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Ein Polizist steht vor dem Eingang des Wohnhauses, in dem der Terrorverdächtige lebte.

© Nina Breher

Update

Syrer in Berlin festgenommen: GSG 9 fasst 26-Jährigen in Schöneberg unter Terrorverdacht

Ein mutmaßlicher Islamist aus Syrien soll sich über Bombenbau informiert haben. Nach Angaben des Innensenators arbeitete er im Bode-Museum und an einer Schule.

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Nachbarn sagten, sie seien von einem Filmdreh ausgegangen. Ein solches Aufgebot an schwarzen Vans haben sie in der sonst ruhigen Nachbarschaft noch nie gesehen. Dabei handelte es sich um die Festnahme eines 26-jährigen Syrers, der unter Terrorverdacht steht. Die schwarzen Vans gehören der Polizei, seit den Morgenstunden stehen sie vor dem Haus. Am Dienstag wurde der Verdächtige in seiner Wohnung in Schöneberg festgenommen. Wie die Staatsanwaltschaft Berlin am Vormittag mitteilte, vollstreckten Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) gemeinsam mit der Spezialeinheit GSG 9 einen Haftbefehl sowie einen Durchsuchungsbeschluss. Konkret besteht der Verdacht der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Gegen den Syrer bestehe demnach der dringende Tatverdacht, seit Frühjahr 2019 in neun Fällen „in einer islamistisch geprägten und dem IS nahestehenden“ Gruppe des Messenger-Dienstes Telegram Anleitungen zum Waffenbau und zur Sprengstoffherstellung ausgetauscht zu haben. „Zweck des Chatverkehrs soll die Vorbereitung von Terroranschlägen gewesen sein“, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Im Schöneberger Wohngebiet lässt wenig darauf schließen, dass der 26-Jährige hier für mehrere Monate mutmaßlich Anschläge plante. Fahrräder lehnen am Hauseingang, Wäsche hängt von den roten Balkons. Im Hausflur riecht es nach Katzenstreu. „Das hätte ich nie gedacht! Die Leute in der Nachbarschaft sind so nett", sagt eine Nachbarin. Ab und zu bleiben Passanten stehen, blicken zum Haus, vor dem noch eine Handvoll Polizisten stehen. Im obersten Stockwerk rechts soll der Verdächtige gewohnt haben.

Im obersten Stockwerk auf der rechten Seite soll der Verdächtige gelebt haben.
Im obersten Stockwerk auf der rechten Seite soll der Verdächtige gelebt haben.

© Nina Breher

Die Mieten im Haus sollen günstig sein, erzählt ein Nachbar. Duschen gebe es nur eine pro Etage. „Wer hier einzieht, der tut das, weil er schnell was braucht oder nichts anderes findet", sagt er. Der festgenommene Terrorverdächtige war in Berlin an einer Grundschule als Reinigungskraft beschäftigt. Zuvor habe er bis September im Berliner Bode-Museum gearbeitet, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag. Über ein mögliches Anschlagsziel des Verdächtigen lägen keine Erkenntnisse vor. „Wir gehen davon aus, dass es eine beträchtliche Gefahr gab“, so Geisel.

Geisel zufolge hatten die Ermittler den Mann seit Anfang des Jahres im Visier. Seit drei Monaten sei er von Kräften des Landes- und des Bundeskriminalamtes rund um die Uhr observiert worden. Auf seine Spur seien die deutschen Sicherheitsbehörden nach einem Hinweis eines „befreundeten ausländischen Nachrichtendienstes“ gekommen. Dieser habe Internet-Chats des Verdächtigen abgehört. Zur Frage, ob der Verdächtige Komplizen in Deutschland hatte, machte der Senator aus „ermittlungstaktischen Gründen“ keine Angaben.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) dankte den Sicherheitskräften. Die Polizei habe offensichtlich sehr vorausschauend agiert und gute Arbeit geleistet, sagte Müller. „Es ist ein gutes Zeichen, dass die Arbeit so fundiert organisiert ist von der Polizei, dass man in Verdachtsfällen sofort handeln kann.“ Viele Hinweise hätten die Ermittler darauf schließen lassen, „dass der Verdächtige ein konkretes Vorhaben in Berlin oder darüber hinaus umsetzen möchte, einen Anschlag“.

Terrorverdächtiger arbeitete in einer Schule

Der 26-Jährige hielt sich seit 2014 in Deutschland auf. Nach Tagesspiegel-Informationen sprachen die Teilnehmer der Telegram-Gruppe unter anderem darüber, Sprengstoff gegen „Ungläubige und Juden“ einzusetzen. Die Gruppe hatte mehrere Dutzend Teilnehmer.

Immer wieder verlassen Polizeibeamte das Haus in Schöneberg, in Koffern und Plastiktüten tragen sie Gegenstände aus der Wohnung. Laut Staatsanwaltschaft sollen sich die Anleitungen, die in der Gruppe ausgetauscht wurden, unter anderem auf die Herstellung von Plastiksprengstoff, Paket- und Magnetbomben bezogen haben, sowie auf die Herstellung von Türfallen mit Explosivstoffen, AK 47-Sturmgewehren, Maschinenpistolen und weiteren Schusswaffen.

