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Der Sänger Udo Lindenberg steht 2012 auf der Bühne der Berliner O2-World.

© dpa

Udo Lindenberg im Palast der Republik: "Ich bin Rocker, doch ich steh´nicht auf Gewalt"

Jahrelang versuchte Udo Lindenberg in der DDR aufzutreten. Als er dann 1983 die Bühne im Palast der Republik betrat, saßen dort nur Funktionäre. Die richtigen Fans hatten sich draußen vor der Tür versammelt, zu Tausenden, und riefen "Wir wollen rein".

Eine Provokation, oder? Schon das Äußere: Schwarze Lederhose, Muskelshirt, Vokuhila-Frisur, laszive Bewegungen – nicht ganz so, wie sich die DDR-Oberen ein Vorbild für die Jugend wünschten. Und dann singt Lindenberg, von der Stasi wenige Jahre zuvor als „mittelmäßiger Schlagersänger aus der BRD, an dem kein Interesse besteht“, eingestuft, auch noch von fernen Ländern, dem sozialistischen Normalbürger unerreichbar: 

"Nimm das mal nicht so tragisch, mein Sohn, / die anderen Süßen, die warten doch schon, / die sitzen in Honolulu im weißen Sand am Palmenstrand / oder in Konstantinopel oder im Sauerland / die fahren in Tokio U-Bahn oder in Miami Wasserski, / die wärmen bereits die Betten an für deine Figur, Chérie." Immerhin, das Publikum, das am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik Udo Lindenbergs einzigen DDR-Auftritt miterlebte, durfte gegenüber solchen subtilen Sticheleien als immun gelten: 4200 handverlesene FDJler, viele in ihren Blauhemden, dazu Jungfunktionäre und ähnlich im Weltbild gefestigte Parteimitglieder. Und die wahren Fans draußen vor dem Palast – „einige hundert junge Leute“, wie der Tagesspiegel eine dürre dpa-Meldung wiedergab, „mehr als 1000“, wie der „Spiegel“, offenbar näher dran, schrieb – konnten den Sehnsuchtssong ja nicht hören, schrien sich nur die Lunge aus dem Leib, „Udo, Udo“ und „Wir wollen rein“.

"Ein historischer Tag"

„Ein historischer Tag“, wie Lindenberg bei der Fahrt zum Übergang Invalidenstraße in eine ARD-Kamera gesprochen hatte. TV-Moderator Reinhold Beckmann, damals als Kameraassistent dabei, hat die Szene in seinem spannenden, 2011 mit Regisseur Falko Korth erstellten Film „Die Akte Lindenberg – Udo und die DDR“ eingebaut. Historisch? Stimmt schon, doch nicht so wie gedacht. Denn auf den nur vier Songs umfassenden Auftritt beim Abschlusskonzert einer FDJ-Liedertournee für den Frieden folgte nicht wie vereinbart eine DDR-Tournee – die wurde später von der Ostseite abgesagt.

Lindenberg hatte sich lange vergeblich um einen Auftritt bemüht, sein halbes Jahr zuvor veröffentlichter, respektloser und Erich Honecker direkt ansprechender „Sonderzug nach Pankow“ war auch eine schnodderige Variante seiner beharrlichen Werbung um Zutritt. Dass die zuletzt trotzdem erfolgreich war, verdankte Lindenberg paradoxerweise auch der gar nicht sonnigen Weltlage. Mit der Stationierung von sowjetischen SS-20 auf DDR-Gebiet seit 1976 und dem Nato-Doppelbeschluss drei Jahre später, der das Angebot von Abrüstungsverhandlungen und die eigene Nachrüstung mit US-Pershings und -Cruise Missiles koppelte, war der Kalte Krieg wieder kälter geworden. Das führte im Westen zu massiven Protesten der neuerstarkten Friedensbewegung, in der sich auch Lindenberg engagierte.

In der DDR waren Friedensbewegte stets von Repressionen des Staates bedroht, sofern sie sich nicht in die offizielle Propagandalinie einfügten, die sich einseitig gegen den Westen richtete. „Für den Frieden der Welt – Weg mit dem Nato-Raketenbeschluss“ hieß denn auch das Motto des Konzertabends im Palast der Republik.

