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Wind: Die richtige Antwort ist Windrad.

© Getty Images/EyeEm

Energiewende in der Hauptstadtregion: Darum zahlt Brandenburg weiterhin den höchsten Strompreis

Brandenburg produziert bundesweit am meisten Ökostrom und zahlt trotzdem horrende Preise. Die Unternehmen leiden und versuchen sich jetzt selbst zu helfen.

Irgendwann im vergangenen Jahr reichte es Thorsten Schalow. Monat für Monat flatterte eine hohe Stromrechnung in seinen Betrieb. 10 000 Euro sollte die Firma Rabau, die Fenster und Türen herstellt, monatlich an den Versorger Eon überweisen, im Winter manchmal sogar mehr. Für das mittelständische Unternehmen mit 40 Mitarbeitern und einem jährlichen Umsatz von rund 4,5 Millionen Euro eine Belastung. „Die steigenden Strompreise haben uns irgendwann zum Handeln gezwungen“, sagt Betriebsleiter Schalow bei einer Führung durch seine Firmenhalle im Brandenburgischen Lenzen.

Dabei ist die Standortwahl für Schalow schon das erste Problem. Lenzen liegt tief in der Prignitz. Ein paar Kilometer Felder sind es noch, dann ist man an der Elbe, die Brandenburg von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt trennt. Schafe weiden, seit einigen Monaten gibt es hier auch wieder ein Wolfsrudel. Die nächste Autobahn ist 50 Kilometer entfernt. Nirgends ist Deutschland dünner besiedelt. Auf einen Quadratkilometer kommen hier gerade noch 36 Menschen. Und auch das hat etwas mit der hohen Stromrechnung von Thorsten Schalow zu tun.

In Brandenburg ist der Strom teurer als im Rest der Republik. Dem Vergleichsportal Verivox zufolge zahlt ein Vierpersonenhaushalt in Brandenburg im Durchschnitt jährlich 1558 Euro für Strom. In Bayern dagegen, wo die Durchschnittslöhne deutlich höher liegen, zahlt dieselbe Familie im Schnitt dagegen nur 1078 Euro, in Bremen sogar nur 1012 Euro. Dabei produziert Brandenburg so viel Strom wie kaum ein anderes Bundesland. Pro Kopf gerechnet führt das Land die Stromproduktion sogar an.

Es ist nackte Geographie

Warum also kostet der Strom in der Mark so viel? Strompreise setzen sich in Deutschland im Wesentlichen aus drei Faktoren zusammen: Der eigentlichen Stromproduktion, Steuern und Abgaben sowie dem sogenannten Netzentgelt. Mit etwas mehr als 50 Prozent schlagen Steuern und Abgaben - darunter auch die EEG-Umlage für den Ausbau der erneuerbaren Energie – am höchsten zu Buche. Sie gelten aber ebenso bundeseinheitlich wie die Kosten für die Strombeschaffung.

Entscheidend für die Preisunterschiede sind die unterschiedlichen Netzentgelte. Und die variieren innerhalb Deutschlands enorm. Laut Angaben der Bundesnetzagentur werden in Brandenburg häufig allein für die Netzentgelte 7,25 Cent je Kilowattstunde fällig. In großen Teilen Westdeutschlands zahlen Verbraucher deutlich weniger. „Das hat mit nackter Geografie zu tun“, sagt Volker Kamm, Pressesprecher beim Netzbetreiber 50Hertz. Das Unternehmen sorgt seit der Wende in den neuen Ländern sowie Hamburg und Berlin dafür, dass der Strom von den Offshore-Parks in der Ostsee und den Windkraftanlagen an der Küste im Höchstspannungsnetz dorthin gebracht wird, wo er gebraucht wird: zur Schwerindustrie. Der Strom für Unternehmer wie Schalow wird dagegen über das Hoch-, Mittel- und Niedrigspannungsnetz beliefert.

Autobahn oder Landstraße

Kamm vergleicht die verschiedenen Stromleitungen mit Straßen. Das Höchstspannungsnetz mit 220 Kilovolt könne man sich als Autobahn vorstellen. Hoch-, Mittel- und Niedrigspannungsnetze seien vergleichbar mit Bundes-, Land- und Kommunalstraßen. „Eine Autobahn kostet zwar deutlich mehr als eine Kommunalstraße, aber wenn man tausende Kommunalstraßen bauen muss, dann sind die am Ende teurer als die Autobahn“, sagt Kamm. Mit anderen Worten: Brandenburg ist dünn besiedelt, trotzdem muss jede Ortschaft und jeder Hof ans Stromnetz angeschlossen werden. Das geht ins Geld. „Die Erneuerung der Netze musste nach der Wende in Ostdeutschland durchgeführt werden“, ergänzt Kamm.

