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Orazio Giamblanco und seine Lebensgefährtin Angelica Stavropolou Ende 2019 in Bielefeld.

© Frank Jansen

Gedenken an Opfer rechter Gewalt: CDU, SPD und AfD schreiben in Trebbin gemeinsamen Antrag

Im brandenburgischen Trebbin darf die AfD über die Erinnerung an den Angriff auf Orazio Giamblanco mitentscheiden. Das führt zu heftigem Streit.

Von Frank Jansen

Auch ein knappes Vierteljahrhundert nach einer beinahe tödlichen rechtsextremen Gewalttat gibt es im brandenburgischen Trebbin noch Verrenkungen um die Erinnerung daran. Am 30. September 1996 hatte in der Kleinstadt südlich von Berlin ein Skinhead mit seiner Baseballkeule den Italiener Orazio Giamblanco fast erschlagen. Nun gibt es Zwist um die Ehrung des Opfers. Denn es geht womöglich auch um die Vergangenheit des Feuerwehrchefs. Plötzlich verschwimmen die politischen Grenzen.

In der Stadtverordnetenversammlung reichten am Mittwoch die Fraktionen von CDU, SPD und der Wählervereinigung „Frischer Wind/UFW“ gemeinsam mit der AfD einen Antrag ein, dass Haupt- und Kulturausschuss über ein „Zeichen der Mahnung und Erinnerung“ beraten sollen.

Der konkrete Antrag der Fraktion „Neue Liste/Die Partei“, das im Bau befindliche Feuerwehrgerätehaus nach Orazio Giamblanco zu benennen, wurde hingegen nicht für ein Votum zugelassen.

CDU, SPD und „Frischer Wind“ stimmten vielmehr mit den Stadtverordneten einer rassistisch eingefärbten Partei über das Gedenken an ein Opfer rassistischer Gewalt ab. Der Vorgang bereitet allerdings dem christdemokratischen Bürgermeister Bauchschmerzen.

Er habe sich enthalten, sagt Thomas Berger am Freitag dem Tagesspiegel. „Solange ein Faschist wie Höcke in der AfD wirken kann, solange kann ich nicht gemeinsam mit dieser Partei stimmen“, betont der Kommunalpolitiker. Sascha Riedel, Stadtverordneter der Satirepartei „Die Partei“, ist „mega schockiert, dass es so gekommen ist“. Der Antrag der vier Fraktionen sei „heuchlerisch“ und diene „in keinster Weise dem Andenken an Orazio Giamblanco“.

Die Satirepartei "Die Partei" protestiert bei Kommunalaufsicht

Die Fraktion Neue Liste/Die Partei will sich nun bei der Kommunalaufsicht darüber beschweren, dass der Antrag zur Benennung des Feuerwehrgerätehauses nicht zur Abstimmung kam.

Die Mehrheit der Stadtverordneten habe sich mit der AfD verbündet, „um über einen Geschäftsordnungstrick zu verhindern, dass sie über einen wohlbegründeten Antrag zum Gedenken an ein Gewaltopfer hätten debattieren und abstimmen müssen“, beklagt „Die Partei“ in einer Erklärung. Gegen den Antrag der vier Fraktionen hatte außer den drei Stadtverordneten von „Neue Liste/Die Partei“ auch ein Mitglied der gemeinsamen Fraktion von Grünen und Linken votiert.

Trebbin hatte lange über den rechten Angriff geschwiegen

Das Gerangel hat eine Vorgeschichte. Die Stadt hatte über den Angriff auf Orazio Giamblanco lange geschwiegen. Der Tagesspiegel berichtet allerdings seit 1997 Jahr für Jahr, wie es dem Italiener geht. Der in Bielefeld lebende Giamblanco ist schwer behindert, er leidet unter spastischer Lähmung und kann kaum sprechen. Die griechische Lebensgefährtin Angelica Stavropolou und ihre Tochter Efthimia Berdes pflegen mit viel Mühe den heute 79-jährigen Mann. Zahlreiche Leserinnen und Leser des Tagesspiegels spenden jährlich für die drei.

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Der erste Trebbiner Kommunalpolitiker, der das Schicksal von Orazio Giamblanco wieder zur Sprache brachte, war Hendrik Bartl. Er wurde 2008 ins Stadtparlament gewählt, ein Jahr später fuhr er mit dem Tagesspiegel nach Bielefeld. Auch Trebbins Vizebürgermeisterin Ina Schulze und der damalige Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung, Peter Blohm, waren dabei.

Orazio Giamblanco nahm die Politiker herzlich auf

Die Politiker waren schockiert. Sie sahen, wie sich Giamblanco bei der Krankengymnastik abmühte, wie die beiden Frauen ihn in den Rollstuhl hoben und wieder hinaus. „Ich hätte mir das nicht vorstellen können“, sagte Blohm. Er, Bartl und Schulze hatten Tränen in den Augen. Auch weil sie von Giamblanco, der Lebensgefährtin und der Tochter herzlich aufgenommen wurden.

