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Viele Akten stehen in einem Magazinraum in Brandenburgs Stasi-Unterlagenbehörde in Frankfurt (Oder).

© Patrick Pleul/dpa

Studie in Potsdam vorgestellt: Viele SED-Opfer in Brandenburg leben heute in prekären Verhältnissen

Viele im Land Brandenburg, die zu DDR-Zeiten politisch verfolgt wurden, leiden immer noch an Spätfolgen. Das zeigt eine Studie über die Lebenslagen von Betroffenen.

Im Land Brandenburg leben Menschen, die vor 1989 im SED-Regime von der Stasi bespitzelt und verfolgt wurden, die im Gefängnis saßen, mit ihren Familien viele Nachteile erlitten, über drei Jahrzehnte danach jetzt oft in prekären Verhältnissen. Viele leiden an gesundheitlichen Langzeitfolgen, stehen aber der demokratischen Gesellschaft positiver gegenüber als im Schnitt die Bevölkerung sonst.

Diese Befunde gehen aus einer Sozialstudie über die Lebenslagen von Opfern des SED-Regimes in Brandenburg hervor, die am Dienstag in Potsdam vorgestellt wurde. Das 326-Seiten-Werk ist vom Berliner Institut für Sozialforschung (BIS) im Auftrag von Brandenburgs Diktaturbeauftragter Maria Nooke erstellt und an den Landtag übergeben worden.

Es ist in Brandenburg die erste Studie dieser Art. Eine Besonderheit besteht auch darin, dass Angehörige einbezogen worden sind, da das Unrecht auch Folgen für Partner und für die ganze Familie hatte.

„Wissenschaftlich fundiert sehen wir nun, in welch schwieriger materieller, gesundheitlicher und sozialer Situation sich viele betroffene Menschen heute befinden“, heißt es im Vorwort Nookes. Nun gelte es, Schlussfolgerungen zu ziehen, Betroffenen besser zu helfen. Es gebe „viele Felder, auf denen die Menschen eine Unterstützung bei der Verbesserung der Lebenssituation benötigen.“

Es geht um Menschen, deren Lebenswirklichkeit eher selten im Fokus steht und die sich im Rahmen der Studie an einer Befragung beteiligten, die repräsentativen Charakter hat: Von den 2690 Angeschriebenen hatten 533 mitgemacht, ein hoher Rücklauf.

77 Prozent der Befragten hatten Hafterfahrungen, 71 Prozent Überwachung erlebt

Sie füllten einen Fragebogen mit über 80 Fragen aus, was laut Nooke besonders Hochachtung verdient. Denn es hieß, so Nooke, „sich alten belastenden Erinnerungen von Repression und Leid zu stellen, sich an teils komplizierte administrative Verfahren der Rehabilitierung zu erinnern und sich mit ihrer heutigen Lebenssituation auseinanderzusetzen.“

Sie bilden ein typisches Spektrum ab. Von den Befragten hatten 77 Prozent Hafterfahrungen, 71 Prozent Überwachung, Verhöre und Zersetzung erlebt, was alles auch Jahrzehnte später belastet, Spätfolgen zeigt.

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„Neben körperlichen Folgen (38 Prozent) sind es vor allem psychische Folgen (70 Prozent), die bis heute nachwirken“, heißt es. „Vor allem fällt es ihnen schwer, Vertrauen aufzubauen.“ Im Vergleich zur Bevölkerung im Land Brandenburg sind laut Studie überdurchschnittlich viele Betroffene von politischem Unrecht vor 1989 erwerbsgemindert oder schwerbehindert. Die Thematisierung wäre wichtig für die persönliche Aufarbeitung.

Brandenburgs Diktaturbeauftragte Maria Nooke.
Brandenburgs Diktaturbeauftragte Maria Nooke.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Doch jeder dritte Befragte hat laut Umfrage keinen, um über die Erfahrungen sprechen können. Zwei Drittel haben diese Möglichkeit, doch auch da fällt es häufig schwer. „Für 66 Prozent ist es emotional und für 40 Prozent körperlich anstrengend, darüber zu sprechen.“ Therapeutische Hilfe nehmen derzeit 69 Befragte (16 Prozent) in Anspruch. Ein niedrigschwelliges, wohnortnahes Angebot fachkundiger Traumatherapeuten wäre nach Sicht Betroffener eine gute Unterstützung“, so die Studie. „Hilfreich wäre auch die kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs um therapeutische Angebote zu erreichen.“ 

Benachteiligung in Job und Ausbildung führten nicht selten dazu, dass Menschen es nach 1990 schwerer hatten

Tatsächlich ist die materielle Lebenslage vieler SED-Opfer in Brandenburg signifikant schlecht. Benachteiligung in Job und Ausbildung zu DDR-Zeiten, ob das verweigerte Abitur oder das abgelehnte Studium, führte nach 1990 nicht selten dazu, dass sie es wieder schwerer hatten.

Die Ergebnisse zeigen, „dass das verfügbare Einkommen der Befragten oft sehr prekär ist und deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung im Land liegt“, so die Sozialstudie. Fast jeder zweite Betroffene – 69 Prozent sind Rentner – lebt an der Grenze der Armutsgefährdung, die in Brandenburg bei einem monatlich verfügbaren Nettoeinkommen von 1135 Euro liegt. 49 Prozent haben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1000 Euro, im Landeschnitt sind das 27 Prozent.

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Es verwundert nicht, dass die „Betroffenen hinsichtlich ihres Einkommens und ihrer Gesundheit zu einem Großteil deutlich unzufriedener“ sind als die Bevölkerung sonst. Bei der Zufriedenheit mit dem familiären Umfeld, Freunden und den Wohnverhältnissen gibt es keine Unterschiede zu den Brandenburgern sonst.

Dafür findet sich dieser Befund über Menschen, die in der Diktatur viel erlitten, riskierten, an Langzeitfolgen leiden, und es auch in den heutigen Verhältnissen oft schwer haben: „Aufgefallen ist, dass die Personen, die von SED-Unrecht betroffen waren, heute der demokratischen Gesellschaft positiver gegenüberstehen, als dies im Durchschnitt der Brandenburger Bevölkerung anzutreffen ist.“   

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