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Auf Abflug: Easyjet halbiert seine Flotte am Standort Berlin.

© REUTERS/Hannibal Hanschke/File Photo

Flugbetrieb nimmt zu, Easyjet kürzt: Was ist los mit dem Berliner Luftverkehr?

Berlins Airportchef meldet „sprunghaften Anstieg“ des Luftverkehrs. Doch Easyjet reduziert Flotte und Personal in der Hauptstadt.

Die Nachrichten könnten kaum gegensätzlicher sein: Seit Mittwoch starten in Berlin viele Airlines wieder. Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup verkündete auf einer Livestream-Pressekonferenz pünktlich zu den Sommerferien einen „sprunghaften Anstieg“ im Flugverkehr – „nach dem Tal der Tränen“ in der Coronakrise.

Auch Easyjet ließ die ersten Ferienflieger abheben, die größte Airline der Hauptstadtregion. Von Easyjet kam aber parallel auch diese Botschaft: Die in Berlin stationierte Flotte soll von 34 auf 18 Flugzeuge fast halbiert werden, 738 Jobs von Kabinenpersonal und Piloten sind bedroht. Was ist los im Luftraum über Berlin? Ein Überblick.

Wie entwickelt sich der Flugverkehr nach dem Corona-Einbruch?

Eigentlich erstaunlich gut. Es wird mehr geflogen als noch vor wenigen Wochen allgemein erwartet. Mit der Coronakrise war im März der Flugverkehr auch in der Hauptstadtregion bis auf wenige Ausnahmen eingestellt: In Tegel und Schönefeld landeten täglich nur ein paar Flieger, waren 1000, 2000 Passagiere am Tag abgefertigt worden.

Normalerweise sind es an den beiden, zuletzt völlig überlasteten Alt-Flughäfen 80.000 bis 90.000 Fluggäste, in der Hochsaison im Sommer 100.000 bis 120.000. Doch nun zieht der Luftverkehr – ähnlich wie nach früheren weltweiten Krisen wie 9/11 oder der Finanzkrise 2008/2009 – zügig an.

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Schon in der letzten Juni-Woche seien es wieder 8000 bis 9000 Passagiere täglich gewesen, sagte Lütke Daldrup. „Wir erwarten ab heute 20.000 Gäste pro Tag, Ende Juli 30.000 Gäste.“ Von den Spitzenwerten vor der Coronakrise, als 2019 in Berlin 35,6 Millionen Passagiere abgefertigt wurden, ist man aber immer noch weit entfernt.

Das Bundesverkehrsministerium erwartet, dass man in Berlin im September oder Oktober – am 31.Oktober soll der BER eröffnet werden – etwa 50 Prozent des früheren Niveaus erreicht haben wird. Die Spitzenzahlen von 2019 allerdings, sagte Lütke Daldrup, wird man wohl erst in drei, vier Jahren wieder erreichen.

Der Vorsitzende der Geschäftsfuehrung der Flughafengeselschaft Berlin Brandenburg, Engelbert Luetke Daldrup.
Der Vorsitzende der Geschäftsfuehrung der Flughafengeselschaft Berlin Brandenburg, Engelbert Luetke Daldrup.

© imago images/Emmanuele Contini

Warum greift Easyjet so massiv zum Rotstift?

Easyjet ist die größte Airline in der Hauptstadt, hat hier in den letzten Jahren massiv investiert, nahtlos die Lücke nach der Pleite von Air Berlin geschlossen. Bisher sei das nicht rentabel, durch Covid-19 habe sich dies Entwicklung noch verschärft, heißt es nun. Die Sparpläne sind in einem vom „rbb“ zuerst publik gemachten Schriftwechsel des Managements, unter anderem zwischen Easyjet-Chef Johan Lundgren und dem Deutschland-Chef Stephan Erler, erläutert. 

