bedroht. Mobbing durch den Anti-Mobbing-Experten, urteilte Bernd Szczepanski, der Fraktionsvorsitzende der Grünen in der BVV.

Auch die anderen Fraktionen distanzierten sich von den Äußerungen Stahls. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärte, die Vorfälle seien nicht hinnehmbar: Er verurteile, dass Stahl in dem Video indirekt zu Angriffen auf Blumenthal aufgerufen habe, sagte Hikel. Auch die Neuköllner SPD erklärte sich solidarisch mit Blumenthal. Diese sah sich nach dem Video bestätigt. Sie sagte dem Tagesspiegel, die Aufnahme zeige, dass Stahl eine „absolut unfundierte Brachialpädagogik“ verfolge.

Die CDU erklärte, dass die Angriffe auf Blumenthal ihr leidtun würden. Stadtrat Falko Liecke warf den anderen Parteien aber auch „Populismus“ vor, weil sie sich selbst kein Bild von den Trainingsmethoden von Stahl machen würden.

Stahl habe eine „anti-demokratische Haltung“

An diesem Freitag veröffentlichte der Jugendhilfeausschuss ein weiteres Statement gegen Stahl: „Der Jugendhilfeausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln verurteilt aufs schärfste das Mobbing des Herrn Stahl gegen die Vorsitzende des Jugendhilfeausschuss Neukölln“, heißt es darin. Man lehne „die demokratiefeindliche Haltung ab, die Herr Stahl in den Videos auf Facebook und YouTube demonstriert.“ Man sei entsetzt über die Videos.

[330.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Madlen Haarbach, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln. Den gibt es hier: leute.tagesspiegel.de]

Carsten Stahl sagte dem Tagesspiegel, es sei „unfassbar und beschämend“, dass die politischen Interessen der Verantwortlichen diesen wichtiger seien, als der Schutz der Neuköllner Schüler. Unterstützung erhielt er vom FDP-Innenexperten Marcel Luthe.

Luthe sagte dem Tagesspiegel: „Eine Vertreterin der Partei, die seit mehr als zwei Jahrzehnten allein für Berlins Schulen verantwortlich ist, verbreitet gemeinsam mit weiteren Akteuren Tatsachenbehauptungen über jemanden, die zumindest nicht erwiesen wahr, aber auf jeden Fall ehrabschneidend sind.“ Blumenthal habe Carsten Stahl, der selbst unter Mobbing litt, nun „Mobbing vorgeworfen“.

Der FDP-Mann ergänzte: „Angesichts der seit Jahrzehnten unter den Teppich gekehrten Folgen einer desaströsen SPD-Bildungspolitik zu Lasten unserer Kinder erscheint mir das schlicht dreist, zumal über die alltägliche Gewalt an Berliner Schulen eifrig geschwiegen wird.“

Hinter dem jetzt ausgebrochenen Konflikt steckt eine schon lange schwelende Debatte über den Umgang mit Mobbing in Berlin. Welche ist die beste Methode, um das Problem anzugehen?

Mobbing wird in Berlin nicht mehr erfasst

Liecke und andere Politiker aus CDU, FDP und auch aus der SPD unterstützen Stahls Kampagne „Stoppt Mobbing“ und seine Forderung, „das Thema nicht länger totzuschweigen“, wie dieser dem Tagesspiegel sagte. Das wirft Stahl der Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres vor.

Tatsächlich werden Mobbing-Vorfälle in Berlin seit dem ersten Schulhalbjahr 2016/2017 nicht mehr erfasst – laut Senatsbildungsverwaltung, weil das Verfahren „evaluiert wurde“. Eine angedachte Mobbing-Meldepflicht wurde nie umgesetzt. Ab 2020 soll es einen Anti-Mobbing-Beauftragten geben.

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