Ein Friedensbote in Lederjacke

Aber bevor Lindenberg als Friedensbote aus dem Westen akzeptiert wurde, mussten noch einige Bedenken aus dem Weg geräumt werden. Für ihn besorgte das sein Vertrauter Michael Gaißmayer, der als Mitglied des West-Berliner SED-Ablegers SEW leicht Zutritt zu Entscheidungsträgern wie dem damaligen FDJ-Chef Egon Krenz fand. Seine Verhandlungen gipfelten in einem im Wesentlichen von ihm formulierten, von Lindenberg unterzeichneten Brief an Honecker direkt. Aber ohne Konzertveranstalter Fritz Rau wäre wohl auch dies ins Leere gelaufen. Der Rock-Impresario hatte nicht nur Lindenberg, sondern auch den ebenfalls friedensbewegten Harry Belafonte im Sortiment, den Honecker, Krenz & Co. als Weltstar zu gerne dabei haben wollten. Okay, kriegt ihr, ließ Rau sie wissen, aber den Udo müsst ihr auch nehmen.

Also überquerten der Sänger und sein Panikorchester am Konzerttag in zwei Limousinen die Grenze zwischen West- und Ost-Berlin, fuhren zum Soundcheck im Palast und Lindenberg allein noch zum Flughafen Schönefeld, für ein erstes Treffen mit Krenz und Belafonte. Später am Nachmittag, beim Essen im Lindenrestaurant des Palasts, prosteten Rocker und Funktionär sich sogar noch zu – mit Buttermilch.

Ob nur die richtigen Fans oder auch die SED-Funktionäre Udo Lindenberg applaudierten, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Fans tragen den Sänger Udo Lindenberg auf den Händen, am 25. Oktober 1983 vor dem Palast der Republik in Berlin.
Sie tragen ihn auf den Händen: Die echten Fans von Udo Lindenberg, hier am 25. Oktober 1983 vor dem Palast der Republik in Berlin.

© picture-alliance / dpa

Vor dem abgesperrten Palast sammelten sich da schon die Fans, viele geschmückt mit Schals oder Stirnbändern, auf die sie Udos Namen geschrieben hatten. Auch bei ihm selbst stieg die Spannung. Nervös? „Schon ziemlich, denn das war ja Grenzgängerei“, antwortete er jetzt in einem Interview. „Ich wusste nicht: Was haben die denn da für’n Publikum im Palast der Republik? Und dann sah ich drinnen nur Blauhemden und draußen die richtigen Fans – das war ne echte Konfliktsituation.“ Nicht gelöst, aber doch gemildert hat er sie in typischer Udo-Manier. Musste angeblich aufs Klo, sein Stasi-Bewacher wie erwartet hinterher. „Allerdings musste der in der Tat, ich aber nicht. Ich bin dann gerannt – ganz schnell der kleine Speedy Gonzales mit Hut, vorbei an den ganzen hoch verdutzten Controllettis – nach draußen zu den echten Panikern auf’m Platz vorm Palast. Denen hab ich dann zugerufen: ,Ey, wir haben den Vertrag für die Tournee durch die gesamte DDR in der Tasche!’“ Da hatten sie ihn schon jubelnd auf die Schultern genommen, drängten immer dichter heran, sodass Lindenberg in ein Auto flüchten musste. Die Situation spitzte sich am Abend immer dramatischer zu: hier die enttäuschten Fans, die laut nach ihrem Idol riefen und Einlass forderten, dort die gegen sie immer massiver, mit großer Brutalität vorgehenden Staatsorgane – wovon Lindenberg drinnen im Palast so kurz vor seinem Auftritt nichts mehr mitbekam.

Beifall auch von SEDlern

Gegen 20.40 Uhr betrat er die Bühne, sang „Ich bin Rocker, doch ich steh’ nicht auf Gewalt“ und auch „Wozu sind Kriege da?“, alles recht moderat und FDJ-kompatibel, in den Sitzreihen wurde das freundlich-reserviert aufgenommen. „Das Publikum kann man noch steigern“, befand Lindenberg hinterher. Aber in seiner kurzen Rede, die das DDR-Fernsehen wie den ganzen Abend mit einstündiger Verzögerung, doch unzensiert sendete, hatte er noch einen kleinen Coup gelandet. „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ – da war ihm auch von den SEDlern ungeteilter Beifall sicher, der folgende Aufruf aber ging erheblich unter deren ideologische Gürtellinie: „Weg mit allem Raketenschrott in der Bundesrepublik und in der DDR. Nirgendwo wollen wir auch nur eine einzige Rakete sehen: Keine Pershings und keine SS-20.“

Den „Zug nach Pankow“ ließ er nicht abfahren. Er hoffte noch auf die Tournee, und außerdem, hatte er Reportern vorher erklärt, sei der Song nicht mehr aktuell. Er dürfe ja auftreten, „Och, Erich ey, bist Du denn wirklich so ein sturer Schrat“, das gelte nicht mehr. So kann man sich irren.

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