Es handelt sich um Mitteilungen, die im Easyjet-Netz für die Belegschaft zeitweise wohl versehentlich zugänglich waren. Darin begründet die Airline den Schritt damit, dass das Nachfrageniveau von 2019 in Europa „wahrscheinlich nicht vor 2023 wieder erreicht wird“. Ende Juni hatte das Unternehmen bereits einen Personalabbau um ein Drittel angekündigt.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]

Nach einem Erler-Schreiben sehen die Pläne für Berlin so aus: Die Zahl der hier stationierten Flugzeuge soll um 16 auf 18 Flugzeuge reduziert werden. Zitat: „Und das bedeutet leider etwa 738 Entlassungen innerhalb unseres Kabinenpersonals und unserer Pilotengemeinschaft in Berlin Tegel und Berlin Schönefeld.“ Es sei eine „harte Botschaft“. Der Vorschlag spiegele die mangelnde Rentabilität und die erheblichen Verluste am Standort Berlin wieder, „die der Rest des Netzes nicht mehr tragen kann“.

Offiziell bestätigt Easyjet Sparpläne und den Beginn von Konsultationen mit der Personalvertretung, nennt aber keine Zahlen. „Leider bedeutet die geringere Nachfrage, dass wir weniger Flugzeuge benötigen und weniger Jobs für unsere Mitarbeiter haben“, erklärte CEO Lundgren. „Wir verpflichten uns zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit unseren Arbeitnehmervertretern im gesamten Netzwerk.“

Er versicherte: „Berlin bleibt ein strategisch wichtiger Teil unseres Netzwerks, in den wir erhebliche Investitionen getätigt haben.“ Obwohl man Berlins größte Fluggesellschaft bleibe, „ müssen wir unseren Flugplan an die Nachfrage nach der Pandemie anpassen und uns auf profitables Fliegen konzentrieren“, sagte Lundgren.

Wie reagieren Belegschaft und die Gewerkschaft Verdi?

Die Nachricht sei ein „Schock“, sagte der für Luftverkehr zuständige Berliner Verdi-Sekretär Holger Rößler dem Tagesspiegel. „Wir werden das nicht kampflos hinnehmen.“ Der Abbau kurz vor der für Easyjet wichtigen Eröffnung des BER sei in keiner Weise nachvollziehbar „und mit den Pandemiefolgen nicht erklärbar“, sagte Rößler.

Denn damit würden die Investitionen und die Expansion der letzten Jahre am Standort quasi rückgängig gemacht. „Mit diesen Plänen gefährdet Easyjet seine Position als  Nummer in Berlin“, warnt Rößler.

Das Unternehmen setze seinen guten Ruf aufs Spiel. Als „absolut unverständlich“ bezeichnete es Rößler, dass Easyjet nicht die in Deutschland üblichen und bewährten Instrumente zur Beschäftigungssicherung wie Kurzarbeit nutze, sondern gleich Personal abbauen will.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Wie gehen die Flughäfen mit den Turbulenzen bei der Airline um?

Die Flughafengesellschaft steckt selbst in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, hat die Hälfte der 2000 Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und will allein 2020 bis zu 300 Millionen Euro Corona-Hilfen von den Eignern. Lütke Daldrup kritisierte die Pläne nicht: „Es wird deutlich weniger geflogen.“ Er verwies auf die Ankündigung der Lufthansa, von den 700 Maschinen im kommenden Jahr 350 bis 380 zu nutzen.

Das sei auch die Dimension bei Easyjet: „Was für uns wichtig ist: Easyjet hat klar erklärt, dass Berlin die größte Basis außerhalb Großbritanniens bleibt.“ Dort würden ganze Basen geschlossen. „Wir werden alle die nächsten Jahre hart daran arbeiten, die Frequenz wieder zu erreichen, die wir vor der Krise hatten, um danach wieder wachsen zu können.“

Es sei in Berlin damit zu rechnen, dass sich der Privat- und Touristenflugverkehr schneller erhole als Geschäftsreisen – und dann Easyjet auch wieder seine Berliner Flotte ausbaue werde.

Wer könnte profitieren, wenn Easyjet seine Berliner Flotte halbiert?

Womöglich wird vor allem Ryanair versuchen, in die Lücke zu stoßen, die aggressiv auf dem Markt operierende irische Billigairline. Dort sind die Arbeits- und Lohnbedingungen für das Personal deutlich schlechter als bei Easyjet. Allerdings hat jede Airline aktuell Probleme, auch Ryanair.

Wohin kann man jetzt von Berlins Flughäfen in den Sommerurlaub fliegen?

