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Hat Andreas Kalbitz nichts mehr zu verlieren? Die Polizei nahm den Hinweis ernst.

© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa

Exklusiv

Gefahrenwarnung im Landtag Brandenburg: Parlament schaltet wegen Ex-AfD-Mann Kalbitz Polizei ein

Alkohol, Waffenträger, nichts mehr zu verlieren – so lautete der Warnhinweis zu Ex-AfD-Mann Andreas Kalbitz. Der Landtag reagierte. Aber es gibt Zweifel.

Nach Milzriss-Affäre, Rücktritt als Fraktionschef und gerichtlich bestätigtem Parteiausschluss von Andreas Kalbitz aus der AfD sind am Freitag im Landtag Brandenburg Sicherheitsbedenken laut geworden. Noch ist unklar, ob der an Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) gemeldete Gefahrenverdacht begründet ist oder ob seine Fraktions- und nunmehr Ex-Parteikollegen mit bösen Unterstellungen nachtreten.

Der Landtag hat nach Tagesspiegel-Informationen am Freitag aber vorsorglich die Polizei eingeschaltet. Dabei soll es um ernsthaft geäußerte Bedenken gehen, dass Kalbitz angesichts seiner Lage bei der Landtagssitzung in der nächsten Woche die Kontrolle verlieren, ausrasten und gewalttätig werden könne. Der 47-Jährige habe nichts mehr zu verlieren, sei bereits gewalttätig geworden, habe ein Alkoholproblem und sei Waffenträger, lautete der Hinweis.

Obwohl die Warnung ohne Beleg war, nahm die Polizei den Hinweis ernst. Noch am Freitag sollten Beamte eine sogenannte Gefährderansprache mit Kalbitz führen. Wobei selbst unter Sicherheitsexperten und in Parteikreisen nicht ausgeschlossen wird, dass Kalbitz‘ Fraktionskollegen die Lage nutzen wollten, um ihn gezielt zu diffamieren. Ein Parteimitglied nannte die Vorgänge gar „kafkaesk“.

Andererseits haben sich selbst einst Vertraute offen gegen ihn gestellt. Einer, der trotz Nähe zur rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ vor wenigen Jahren Kalbitz’ rechte Hand in der Fraktion wurde, warf ihm einen „Bitch-Move“ vor, nannte ihn „Parteikrebs“, „schleimige Kröte“, „Schrotthaufen“.

Ob Kalbitz tatsächlich Waffenträger ist, blieb unklar. Nach Tagesspiegel-Informationen soll er zwar eine Waffenerlaubnis haben, aber im nationalen Waffenregister für ihn keine legale Waffe eingetragen sein. Auf Anfrage wollte sich ein Sprecher der Polizei Brandenburg nicht zu den Vorgängen äußern, ebenso nicht Kalbitz.

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Der bisherige AfD-Landeschef hat bis auf sein Landtagsmandat alles verloren, seine Macht und seinen Einfluss in der Partei, vor allem in Ostdeutschland, wo der rechtsextreme „Flügel“ stark ist, dessen Strippenzieher Kalbitz war. Vor einem Jahr führte er die AfD bei der Landtagswahl auf Platz zwei. Nun wenden sich jene gegen ihn, die ohne ihn in Partei und in der Fraktion nichts geworden wären, die bislang kein Problem hatten mit der rechtsextremistischen Vergangenheit des früheren Fallschirmjägers der Bundeswehr.

Wer sich gegen ihn stellte, galt schnell als Verräter

Andererseits: Wer sich in der Ost-AfD gegen Kalbitz und den Flügel stellte, galt schnell als Verräter. Kalbitz hatte in der vergangenen Woche das Amt als AfD-Fraktionsvorsitzender aufgegeben, das er wegen der juristischen Auseinandersetzungen um seinen Parteiausschluss ruhen ließ. Die Amtszulagen für den Posten kassierte er dennoch – 6025,61 Euro und erhöhte Versorgungsbezüge von 3156,66 Euro zusätzlich zur Abgeordnetendiät von 8608,01 Euro.

Grund für den endgültigen Rücktritt war ein angeblich freundschaftlicher Begrüßungsschlag gegen den kommissarischen Fraktionschef und bisherigen Kalbitz-Vertrauten Dennis Hohloch am 10. August in den Räumen der AfD-Fraktion. Hohloch erlitt dabei einen Milzriss und landete in Krankenhaus.

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Ein Mitarbeiter der Fraktion machte einen weiteren Fall publik: Demnach soll Kalbitz bei einer Fraktionsklausur 2019 betrunken einem Mitarbeiter das Handy aus der Hand geschlagen haben. Die Darstellung blieb unwidersprochen, äußern wollte sich dazu aber niemand weiter. Die Staatsanwaltschaft leitete wegen der Milzriss-Affäre Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung ein.

Am Freitag lehnte das Landgericht Berlin Kalbitz‘ Antrag ab, die Parteimitgliedschaft wieder in Kraft zu setzen. Jetzt kann Kalbitz im Eilverfahren vor das Kammergericht ziehen. Im Zweifel wird erst im langwierigen Hauptverfahren entschieden, ob das Bundeschiedsgericht ihm zurecht das Parteibuch entzogen hatte.

Als Grund für die Aufhebung der Parteimitgliedschaft werden bei seinem AfD-Eintritt 2013 verschwiegene Mitgliedschaften beim verbotenen Neonazi-Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) und bei den Republikanern angeführt. Kalbitz bestreitet, HDJ-Mitglied gewesen zu sein. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt hingegen wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht.

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