Die Stadt Trebbin hatte 2009 schon vor dem Besuch ein Spendenkonto für Giamblanco eingerichtet. Und Bartl, heute Vorsteher des Stadtparlaments, liest jedes Jahr den Verordneten aus der Reportage des Tagesspiegels über den Zustand des Italieners und der beiden Frauen vor. Eine Gedenktafel oder ein anderes, deutlich sichtbares Zeichen der Erinnerung gibt es in Trebbin bislang jedoch nicht.

Ein Antrag mit einem Hintergedanken

Das will die Satirepartei „Die Partei“ ändern. Im Februar 2020 fragte Riedel den Tagesspiegel, ob Giamblanco mit einem Antrag einverstanden sein könnte, das neue Feuerwehrhaus nach ihm zu benennen. Riedel betonte, es handele sich nicht um Satire. Giamblanco war gerührt. Er freute sich, dass an ihn gedacht wird. Riedel und seine Fraktion schrieben den Antrag. Mit einem Hintergedanken.

Der Chef der Trebbiner Feuerwehr, Silvio Kahle, auch Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, gehörte zu der Clique um den Skinhead Jan W., der Giamblanco 1996 fast totgeprügelt hatte. Die rechte Szene wollte die in der Kleinstadt auf einer Großbaustelle tätigen italienischen Bauarbeiter vertreiben. Bei den Jagdszenen wurde auch ein Kollege Giamblancos verletzt.

Das Landgericht Potsdam verurteilte Jan W. 1997 zu 15 Jahren Haft wegen versuchten Mordes. Der Skinhead sagte sich später von seinen „Kameraden“ los und beschuldigte mutmaßliche Mittäter. Das Amtsgericht Luckenwalde verhängte 2002 milde Strafen, Silvio Kahle kam mit einer Verwarnung und der Zahlung von 600 Euro an einen Suchthilfeverein davon.

Heute ist Kahle als „Stadtwehrführer“ der Feuerwehr ein respektierter Bürger. Der Name Orazio Giamblanco am neuen Gerätehaus würde Kahle ständig an seine dunkle Vergangenheit erinnern.

Vorkämpfer gegen Rassismus spielt eine fragwürdige Rolle

Dass es dazu wahrscheinlich nicht kommt, liegt offenbar nicht nur an Unbehagen in der Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung, sondern auch an Hendrik Bartl, dem Vorkämpfer für die Erinnerung an Giamblanco und gegen Rassismus in Trebbin. Bartl ist wie Kahle Mitglied der Fraktion „Frischer Wind/UFW“. Und als Vorsteher des Stadtparlaments entschied er am Mittwoch, über den von CDU, SPD, Frischer Wind und AfD abstimmen zu lassen, nicht aber über den von „Neue Liste/Die Partei“.  

Er habe erst am Mittwoch erfahren, dass die AfD mit auf dem Antrag stehe, sagt Bartl. Der Antrag sei „heiß gestrickt“ worden. Ihm sei aber der Inhalt wichtig gewesen, betont Bartl. Im Antrag wird unter anderem vorgeschlagen, „am Marktplatz, an Straße oder öffentlichen Einrichtung“ eine Gedenktafel anzubringen oder in anderer Form ein „Ort der Mahnung und Erinnerung“ geschaffen wird.

Damit wäre theoretisch auch eine Benennung des Feuerwehrhauses nach Orazio Giamblanco möglich. Der Antrag der vier Fraktionen sei ein „Erweiterungsantrag“ gewesen, sagt Bartl, deshalb habe er gemäß Geschäftsordnung den anderen, kürzeren Antrag von „Neue Liste/Die Partei“ nicht zur Abstimmung zulassen können. Doch Bartl ahnt, dass er einen Fehler gemacht hat.

"Wir sind keine Berufspolitiker"

„Ich würde heute fünfmal nachdenken“, sagt er. Dass die AfD beim Antrag dabei war, über den abgestimmt wurde, „ist nicht gut“. Bartl betont, „wir sind keine Berufspolitiker“. Sollte das Stadtparlament im Herbst über einen Vorschlag für einen Ort des Gedenkens abstimmen, würde er sich enthalten, stünde die AfD mit auf dem Antrag. Wie es am Mittwoch Bürgermeister Berger tat.

Berger hält es für eine gute Idee, den Marktplatz nach Giamblanco zu benennen. „Das ist ein Ort der Begegnung, wo man sich ständig trifft“, sagt er. Dort könne man den Menschen „ins Bewusstsein bringen, dass sich niemals wiederholen darf“, was 1996 in Trebbin geschah.

Auf Feuerwehrchef Silvio Kahle und dessen Zeit in der rechten Szene angesprochen, reagiert Berger knapp, „das Thema ist Vergangenheit“. Im September wird die Stadtverordnetenversammlung beraten und womöglich beschließen, wie an den brutalen Überfall auf Orazio Giamblanco in Trebbin zu erinnern wäre.

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