Im Klartext: Was im Westen lange abbezahlt ist, muss im Osten noch abgestottert werden. Die Kosten für Erschließung und Erneuerung dürfen die Netzbetreiber über die Netzentgelte an die Verbraucher weitergeben. Doch wo wenige Menschen leben, können die Kosten für den Ausbau auch nur auf wenige Menschen umgewälzt werden. Eine strukturelle Benachteiligung der ländlichen Region, von der Privatkunden, aber auch Unternehmer wie Thorsten Schalow in der dünn besiedelten Prignitz leiden.

"Jetzt produzieren wir unseren Strom selbst"

Wind: Die richtige Antwort ist Windrad.
Wind: Die richtige Antwort ist Windrad.

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Nachdem die Strompreise in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen waren, beschloss Schalow 2017 zu investieren. Die Zeiten dafür sind in der Baubranche günstig. Ein neuer Fensterautomat, der ein Drittel weniger Strom verbraucht, wurde angeschafft. „Die Stromrechnung ging aber nur gut zehn Prozent runter“, sagt der 51-Jährige ein Jahr später. Also engagierte er externe Hilfe und holte einen Energieberater in den Betrieb.

Zusammen fanden sie die teuren Stromspitzen, nach denen sich der Strompreis für die Firma richtet. Nun fahren die Mitarbeiter von Schalow Heizung, Kompressor, Absauger und Lackiergerät nicht mehr gleichzeitig hoch, in der Halle brennen Energiesparlampen. Mit Erfolg: Die Stromrechnung sank. Schalow war angefixt. Anfang 2018 ließ er eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Firma anbringen.

„Früher haben wir immer geschimpft, jetzt produzieren wir unseren Strom selbst“, sagt Schalow. Er klingt stolz. Innerhalb eines Jahres gelang es ihm, die Stromrechnung von 10 000 auf null Euro zu senken. Zumindest im Sommer, wenn die Sonne lange scheint. Zwar hat die Anschaffung 240 000 Euro gekostet, aber mit Subventionen und Stromeinspeisung erwartet Schalow, dass sich die Solaranlage nach acht Jahren rechnen wird: „Wir wollten nicht größer werden, sondern effizienter.“

Brötchen waren mal billiger

Die Strompreise beschäftigen in Brandenburg längst die Landespolitik. Gemeinsam mit anderen Ost-Bundesländern hatte die rot-rot Landesregierung im Bundesrat für bundeseinheitliche Netzentgelte geworben, war jedoch am Widerstand der westdeutschen Bundesländer gescheitert. Nur die Übertragungsnetzentgelte, die in den Höchstspannungsnetzen den Strom von Nord nach Süd bringen, sollen bis 2023 angeglichen werden. Davon profitieren aber vor allem die wenigen, stromintensiven Schwerindustrie-Betriebe in Ostdeutschland wie die Hennigsdorfer Elektrostahlwerke. Für einen Vierpersonenhaushalt rechnet 50Hertz mit Einsparungen von zehn Euro – im Jahr.

Thomas Hausbalk ärgert diese Bevorzugung der großen Betriebe. Der Bäckermeister vertreibt seine Brötchen in acht Filialen im Landkreis Ostprignitz-Ruppin – dem Kreis mit der drittgeringsten Bevölkerungsdichte. Wie Schalow in der Prignitz leidet auch er unter den hohen Stromkosten. „Ich wüsste nicht, wo ich noch Strom sparen sollte“, sagt er. Mit Abwärme fängt er bereits einiges an Energie auf. Hausbalk rechnet, dass 3,5 Prozent seiner Betriebskosten allein für die Stromrechnung draufgehen. In Süddeutschland, vermutet er, sei das Brötchenbacken billiger. „Das ist nicht in Ordnung, immerhin produzieren wir hier den ganzen Strom.“

Die "Verspargelung" der Mark

Tatsächlich gibt es in Brandenburg längst mehr als nur den Braunkohlestrom aus der Lausitz, an dem Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bis nach 2040 festhalten will. Dem Brandenburger Wirtschaftsministerium zufolge wird im Land inzwischen auch in 500 Biomasse- sowie mit 35 000 Photovoltaik- und 3735 Windkraftanlagen fast 40 Prozent des Brandenburger Stroms produziert. Allein die Zahl der Windräder soll einem Landes-Energieplan zufolge bis 2030 verdoppelt werden und dann zwei Prozent der Landesfläche ausmachen. Gegen die „Verspargelung“ der Mark gibt es jedoch immer häufiger Bürgerproteste, weshalb die Landesregierung ein Jahr vor der Landtagswahl unlängst Maßnahmen zur Akzeptanzförderung auf den Weg gebracht hat.

„Einige dieser Spargel stehen direkt vor meiner Haustür“, sagt Hausbalk über die unbeliebten Windräder. Das sei in Ordnung, denn generell befürworte er den Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom. Dass die Kosten für die Energiewende aber überproportional von denen getragen würden, bei denen die meisten Windkraftanlagen entstehen, stört ihn. „Wir bezahlen hier den Strom, den andere nutzen. Das geht nicht.“

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