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Nach Aktenlage. Die Aufarbeitung des Terroranschlags ist noch voll im Gange. 

© Britta Pedersen/dpa

Terroranschlag vom Breitscheidplatz: Warum das Verfahren gegen LKA-Beamte eingestellt wurde

Es gab Fehler im Fall Amri – aber keine Straftaten. Berlins Innensenator Geisel sieht die Vorwürfe gegen LKA-Beamte dennoch bestätigt. Waren sie nur Sündenböcke für den Personalmangel?

Diese Frage bewegt Berlin noch immer: Hätte Anis Amri gestoppt, der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 mit zwölf Toten und Dutzenden Verletzten verhindert werden können? Über das Versagen von Behörden ist seither viel aufgedeckt worden, im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses etwa. Und auch im Bundestag nimmt nun ein Ausschuss seine Arbeit auf.

In den Fokus rückten aber auch zwei Staatsschutzbeamte im Landeskriminalamt Berlin. Weil der eine Amri im Herbst 2016, wenige Wochen vor dem Anschlag, vom gewerbsmäßigen Drogendealer zum Kleindealer heruntergestuft und nach dem Anschlag die Akten entsprechend angepasst hat. Und weil der andere dessen Vorgesetzter war. Haben sie verhindert, dass Amri gestoppt wird?

Über Monate hatte die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt. Ausgelöst worden war das Verfahren von Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Mai 2017 per Strafanzeige – nach einem Hinweis von Sonderermittler Bruno Jost. Der Verdacht: Strafvereitelung im Amt und Aktenmanipulation. Ein Beamter wurde, so heißt es, vor den Augen seiner Familie abgeführt, sieben Wohnungen und Arbeitsplätze von Beamten durchsucht, 38 Zeugen vernommen, Handys, Tablets, Computer, 7,3 Millionen Dateien geprüft, Chats und Emails gelesen. Damals, im Mai 2017, hatte Geisel verkündet, dass „eine Verhaftung wohl möglich gewesen“ wäre, hätte der im Islamisten-Dezernat des LKA tätige Beamte Amri nicht zum Kleinkriminellen gemacht.

Ein direkter Vorsatz konnte nicht nachgewiesen werden

Dieser Vorwurf lässt sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht halten – obwohl es Fehler und Unregelmäßigkeiten gab. Die Behörde hat das Verfahren, wie berichtet, gegen die beiden Beamten eingestellt. Und wollte sich am Mittwoch auf einer Pressekonferenz erklären. Was ungewöhnlich sei, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Jörg Raupach erklärte. Aber es sei ein besonderes Verfahren, die politische Bedeutung groß. Zwei erfahrene Ermittler haben einen 80 Seiten dicken Einstellungsvermerk verfasst.

Bei der Strafvereitelung ging es nicht um Amri, sondern um einen anderen mutmaßlichen Dealer, der von dem Beamten L. im Nachhinein aus den Akten entfernt wurde. Dabei konnte den Polizisten der direkte Vorsatz, der klare Wille zur Tat nicht nachgewiesen werden. Möglicherweise, so mutmaßt die Staatsanwaltschaft, sollte nach dem Anschlag schnell der Aktendeckel geschlossen, unangenehme Fragen zum Vorgehen vermieden werden. Eingestellt wurden die Ermittlungen auch nicht nach der Maßgabe „im Zweifel für den Angeklagten“. Soweit kam es im Verfahren nicht einmal.

Entscheidende Fehler gab es sicher und schon länger. Im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) wurde Amri als Gefährder eingestuft. Eine Observierung wegen Terrorverdachts war angeordnet, doch die erfolgte nur lückenhaft, die Generalstaatsanwaltschaft fragte aber nicht näher nach. Bekannt ist auch, dass für die Überwachung der Gefährder in Berlin Personal fehlt: Ermittler und Observationsteams. Im August 2016 wurde Amris Gefährderverdacht dann im GTAZ abgeschwächt, weil der sich – nach lückenhafter Beobachtung – nicht bestätigen ließ.

Welches Ausmaß hatte der Drogenhandel?

Als Beifang gab es aus der Telefonüberwachung den Drogenhandel. Um Amri im Blick zu behalten, so war die Absprache zwischen den Sicherheitsbehörden, sollte wegen des Drogenverdachts ein neue Telefonüberwachung erfolgen. Dazu wertete eine LKA-Beamtin mehr als 70, wegen des Terrorverdachts abgehörte Gespräche aus und notierte im Herbst 2016: banden- und gewerbsmäßiger Drogenhandel. In den Akten der Generalstaatsanwaltschaft fehlte ihr Bericht. Ihr Kollege L. stufte den Verdacht „massiv“ herunter, entschärfte den Vermerk, hatte aber schon vorher gegenüber GATZ und LKA Nordrhein-Westfalen Amri nur als kleinen Dealer bezeichnet. Die Generalstaatsanwaltschaft war eingebunden.

Das „Kleinschreiben“ von Amri zum Kleinkriminellen findet die Staatsanwaltschaft aus heutiger Sicht falsch und ungewöhnlich, sieht aber keine Straftat. Sie hätte Amri wegen des Vorwurfs des gewerbsmäßigen Drogenhandels in kleinen Mengen verfolgt. Selbst dann wäre, so erklären es die Staatsanwälte nun, der Fall keine große Nummer gewesen: Bis Observation und Telefonüberwachung von einem Richter bestätigt, wenn überhaupt ein Haftbefehl angeordnet worden wäre, hätte es Wochen, Monate gedauert.

Geisel: Alle Vorwürfe wurden bestätigt - nur nicht strafrechtlich

Intern wird ohnehin das Fehlen klarer rechtsstaatlicher Werkzeuge gegen den Terror bemängelt. Erst am Dienstag hatte die neue Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärt, es seien klare Standards für die Beobachtung von Gefährdern nötig.

Burkard Dregger, Innenexperte der CDU-Fraktion und Chef des Amri–Untersuchungsausschusses, hielt sich zurück: „Es ist immer klug, keine Vorverurteilung vorzunehmen. Das gilt für den Innensenator ebenso wie für die laufenden parlamentarischen Untersuchungen.“ FDP- Obmann Marcel Luthe sagte, erwartungsgemäß hätten sich Geisels Vorwürfe als haltlos erwiesen.

Der Innensenator erklärte: Es sei richtig gewesen, die Manipulationsvorwürfe zu prüfen. „Alle erhobenen Vorwürfe wurden bestätigt“, nur ein strafrechtliches Vergehen habe nicht „mit letzter Sicherheit nachgewiesen“ werden können. Es habe unterschiedliche Aktenlagen gegeben, Straftatbestände seien anders dargestellt worden. „Dies alles muss im Sinne der Opfer und ihrer Angehörigen restlos aufgeklärt werden“, sagte Geisel.

Die betroffenen Beamten, an den Pranger gestellt, von der Polizeiführung allein gelassen, seien erleichtert, hieß es von der Gewerkschaft der Polizei. Vize-Landeschef Detlef Herrmann sprach von einer „zusammengeschusterten Konstruktion, um irgendjemanden als Sündenbock für strukturelle Unzulänglichkeiten verantwortlich machen zu können“.

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