Es sind 36 Airlines, die von und nach Berlin wieder durchstarten. Von den beiden Flughäfen Tegel und Schönefeld können seit Mittwoch 100 Ziele in 40 Ländern angeflogen werden. „Das ist etwa die Hälfte, was wir normalerweise im Angebot haben“, sagte Lütke Daldrup. Die meisten klassischen Urlaubsländer und Feriendestinationen, ob Strand- und Sonnenziele wie die Balearen, die Kanaren oder die griechischen Inseln oder auch für Städtetrips, sind alle dabei.

So fliegt Ryanair seit Mittwoch 50 Strecken von und nach Berlin, darunter Mallorca, Faro, Madrid, Sizilien, Rhodos, Riga und Zadar.

Easyjet fliegt zunächst 39 Verbindungen ab Berlin, will das Angebot im Laufe des Sommers weiter ausweiten.

Zusätzlich wird laut Lütke Daldrup in Berlin auch der Linienverkehr wieder aufgestockt. Die Lufthansa fliegt demnach ab Berlin-Tegel wieder mehrfach täglich nach Frankfurt und München.

Andere Airlines wie Air France, KLM, British Airways oder Brussels Airlines fliegen ihre jeweiligen Routen nach Paris, Amsterdam, London und Brüssel ebenfalls wieder täglich oder mehrmals am Tag.

Bei Langstreckenverbindungen, von denen es in Berlin ohnehin nur wenige gibt, dauert es noch. Doch will Katar Airline drei Mal pro Woche wieder Doha anfliegen.

Und umgekehrt?

Besonders Berlins Hotels sind direkt von der Lage im Flugverkehr abhängig. Die Tourismuswirtschaft in beiden Bundesländern hofft darauf, dass mit den Fliegern auch wieder Gäste aus aller Welt nach Berlin und Brandenburg strömen. „Der erzwungene Winterschlaf des Berliner Bären ist vorbei“, formulierte es Burkhard Kieker, der Geschäftsführer von visitBerlin.

Berlin sei eine Weltmetropole und finde „nun langsam wieder zurück in die Rolle als größter Gastgeber Deutschlands und empfängt wieder mehr internationale Gäste. Der Einbruch im Luftverkehr habe zu Not und Verzweiflung bei den Hoteliers geführt. In Brandenburg sind die Hoffnungen ähnlich groß. „Fast alles ist wieder möglich. Es sind lediglich ein paar Regeln zu beachten“, sagte Mathias Knospe, der Marketingchef der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH.

Das erwartet die Passagiere ab dem 31. Oktober am BER: Ein fast 850 Meter langer Gang mit Glasfront mit Blick aufs Vorfeld.
Das erwartet die Passagiere ab dem 31. Oktober am BER: Ein fast 850 Meter langer Gang mit Glasfront mit Blick aufs Vorfeld.

© Ulrich Zawatka-Gerlach

Worauf müssen sich Fluggäste an den Berliner Flughäfen einstellen?

Sie sollten vor allem Geduld mitbringen, die Abfertigung und die Kontrollen sind wegen Corona-Vorkehrungen aufwendiger.

„Wir bitten unsere Gäste zwei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein“, sagte Lütke Daldrup. In den Terminals in Tegel und Schönefeld gilt eine Maskenpflicht. Außerdem, sagte Lütke Daldrup, sollten Reisende nur ein Gepäckstück als Handgepäck mitnehmen.

Was bedeutet das alles für den BER und die Flughafengesellschaft?

Das ist zweischneidig. Genau in vier Monaten, am 1.November, wird der erste Flieger am BER abheben. Am Abend vorher landen die ersten Maschinen dort.

Vor der Coronakrise hätte der BER mit Maximalauslastung eröffnen müssen, mit dem Risiko eines Desasters, wie es sie auch bei anderen Flughäfen schon gab.

Das droht nun nicht. Bald beginnt der Übungsbetrieb, mit zehntausend statt der ursprünglich geplanten 20 000 Komparsen. Wer Interesse hat, kann sich dafür unter www.ber-testen.de anmelden. Etwa tausend Plätze sind noch frei.

Auf der anderen Seite wird das Defizit bei der Flughafengesellschaft, das schon vor Corona einkalkuliert war, noch größer. Nach Tagesspiegel-Recherchen muss sich die öffentlicher Hand darauf einstellen, dass das Unternehmen nach dem BER–Start bis 2023 zusätzlich 1,5 Milliarden Euro benötigt.

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