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Nummer eins. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (r) ist Spitzenkandidat der Brandenburger SPD.

© dpa

Mit leisen Tönen ins Duell mit Baerbock: Olaf Scholz ist Spitzenkandidat der SPD in Brandenburg

Der Finanzminister und Kanzlerkandidat führt die Bundestagsliste im Land an. Schaltet er jetzt in den Angriffsmodus? 

Plötzlich geht das Licht aus in der Potsdamer Schinkel-Halle und im Live-Stream. Der Mann am Pult ist nicht mehr zu sehen. Und Olaf Scholz, der SPD-Kanzlerkandidat? Er spricht weiter, als wäre nichts, kein Stocken, kein Innehalten, einige Sekunden, sehr lange Sekunden, die Stimme aus dem Off.

Ja, so sehen sie ihn, die Genossen, zumindest seine Unterstützer in der SPD, Olaf, der Fels in der Brandung in diesen unsicheren, verrückten Zeiten. So passte die technische Panne gut in die Inszenierung, in das Drehbuch der digitalen Landesvertreterversammlung der Brandenburger SPD. Auf der Scholz, Vizekanzler und Bundesfinanzminister, an diesem Sonntag zum SPD-Spitzenkandidaten im Land für die Bundestagswahl gekürt worden ist.

Das Ergebnis der Online-Abstimmung: 92 Ja-, vier Nein-Stimmen, zwei Enthaltungen. Ohne Gegenkandidaten. Das sind 93,8 Prozent, ein solider Wert. Viel weniger hätte es nicht sein dürfen, wäre peinlich gewesen. Das Ergebnis muss, ehe es amtlich wird, von den Delegierten nachträglich noch via Briefwahl verifiziert werden.  

Wie er sich schlug, der Kanzlerkandidat der SPD, nun auch Spitzenkandidat in Brandenburg, der hier in Potsdam im direkten Duell mit Grünen-Kanzlerkandatin Annalena Baerbock um das Direktmandat im Wahlkreis 61 kämpft? Nein, Olaf Scholz schaltete nicht auf Attacke, nicht in den Angriffsmodus, wie es sich auch manche in seiner Partei wünschen, angesichts des Hypes für die Grünen, die schlechten SPD-Werte in den Umfragen.

Er verlor überhaupt kein direktes Wort zu den Grünen, zu Baerbock. Er blieb sachlich, staatsmännisch. Wenn er mal austeilt, hört sich das so an: "Wir glauben, dass es nicht reicht, gute Ziele zu formulieren wie andere Wettbewerber, dann aber nie dabei zu sein, wenn es um die Genehmigung von Stromleitungen oder Mobilfunkmasten geht, und um die Frage, wo eigentlich die erneuerbaren Energien ausgebaut werden." Gemeint waren die Grünen. Das war´s.

Scholz' Botschaften: soziale Gerechtigkeit, sichere Jobs

Die SPD habe "einen guten Vorschlag für ein Land, das zusammenhält, mit Wohlstand, guten Arbeitsplätzen und das gleichzeitig vorne an ist, unseren Planeten und das Klima zu schützen." Dass der schwarz-roten Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht gerade die Lektion erteilt wurde, dafür bisher nicht genug getan zu haben, überging Scholz wohlweislich. 

Seine Botschaften an diesem Tag sind ohnehin andere: vor allem soziale Gerechtigkeit, auch in Zeiten von Corona, bessere Löhne, sichere Jobs, das Ziel, den Wohlstand in Deutschland in den 20er Jahren zu halten. Er versprach, dass es "im ersten Jahr meiner Kanzlerschaft einen Mindestlohn von 12 Euro" in Deutschland geben soll.

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Und gerade die Pandemie habe gezeigt, dass Applaus nicht reiche, es im Gesundheitswesen und in der Pflege höhere Löhne geben müsse. Eine solche "Zeitenwende", so Scholz, müsse es in Deutschland geben. "Wir brauchen eine bessere Bezahlung für alle Bereiche, die systemrelevant sind. Sie sind auch nach der Krise systemrelevant." Wer in der Altenpflege arbeite, "muss sich darauf verlassen können, nach einem Tarifvertrag bezahlt zu werden." 

Es gab eine kurze Aussprache, drei Wortmeldungen. Eine kam von der Brandenburger SPD-Bundestagsabgeordneten Silvia Lehmann aus Dahme-Spreewald: "Ich danke für Deinen kämpferischen Vortrag, den ich schon öfter hören konnte."

Sie konfrontierte Scholz mit Existenzsorgen vieler Einzelhändler, der Tourimusbranche, der Kultur, die wegen der Corona-Einschränkungen nun schon lange geschlossen sind. "Wir müssen da klarere Antworten finden!"

