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Umstrittene Straßennamen in Oranienburg: Keine Erinnerung an Opfer des KZ-Außenkommandos

Kurz nach der Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung des KZ Sachsenhausen haben Stadtverordnete eine fatale Entscheidung getroffen. Kritiker nennen sie skandalös.


Die Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen in Oranienburg konnte nur virtuell abgehalten werden, die noch wenigen lebenden Zeitzeugen konnten nicht kommen. Zwei Monate nach diesem besonderen Jahrestag in diesem für die Bundesrepublik besonderen Gedenkjahr haben die Oranienburger Stadtverordneten nun eine fatale Entscheidung getroffen. Kritiker nennen sie geschichtsvergessen und skandalös.

Gleich in der unmittelbaren Nähe des früheren KZ soll ein neues Wohngebiet entstehen, die Stadt wächst, auch im Speckgürtel wird Wohnraum knapp. Dort, wo Ein-, Zweifamilien- und Reihenhäuser entstehen sollen, war einst das KZ-Außenkommando Zeppelin. 

Für die Luftschiffbau Zeppelin GmbH Friedrichshafen mussten KZ-Häftlinge in Zwangsarbeit Fesselballons fertigen und reparieren. Mit den Ballons sollten Flugzeuge der Alliierten beim Anflug behindert werden.

Acht neue Straßen entstehen in dem neuen Wohngebiet – und die Stadtverordneten hatten darüber zu befinden, wie die Straßen benannt werden sollen. Eine Kommission wurde einberufen und machte Vorschläge. Doch nach monatelangem Streit will die Stadt Oranienburg an die 700 KZ-Häftlinge, überwiegend Minderjährige aus Osteuropa, die dort gequält wurden, nicht erinnern.

Den Stadtverordneten war durchaus bewusst, was sie tun. Es gab massive Kritik – vom Internationalen Sachsenhausen Komitee, von Angehörigen von KZ-Häftlingen, des internationalen Beirats der Gedenkstättenstiftung, des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Gedenkstätte selbst.

Straßen werden nach acht Frauen aus Oranienburger Geschichte benannt

Mit den Stimmen von SPD, CDU und AfD haben die Stadtverordneten vor einer Woche mehrheitlich entschieden. Die Straßen werden nach acht Frauen aus der Oranienburger Geschichte benannt. 

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Nur eine Straße soll nach einem Opfer des Konzentrationslagers Sachsenhausen benannt werden, die anderen nach drei Sozialdemokratinnen, die nach Einführung des Frauenwahlrechts 1919 die ersten weiblichen Stadtverordneten waren und nach einer früheren Bürgermeisterin der Stadt. Aber auch nach einer Frau, die nach 1945 im Speziallager interniert war, das die Sowjets auf dem KZ-Gelände eingerichtet hatten. In der Debatte ging es auch um Vorwürfe, sie habe den Holocaust verharmlost.

Der Direktor der Stiftung Brandenburgischer Gedenkstätten, Axel Drecoll, spricht von einer Gleichsetzung der Opfer des NS-Regimes und des Speziallagers. Drecoll sagte, er sei tief enttäuscht. „Dass es über Wochen und Monate und trotz der zahlreichen Einlassungen, Bitten und Proteste aus dem In- und Ausland nicht möglich war, die Vorschlagsliste zu verändern, ist mir absolut unverständlich.“ 

Straßennamen nähmen auf die Anliegen der Opfer keine Rücksicht

Die beschlossenen Straßennamen nähmen auf die Anliegen der Opfer des Konzentrationslagers und deren Angehörige keinerlei Rücksicht. Die Entscheidung sei ein „deutlicher Affront ausgerechnet gegenüber den Menschen, für die die Stadt Oranienburg eine besondere Verantwortung übernehmen müsste“, sagte Drecoll.

Auch international wird registriert, was in Oranienburg geschieht. „Wir sind zutiefst betroffen, dass die große Mehrheit der Stadtverordneten die vielen eindringlichen Appelle aus ganz Europa gegen eine Verschleierung der KZ-Geschichte des Ortes und gegen eine Gleichsetzung von Konzentrationslager und Speziallager ignoriert hat“, sagte Andreas Meyer, Vizepräsident des Internationalen Sachsenhausen Komitees. Damit fügten die Stadtverordneten den Überlebenden und ihren Angehörigen tiefe Verletzungen zu. Dies werde das Verhältnis zur Stadt Oranienburg nachhaltig beschädigen.

Am selben Tag votiert Komitee für Städtepartnerschaft mit Kfar Jona in Israel

Für die Gedenkstätte und das Internationale Sachsenhausen Komitee erscheint ein weiterer, am selben Tag getroffener Beschluss der Stadtverordneten geradezu makaber. Die Stadtverordneten votierten für eine Städtepartnerschaft mit Kfar Jona in Israel. 

Dies sei angesichts der Entscheidung über die Straßennamen unglaubwürdig, sagte Thomas Lutz vom Beirat der Gedenkstättenstiftung. Gleiches gelte nun für das jahrelange Engagement der Stadt gegen Antisemitismus und Rassismus. Die Stadtverordneten „treten die Erwartungen der Angehörigen der NS-Opfer aus ganz Europa zu einem Bekenntnis der Deutschen zu den begangenen Verbrechen mit Füßen“, sagte er.

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