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Experten gehen auch nach der Krise von einem um fünf bis zehn Prozent reduzierten Passagieraufkommen aus - das wird auch den BER treffen.

© Patrick Pleul/dpa

Flugverkehr in der Coronakrise: Der BER muss vom Wachstumszwang befreit werden

Das Reiseverhalten wird sich in Zukunft verändern. Das Geschäftsmodell des BER muss dementsprechend angepasst werden. Ein Gastbeitrag.

Harald Wolf, Linke, war von 2002 bis 2011 Wirtschaftssenator in Berlin. Von 1991 bis 2002 sowie von 2011 bis Februar 2020 saß er im Abgeordnetenhaus.

Corona hat die Luftfahrtindustrie weltweit in eine tiefe Krise gestürzt. Besonders heftig traf es die Berliner Flughäfen. Wurden 2019 noch über 35 Millionen Passagiere abgefertigt, waren es 2020 nur rund 9 Millionen. Auch 2021 ist keine Besserung abzusehen – die Flughafengesellschaft rechnet mit zehn bis elf Millionen Passagieren.

Optimistische Prognosen erwarten das Ende der pandemiebedingten wirtschaftlichen Talfahrt für das Jahr 2024. Andere Szenarien schätzen, dass erst 2026 oder 2029 das Vorkrisenniveau erreicht wird.

Diese Entwicklung verschärft die ohnehin schwierige finanzielle Lage des BER. Jetzt kumulieren sich die Probleme aus dem Baudesaster der Vergangenheit, bisheriger Kapazitätserweiterungen und der Coronakrise. Die auf sechs Milliarden Euro gestiegenen Baukosten wurden zum großen Teil durch Kredite finanziert, die nun bedient werden müssen.

Im letzten Jahr mussten die Gesellschafter Berlin, Brandenburg und der Bund insgesamt 300 Millionen Euro zuschießen, für 2021 werden circa 660 Millionen notwendig sein.

Das ruft die Protagonisten angeblich einfacher Lösungen auf den Plan. Allen voran verlangt die Berliner FDP-Fraktion eine Privatisierung. Auch der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Werner Gatzer, Mitglied im Aufsichtsrat des Flughafens, zeigte sich offen für einen Einstieg privater Investoren. Aber die Hoffnung, mit einer Privatisierung weitere Zahlungen aus den öffentlichen Haushalten vermeiden und gar einen weiteren Ausbau des BER finanzieren zu können, ist illusionär.

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Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe mit der „Renditegarantie“ für die Privatinvestoren sollte abschreckende Mahnung sein. Ein Privater wird kaum zunächst auf eine Rendite verzichten, sich an der Bedienung der Kredite beteiligen und dann auch noch für den Ausbau des Flughafens aufkommen.

Jeder Investor wird versuchen, künftige Renditen für sich zu vereinnahmen und Risiken und die „Altlasten“ – wie Kredite und Tilgung – bei der öffentlichen Hand abzuladen. Eine Teilprivatisierung der Flughafengesellschaft wäre für die Steuerzahler langfristig teurer, als sie als öffentliches Unternehmen fortzuführen. Auch eine Insolvenz wäre keine Lösung, da die drei Gesellschafter für die Kredite des BER bürgen.

20 Millionen Passagiere jährlich sind notwendig, um die laufenden Betriebskosten zu decken

Konnte man vor Corona noch hoffen, mit wachsenden Passagierzahlen den laufenden Betrieb und die Kreditlasten zu bestreiten, haben sich jetzt die Rahmenbedingungen gravierend geändert. 20 Millionen Passagiere jährlich sind notwendig, um allein die laufenden Betriebskosten zu decken – damit sind aber Zins und Tilgung der Kredite noch nicht finanziert.

Deshalb ist es notwendig, die Gesellschaft neu aufzustellen und auszurichten. Damit sie künftig finanziell auf eigenen Beinen stehen kann, wird eine Teilentschuldung notwendig sein. Dem muss jedoch eine gründliche Prüfung der Gesellschaft auf mögliche Risiken und Entwicklungsperspektiven vorhergehen – wie sie auch beim Einstieg von Privatinvestoren üblich ist.

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Die Expansionspläne der Masterplanung 2040 hat der Flughafen zurecht zunächst auf Eis gelegt. Aber es kann nicht nur um eine Atempause gehen: Die Erweiterungspläne gehören grundsätzlich auf den Prüfstand. Soll der BER künftig wieder großflächig expandieren oder vor dem Hintergrund der Klimakrise und der notwendigen Verlagerung von Inlandsflügen auf die Schiene auf ein tatsächlich notwendiges Maß beschränkt werden?

Das Reiseverhalten wird sich künftig verändern: weniger Geschäftsreisen, dafür mehr Videokonferenzen; krisenbedingte Kapazitätsreduzierungen der Airlines werden Tickets verteuern. Experten gehen deshalb auch nach der Krise von einem um fünf bis zehn Prozent reduzierten Passagieraufkommen aus. All dies spricht für eine Überprüfung des Geschäftsmodells. Und eine Teilentschuldung würde den Flughafen vom wirtschaftlichen Zwang immer weiterer Expansion befreien.

Harald Wolf

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