Das konnte man als indirekte Kritik verstehen. Scholz versprach, dass die milliardenschweren Corona-Hilfsprogramme fortgesetzt werden, und zwar "in dem Umfang, wie es notwendig ist." Es gehe jetzt um die letzte Puste, um durchzukommen. "Alle können sich darauf verlassen, wir werden unsere finanziellen Möglichkeiten nutzen."  

Grüne sind der SPD auch in Brandenburg gefährlich

Andere Redner nahmen sich die Grünen direkter vor. Für die SPD sind sie in diesem Bundestagswahlkampf auch in den bisherigen Hochburgen Potsdam und Brandenburg gefährlicher denn je.

Es gebe eine Partei, der eine große Kompetenz beim Klimaschutz zugeschrieben werde, "erstaunlicherweise, wenn ich etwa nach Baden-Württemberg schaue", sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). "Wie Klimaschutz mit Wirtschaftskraft, Arbeitsplätzen verbunden werden kann, das zeigt nicht ein grün regiertes Bundesland - das zeigt Brandenburg." 

Er zählte Energiewende-Investitionen wie Tesla in Grünheide, in Schwarzheide, Hennigsdorf und Brandenburg auf. Pläne allein reichten nicht, zur Umsetzung brauche es Erfahrung. "Auch bei einer Bundeskanzlerin oder einem Bundeskanzler kommt es eben nicht nur auf das Mundwerk an, sondern auch auf das Handwerk." Das habe Scholz bewiesen.

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Baerbock erwähnte Woidke nicht. Zugleich mahnte Woidke die SPD, sich nicht von Umfragen verunsichern zu lassen. Er erinnerte daran, dass in Brandenburg im Sommer 2019 die SPD auch schon abgeschrieben war, am Ende aber siegte. "Es ist nichts entschieden!"

Die Brandenburger SPD habe zwei große Charaktereigenschaften, die sie von einigen anderen SPD-Landesverbänden unterscheide. Eine große Geschlossenheit, "die uns nicht nervös werden lässt und zweitens: Die Brandenburger SPD kann kämpfen." Im Unterschied zu anderen Landesverbänden? Autsch.

Das Format der Landesvertreterversammlung war eine Premiere für die märkische SPD. Die meisten Delegierten stimmten zu Hause ab, online. Bei den folgenden Listenplätzen gab es teils mäßige Ergebnisse, etwa für die von Woidke besonders unterstützte Cottbuserin Maja Wallstein auf Platz Drei mit nur 67 Stimmen.

Nur Redner, Parteiprominenz und Journalisten vor Ort

Auch in Brandenburgs SPD ist Geschlossenheit im Vergleich zu früheren Zeiten relativ geworden. In der Potsdamer Schinkelhalle vor Ort waren wegen des Corona-Schutzes nur die Redner, die Parteiprominenz und einige Journalisten, alle vorher getestet.

Deshalb hatte Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) die Delegierten im virtuellen Saal so begrüßt: "Ich danke Euch, dass ihr hier heute nicht hergekommen seid!" Er hatte die Genossen anzufeuern versucht, da Parteitage ohne Delegierte "wie das Pokalfinale ohne Fans" seien, "irgendwie wichtig, aber Atmosphäre kommt nicht auf". Dabei stünden gerade Parteitage in Wahlkampfzeiten "für Attacke, für Ärmelaufkrempeln, für die Lust auf politischen Wettbewerb."

So hielt Schubert, dem Ambitionen auf die Woidke-Nachfolge in Brandenburg nachgesagt werden, mehr als die übliche Begrüßungsrede. Das Klatschen allein für Pflegekräfte reiche nicht. „Zur traurigen Wahrheit der Pandemie gehört auch, dass wir als Gesellschaft unehrlich mit der Daseinsvorsorge umgehen“, mahnte er.

Er forderte, dass die SPD die Corona-Krise nutzen müsse, die Umwälzungen in der digitalen Arbeitswelt, um Arbeitszeitgesetze und Kündigungsrecht im Interesse der Beschäftigten anzupassen. "Es braucht ein Upgrade der alten sozialdemokratischen Errungenschaften für die digitalere Arbeitswelt!"

Als Hausherr ging Schubert offensiv auf das deutschlandweit bisher einmalige Duell zweier Kanzlerkandidaten in Potsdam ein. Er werde dazu in der Stadt gefragt. Seine Antwort: Scholz könne Politik vor Ort und habe das etwa in Hamburg bewiesen, habe als Sozialminister die Finanzkrise gemeistert und als Finanzminister die Pandemie. "Olaf kann Kanzler. Punkt." Ob er das wirklich beweisen darf, entscheiden die Wähler, auch in Brandenburg.

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