Eine Polizeibeamtin trägt Koffer mit sichergestellten Gegenständen nach draußen.
Eine Polizeibeamtin trägt Koffer mit sichergestellten Gegenständen nach draußen.

© Nina Breher

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Der Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof sei in einem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts vollstreckt worden. Hintergrund sei der Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios hatte die Polizei den Mann mehrere Monate im Visier. Die ersten Hinweise sollen von einem ausländischen Geheimdienst an das Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben worden sein.

Eine Polizistin führt einen Spürhund zum Haus.
Eine Polizistin führt einen Spürhund zum Haus.

© Nina Breher

  • Ein 26-jähriger syrischer Staatsangehöriger wird in Berlin-Schöneberg festgenommen
  • Er wird beschuldigt, in einer Messenger-Gruppe Anleitungen zum Waffen- und Bombenbau ausgetauscht zu haben
  • Die Chatteilnehmer sprachen unter anderem darüber, Sprengstoff gegen „Ungläubige und Juden“ einzusetzen
  • Der radikal-islamistisch gesinnte Beschuldigte soll bereits Chemikalien besorgt haben
  • Laut Innensenator Geisel arbeitete der Mann als Reinigungskraft an einer Schule

Wie die Bundesanwaltschaft mitteilte, werde dem Beschuldigten, der radikal-islamistisch gesinnt sei, vorgeworfen, seit Januar 2019 begonnen zu haben, Bauteilte und Chemikalien für den Bau einer Sprengstoffvorrichtung zu besorgen. Diese sollte demnach gezündet werden, „um eine möglichst große Anzahl an Menschen zu töten und zu verletzen“, hieß es. Zeitpunkt und Ort in Deutschland seien nicht bekannt.

Eine Polizeibeamtin führt einen Spürhund ins Treppenhaus, der womögliche Spuren von Sprengstoff sicherstellen soll. Denn der Mann soll laut Bundesanwaltschaft Aceton und Wasserstoffperoxidlösung gekauft haben. „Beide Chemikalien werden zur Herstellung des hochexplosiven Sprengstoffs Triacetontriperoxid (TATP) benötigt. Daher ist anzunehmen, dass der Beschuldigte diesen Sprengstoff herzustellen beabsichtigte“, teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Polizisten verlassen das Haus des Verdächtigen.
Polizisten verlassen das Haus des Verdächtigen.

© Nina Breher

Der Sprengstoff TATP lässt sich mit sehr einfachen Mitteln herstellen, ist billig und hat eine hohe Wucht. Das alles macht ihn attraktiv für Terroristen. Die Hauptzutaten können Nagellackentferner und Haarbleichmittel sein. Im Nahen Osten ist TATP auch bekannt als „Mutter des Satans“. Benutzt wurde es unter anderem bei den Terroranschlägen in Paris 2015.

Auch in Berlin spielte TATP bereits eine Rolle. Im Mai begann ein Prozess gegen einen 31-jährigen Islamisten aus Russland, der über einen Anschlag auf das Einkaufszentrum Gesundbrunnen im Norden Berlins nachgedacht haben soll. In seiner Berliner Wohnung soll er laut Anklage eine größere Menge TATP gelagert haben. Auch der spätere Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, soll für einige Wochen im Oktober 2016 dabei gewesen sein.

Die Planungen brachen Ende Oktober 2016 ab, weil die Polizei an der Wohnungstür des Mannes klingelte. Bei der Festnahme im August 2018 wurde kein Sprengstoff gefunden.

Staatsanwaltschaft: Anschlagspläne werden oft erkannt und gestoppt

Terroranschläge werden von Islamisten in Deutschland nach Einschätzung der Berliner Staatsanwaltschaft häufiger geplant, aber eben auch verhindert. „Gott sei Dank gelingt es oft, solche Anschlagspläne frühzeitig zu erkennen und zu stoppen“, sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Dienstag nach der Verhaftung des Terrorverdächtigen. Auch in diesem Fall sei das so gewesen.

Über den Mann und seinen Austausch in einem Messenger sagte Steltner: „Diese Chat-Gruppierung ist einem gefestigten islamistischen Milieu zuzurechnen und es soll auch entsprechende Nähe zum IS bei dem Beschuldigten bestehen“. Und weiter: „Was da ausgetauscht worden ist, war ganz klar mit islamistischem Hintergrund und diente dem Zweck der Vorbereitung von Anschlägen.“

Der Mann hat laut Steltner eine Ehefrau. Wie lange er schon in Deutschland ist, wurde nicht mitgeteilt. Auch weitere Details, etwa zur Gefährlichkeit des Mannes, wollten die Behörden nicht verraten. (mit dpa)

Anmerkung der Redaktion: Zunächst hatte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mitgeteilt, der Festgenommene sei 37 Jahre alt. Die Behörde korrigierte diese Information am Mittag: Der Beschuldigte ist 26 Jahre alt.

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